Interview mit Hansjörg Geiger:"Die Stasi-Suche bringt Verdruss"

Hansjörg Geiger, Gründer der Stasi-Unterlagenbehörde, über die Schwerpunkte der Arbeit und die Zukunft der Behörde.

Matthias Drobinski

SZ: Sind Sie heute skeptisch, dass die von Ihnen mitgegründete Behörde ihren Zweck noch erfüllt?

Interview mit Hansjörg Geiger: Hansjörg Geiger, der ehemalige Staatssekretär und Leiter des Bundesnachrichtendienstes, gründete1990 mit Joachim Gauck die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

Hansjörg Geiger, der ehemalige Staatssekretär und Leiter des Bundesnachrichtendienstes, gründete1990 mit Joachim Gauck die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

(Foto: Foto: AP)

Geiger: Die Behörde hatte 1990 drei Ziele: Der Einzelne sollte wissen, was mit ihm in der DDR geschehen ist. Zweitens sollten in das alte System verstrickte Personen nicht Karriere machen. Und drittens sollte die historische Aufarbeitung möglich werden: Was geschieht im Inneren einer Diktatur? Hier hat die Behörde hervorragende Arbeit geleistet.

SZ: Was ist jetzt das Problem?

Geiger: Jetzt sind 18 Jahre vergangen, und wir müssen fragen, ob die Ziele von damals noch die von heute sind. Für die Zukunft finde ich vor allem die Regelanfrage überprüfungsbedürftig, die das neue Stasi-Unterlagengesetz zu Recht begrenzt. Ist es noch für längere Zeit richtig, nach belastendem Material gegen einen Menschen zu suchen? Und wir müssen über die künftigen Aufgaben der Behörde nachdenken: Was kommt nach den Überprüfungen?

SZ: Die Auflösung des Archivs und die Überführung der Akten nach Koblenz, wo sie im Bundesarchiv verschwinden?

Geiger: Sicher nicht. Aber tatsächlich wird der Schwerpunkt der Arbeit zunehmend auf der historisch-pädagogischen Aufarbeitung liegen müssen. Es wissen doch junge Leute aus den neuen Ländern kaum noch etwas über die DDR, sie glauben den Erzählungen der Eltern, dass es eigentlich ganz ordentlich war. Dass die Diktatur Menschenleben zerstörte, blenden sie aus. Da ist die Aufklärung der Allgemeinheit über das Wirken einer Diktatur wichtiger als der Anspruch eines Einzelnen, seine Akte zu sehen, wenn sie ihm 20 Jahre lang egal war.

SZ: Dagegen kann man sagen: Auch jetzt noch kommt heraus, dass Journalisten für die Stasi arbeiteten, jetzt kommt die Diskussion auf, ob Gregor Gysi der Stasi zulieferte oder nicht. Geht es da nicht schlicht um Wahrheitsfindung?

Geiger: Wie lange Journalisten überprüft werden sollen, will ich nicht beantworten. Bei einem Politiker ist die Situation anders: Wer zum Beispiel Minister werden will, der muss sich schon nach seiner Rolle in der DDR fragen lassen. Dann müssen eventuelle Vorwürfe geklärt werden, egal, wie lange sie her sind.

SZ: Ist eine Verwissenschaftlichung der DDR-Geschichte möglich, so lange noch Opfer des Regimes leben?

Geiger: Ja - wenn diese Historisierung nicht bedeutet, geschehenes Unrecht zu verharmlosen. Eine reine Stasi-Suche jedenfalls sorgt mehr für Überdruss als für Klarheit.

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