Interview mit Gesine Schwan:"Polen werden immer gleich mit Vorurteilen bedacht"

Heute besucht Polens neuer Premier Tusk Berlin. Gesine Schwan, die Beauftragte der Bundesregierung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, über vielschichtige Konflikte, asymetrische Vorurteile und die heikle Geschichte.

Ivo Marusczyk

In zehn Tagen fallen die Grenzkontrollen an Oder und Neiße weg. Doch selten schienen Polen und Deutschland weiter voneinander entfernt als heute, nach anderthalb Jahren mit Jarosław Kaczynski an der Spitze der Regierung in Warschau. Sein Nachfolger Donald Tusk will zurück zu einem nachbarschaftlichen Miteinander. Einer seiner ersten Auslandsbesuche führt ihn am Dienstag nach Berlin.

Gesine Schwan Polen Deutschland, ddp

Gesine Schwan ist Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Frau Schwan, die Bundesregierung sagt, sie hoffe, dass die deutsch-polnischen Beziehungen bald wieder in Ordnung kommen. Wie schwer beschädigt sind sie denn?

Gesine Schwan: Das kommt darauf an, von welchen Beziehungen Sie sprechen. Auf der Ebene der Regierungen gab es praktisch keine Kommunikation mehr. Es war sehr schwer, die Partner überhaupt zu einer Kooperation zu bewegen. Aber auf der menschlichen Ebene haben die Beziehungen das ausgehalten, da sind sie unbeschadet.

sueddeutsche.de: Aber das Auftreten der Regierung von Jarosław Kaczynski hat das Image Polens bei uns doch in Mitleidenschaft gezogen.

Schwan: Da sprechen Sie jetzt eine dritte Ebene an, diejenige der Medien. Es gab leider viele Zeitungen, die Polen mit den Kaczynskis gleichgesetzt haben. Aber das entsprach nicht der Wirklichkeit. Wenn Sie in den vergangenen Jahren nach Polen fuhren, schlug Ihnen die Distanz und Kritik an den Kaczynskis förmlich entgegen. Das hat sich nun auch bei den Wahlen bestätigt.

sueddeutsche.de: Władysław Bartoszewski, der außenpolitische Berater von Premierminister Tusk spricht aber von Germanophobie in Polen.

Schwan: Ja, natürlich gibt es die auch. Aber die Mehrheit der Bevölkerung will gut mit Deutschland zusammenarbeiten. Übrigens auch mit Russland. Jarosław Kaczynski hat die Wahlen 2005 nicht wegen seiner deutschlandfeindlichen Polemiken gewonnen, sondern weil er das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ansprach. Jetzt, im Wahlkampf 2007, hat er nochmal probiert, die antideutsche Karte zu spielen. Aber das hatten die Polen ganz schnell satt, deswegen hat er es gelassen.

sueddeutsche.de: Umgekehrt sind Polen in Deutschland auch nicht immer besonders beliebt.

Schwan: Das hat sich gebessert. Neuere Umfragen zeigen, dass die Polen vor allem bei jüngeren Deutschen ein gutes Image haben. Aber eine Asymmetrie gibt es weiterhin: Die Polen begegnen den Deutschen fast immer ausgesprochen herzlich und freundlich. Sie werden nie von der Seite angeschaut, wenn Sie in der Öffentlichkeit Deutsch sprechen. Umgekehrt reagieren die Deutschen nicht immer positiv, wenn jemand in der Straßenbahn Polnisch spricht. Wenn die Briten Teile des EU-Grundlagenvertrags nicht akzeptieren oder die Presse dort antideutsche Kampagnen fährt, ändert das nichts an den Beziehungen. Nur die Polen werden immer gleich mit Vorurteilen bedacht.

sueddeutsche.de: Interessieren sich die Deutschen an Oder und Neiße für ihre polnischen Nachbarn - oder fahren sie nur rüber, um billig zu tanken?

Schwan: Nein, die Kontakte sind sehr intensiv. Es gibt eine Vielzahl an Initiativen und Kooperationen. Sie müssen allerdings auch sehen, dass in der Grenzregion viele Vertriebene leben, deswegen haben hier viele eine kritische Einstellung. Die Sprache bleibt die Hürde. In Polen lernen 2,5 Millionen Menschen Deutsch, zum Teil an zweisprachigen Gymnasien. In Deutschland lernen gerade einmal 15.000 Menschen Polnisch.

"Polen werden immer gleich mit Vorurteilen bedacht"

sueddeutsche.de: Die Menschen warten nicht gerade sehnsüchtig auf die Grenzöffnung. Polizisten haben dagegen demonstriert. Und das sächsische Innenministerium rät in einem Flugblatt zum Wegfall der Kontrollen, Fenster und Türen zu verrammeln.

Schwan: Das finde ich wirklich skandalös. Hier wird wieder die drohende Gefahr aus dem Osten suggeriert. Als ob die Hunnen kämen. Ich hoffe, dass diese Ängste bald abflauen, so wie schon 2004, als die Zollkontrollen entfallen sind. Die Polizeikontrollen auf der Brücke nach Słubice (die Schwesterstadt von Frankfurt/Oder auf der östlichen Seite des Flusses; Anm. d. Red.) sind schon jetzt kein großes Hindernis mehr. Aber es ist doch etwas anderes, wenn man einfach so hinüber gehen kann. Was die Polizisten betrifft: Die haben doch nur Angst vor ihrer Versetzung.

sueddeutsche.de: Was raten Sie Frau Merkel, um die politischen Beziehungen zu reparieren?

Schwan: Beim "sichtbaren Zeichen", (die geplante Vertriebenen-Gedenkstätte, Anm. d. Red.) muss klar sein, dass kein Geschichtsrevisionismus Einzug hält. Der Nationalsozialismus war Ursache für die Vertreibung, nicht ein willkommener Anlass. Die Polen registrieren genau, dass es in der deutschen Gesellschaft auch Anhänger anderer Positionen gibt. Frau Steinbach darf an der Gedenkstätte nicht beteiligt sein. Das ist keine irrationale Personalisierung. Sie ist einfach zu oft mit bedenklichen Äußerungen aufgefallen.

sueddeutsche.de: Und die anderen Streitpunkte? Was ist mit der Ostsee-Pipeline, die an Polen vorbeiführen soll?

Schwan: Schwierig wird der Kulturgüter-Austausch. Bei der Sache mit der Pipeline ist es dafür einfacher. Da geht es um materielle Interessen und ich denke, die neue Regierung wird auf den Vorschlag eingehen, einen Abzweig nach Polen zu bauen. Auch in der Sicherheitspolitik sehe ich gute Chancen für eine Annäherung.

sueddeutsche.de: Wären Sie nicht manchmal lieber Beauftragte für die deutsch-französischen Beziehungen? Der Job klingt einfacher.

Schwan: Ich liebe Frankreich, aber mich locken einfache Aufgaben nicht mehr als schwierige. Ich will vor allem den Leuten erklären, dass die Polen keine schwierigen Leute sind.

sueddeutsche.de: Aber mit allen anderen Nachbarn scheint es besser zu laufen als mit Polen.

Schwan: Das war nicht immer so. Bis Ende der neunziger Jahre waren die Beziehungen mit Tschechien viel komplizierter, denken Sie nur an die Debatten um die Benesch-Dekrete. Aus meiner Sicht ist das Verhältnis zu Polen erst durch die Aktionen des Vertriebenenverbands viel schlechter geworden. Wir müssen diese Chance jetzt nutzen.

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