Interview mit Dieter Hildebrandt:"Die Hessen-SPD ist ein Sauhaufen"

Kritik vom Kabarettisten-Nestor: SPD-Sympathisant Dieter Hildebrandt erklärt, wieso Andrea Ypsilanti es nicht verdient, Hessen zu regieren - und warum Kurt Beck nicht hart genug für den Kanzlerposten ist.

Oliver Das Gupta

Dieter Hildebrandt, Jahrgang 1927, prägt seit den fünfziger Jahren das politische Kabarett Deutschlands. Spätestens seit Willy Brandts Ägide sympathisiert er offen mit der SPD - und reibt sich mindestens genauso häufig an der Partei.

Interview mit Dieter Hildebrandt: Dieter Hildebrandt

Dieter Hildebrandt

(Foto: Foto: ddp)

Zum Interview erscheint Hildebrandt abgehetzt, nimmt sich dann doch viel Zeit, obwohl er nur wenig später in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft auftritt - schließlich geht es um 'seine' Partei. Zu Beginn des Gesprächs ist er merklich schlecht gelaunt, was sich jedoch bald ändert.

sueddeutsche.de: Herr Hildebrandt, Sie sind seit vielen Jahren Sympathisant der Sozialdemokraten. Wie sehr leiden Sie in diesen Tagen?

Dieter Hildebrandt: Ich leide nicht, ich fühle mich bestätigt in meinen Voraussagen, die ich nicht alleine gemacht habe. Was jetzt passiert ist - und ein angeblicher Skandal sein soll -, ist lachhaft. Schließlich ist die SPD eine linke Partei. Und dass sich eine linke Partei vor der Linken schützen soll, das verstehe ich nun überhaupt nicht.

sueddeutsche.de: Vor der letzten Bundestagswahl sagten Sie uns in einem Interview, SPD und PDS - heute Linkspartei - seien Todfeinde ...

Hildebrandt: ... und sind es immer gewesen, ja. Aber können Sie sich erinnern, dass bei der aktuellen, öffentlich ausgetragenen Diskussion aufgelistet wurde, wie diese Linkspartei zusammengesetzt ist? Aus wie vielen Kommunisten besteht sie denn? Und aus wie vielen abgedrifteten Sozialdemokraten? Und wie viele aus der Stasi-Gegend sind dabei? Wie ist die Sprache dieser Partei? Ist es die Sprache von Lafontaine oder von Gysi?

sueddeutsche.de: Sie nennen nur zwei Namen. Aber es geht doch um den Unterbau.

Hildebrandt: Das möchte ich eben wissen. Es wird so getan, als ob die ganze Linke unterwandert wäre von strammen Kommunisten. Wenn man das mal untersuchen würde, könnte man die Debatte um die Linkspartei auf ganz andere Füße stellen.

sueddeutsche.de: Die Kommunistin Christl Wegner kam auf dem Linkspartei-Ticket in den niedersächsischen Landtag und schwadronierte von Verhältnissen wie in der DDR.

Hildebrandt: Aber die ganze Partei besteht doch nicht aus Leuten wie Frau Wegner - die allerdings gewiss nicht alleine mit ihrer Stasi-Träumerei war. Doch selbst das würde nicht dazu berechtigen, diese Partei vollkommen in den Schatten der DDR zu stellen. Denn das fiele dann auf eine ganz andere Partei zurück.

sueddeutsche.de: Welche denn?

Hildebrandt: Sag ich Ihnen gleich. Aber zuerst dies: Die SED kam nach dem Krieg unter großem Druck Moskaus zustande, Zigtausende Sozialdemokraten wurden nach Sibirien deportiert und sind nie wiedergekommen. Was mich an der SPD stört, ist, dass sie diesen Umstand nie zum Argument gemacht hat. Und wer hat sich um diese verschwundenen Sozialdemokraten nie gekümmert? Die sogenannten Blockflöten, darunter die Ost-CDU. Das sind die Leute, die umgefallen sind. Wenn man die Geschichte der SED genau untersucht, fällt sie also auf die zurück, die jetzt die Linke nicht als fünfte Kraft im Parteienspektrum der Republik aufnehmen wollen.

sueddeutsche.de: Aber ist es denn richtig, dass sich die SPD gerade jetzt der Linken öffnet?

Hildebrandt: Wenn Sie die nächste Zukunft angucken, ist doch klar, dass diese Partei, die nie mehr als neun, zehn Prozent bundesweit bekommen wird, unsere Demokratie nicht bedroht. Wer anderes behauptet, nimmt sie viel zu ernst.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Dieter Hildebrandt zu Kurt Becks Öffnung zur Linkspartei und den Kanzler-Ambitionen des SPD-Chefs sagt.

"Die Hessen-SPD ist ein Sauhaufen"

sueddeutsche.de: Immerhin steht ein Mann wie Oskar Lafontaine an der Spitze.

Hildebrandt: Den nehme ich schon lange nicht mehr ernst.

sueddeutsche.de: Und Gregor Gysi?

Hildebrandt: Den schon, weil er einer der besten Parlamentarier ist. Und Lafontaine ist ein Demagoge, aber ein sehr begabter.

sueddeutsche.de: Und die Hessen-SPD steht nach dem umjubelten Wahlabend Ende Januar ziemlich erbärmlich da.

Hildebrandt: Wissen Sie, das hat zu tun mit der inneren Struktur der sozialdemokratischen Partei in Wiesbaden. Diese Hessen-SPD ist ein Sauhaufen. Sie haben 42 Abgeordnete, eine davon die Parlamentarierin, die der Ast ist, über den Frau Ypsilanti stolperte. Das muss man doch vorher wissen! Frau Ypsilanti ist auch Fraktionschefin und - tut mir leid - das war absolut dilettantisch! Dann darf sie auch gar nicht regieren. Herbert Wehner hätte jeden Abgeordneten abgeklopft. Es war doch abzusehen, dass es in der hessischen SPD-Fraktion Leute gibt, die diesem Schwenk nicht folgen. Ist doch klar, dass es noch mehr gibt, als diese Frau, die man jetzt zur Sau macht.

sueddeutsche.de: Diese Frau namens Dagmar Metzger sagt sinngemäß: "Hier stehe ich und kann nicht anders."

Hildebrandt: Naja, wie bekannt wird sie dadurch? Ich bin misstrauisch.

sueddeutsche.de: Dem Ganzen ging der Schwenk von Herrn Beck voraus, der laut über eine Öffnung zur Linken nachdachte - wenige Tage vor der Hamburg-Wahl. War das clever?

Hildebrandt: Der Beck hat natürlich anders kalkuliert, nach dem Motto: Wieder ein Land, das zur Sozialdemokratie zurückkommt. Das ist für meine Kanzlerkandidatur wichtig. Ich würde das dem Kurt Beck als großen Fehler ankreiden. Das hat er nicht seiner Partei zuliebe gemacht, sondern aus Eigeninteresse.

sueddeutsche.de: Der Hamburgische SPD-Spitzenkandidat Naumann und einige andere Genossen haben Beck vorgeworfen, sie den Wahlsieg gekostet zu haben ...

Hildebrandt: ... natürlich hätte Michi Naumann ein besseres Ergebnis bekommen, auch wenn er gegen Beust vermutlich nicht gewonnen hätte. Dass sich Naumann, den ich sehr schätze, dann bitter über Beck beschwert, das ist vollkommen berechtigt.

sueddeutsche.de: Zurück zur SPD: Ist es anständig, vor der Hessen-Wahl zu sagen: Mit denen nie! und hinterher es doch zu tun?

Hildebrandt: Mit Anstand hat das nichts zu tun. Es ist politisch nicht klug, es zu versprechen.

sueddeutsche.de: Letztes Jahr sagten Sie uns, Beck könne gut Witze erzählen, gehöre aber Ihrer Meinung nach zum "Fußvolk der SPD". Jetzt hat er immerhin eine weitreichende Entscheidung gefällt. Hat sich Ihr Beck-Bild geändert?

Hildebrandt: Überhaupt nicht. Der Mann läuft an mir ab. In solchen Krisensituationen ist er nicht hart genug.

sueddeutsche.de: Aber Kanzler werden will er trotzdem, oder?

Hildebrandt: Er wird nicht Kanzler werden, das ist nicht zu ändern.

sueddeutsche.de: Antreten wird Beck trotzdem, sagten Sie.

Hildebrandt Ja. Aber wenn ich weiß, dass ich keine Chance habe, dann verhalte ich mich doch einigermaßen anständig. Dann versuche ich doch nicht, meine anderen Leute in den Busch zu hauen, nur aus Profilierungssucht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Dieter Hildebrandt Roland Koch lieber als Ronald Pofalla ist und wen er für den kommenden Spitzenmann der SPD hält.

"Die Hessen-SPD ist ein Sauhaufen"

sueddeutsche.de: Angela Merkel ist ja vielleicht auch deshalb so beliebt, weil sie wenig Fehler zu machen scheint.

Hildebrandt: Ja, warum macht sie keine Fehler? Weil sie innenpolitisch gar nichts tut.

sueddeutsche.de: Merkel macht den Job nicht schlecht, meinen die meisten Bürger. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das so ist?

Hildebrandt: Sie ist intelligent, okay. Aber wenn sie erklärt, sie würde sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, dann frage ich: Wo kommen die Lorbeeren her? Wer hat die ihr gestreut?

sueddeutsche.de: Ja, wer denn?

Hildebrandt: Niemand! Oder vielleicht Merkels Partei, vielleicht der Pofalla? Wenn das die Leute sind, die die CDU vertreten, dann kriege ich ja Angst. Dann ist mir ja Roland Koch noch lieber, der ist wenigstens raffiniert. (lacht)

sueddeutsche.de: Was raten Sie der SPD nun?

Hildebrandt: Die SPD muss sich daran erinnern, was sie eigentlich immer wollte. Sie muss die politische Heimat derer werden, die in Deutschland immer mehr werden: die Partei der Gebeutelten, der Arbeitslosen, der Schwachen und der Gewerkschaftsinteressen. Das muss ein Parteitag beschließen.

sueddeutsche.de: Oskar Lafontaine würde nun rufen: Kommet zuhauf!

Hildebrandt: Dem würde ich die Redezeit aber nicht geben. (lacht)

sueddeutsche.de: Dort, wo die SPD hin soll, wähnt sich Lafontaines Linkspartei.

Hildebrandt: Da sitzen ja auch ein paar von der Linkspartei.

sueddeutsche.de: Die sind für die SPD dann kein Problem?

Hildebrandt: Nö, die paar können dann da sitzen bleiben - solange sie die anderen nach Hause schicken, die mit den Tiraden. Dafür habe ich zu lange DDR-Leute genossen. Ich kenne die Sprechblasen der Funktionäre, deren Sozialismus-Plattitüden. Das kann ich nicht aushalten. Das trennt uns Sozialdemokraten von denen.

sueddeutsche.de: Gregor Gysi spricht nicht so?

Hildebrandt: Nein, der nicht. Aber ich will Ihnen etwas erzählen. Eines Nachts Anfang der neunziger Jahre rief mich Gysi an. Er wollte eine "Partei der Gerechtigkeit" gründen. Dieter Lattmann, ein Schriftsteller, den ich sehr schätze, wäre auch mit dabei. Dann habe ich mir gedacht: Hör dir das mal an. Wir haben uns an einer Münchner Kirche getroffen. Auch vier frühere SED-Funktionäre tauchten auf und fingen an zu reden im erwähnten DDR-Sprech. Lattmann und ich sind sofort abgehauen.

(Spricht leiser, fast schwärmerisch) Ich bleibe ein Sympathisant der SPD, das wird auch nicht aufhören. Und ich versuche, ihr in den letzten Jahren meines Lebens hier und da noch eine Veranstaltung zu geben. Ich hatte neulich eine wunderbare Veranstaltung mit dem Franz Maget. Da saßen sie alle, die ich mag, Sozialdemokraten, die wissen, was sie wollen und was nicht.

sueddeutsche.de: Gibt es in Berlin auch noch solche?

Hildebrandt: Oh ja.

sueddeutsche.de: Und an wen denken Sie zum Beispiel?

Hildebrandt: An Klaus Wowereit.

sueddeutsche.de: Dem wirft man ja vor, dass er mehr Party als Politik macht.

Hildebrandt: Das ist doch Blabla. Der Wowereit ist ein ganz cleverer Mann, der gemerkt hat, dass man eben auch durch Präsenz politische Glaubwürdigkeit erreichen kann. Außerdem ist er lebensfroh, er ist vital. Und er kommt auf die Leute nieder.

sueddeutsche.de: Niederkommen? Das sagten Sie auch schon über Helmut Kohl.

Hildebrandt: Aber der machte mit seinem Gesäß alles platt. Der Wowereit setzt sich mit dem, was er sagt, durch. Das ist der kommende Mann.

sueddeutsche.de: Der Mann nach Beck?

Hildebrandt: Ich wage es mal: Vielleicht. Beck wird sich nicht durchsetzen.

sueddeutsche.de: Ist Deutschland bereit für einen schwulen Kanzler?

Hildebrandt: Wenn es das nicht ist, bräche vieles zusammen, was ich an Vorteilen für die Bürger dieses Landes gesehen habe.

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