Süddeutsche Zeitung

Interview mit Bamberger Erzbischof Schick:"Sexualität ist von Gott geschenkt"

Immer wieder fällt der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick mit ungewöhnlichen Vorstößen auf. Im SZ-Interview spricht er über das kontroverse Papst-Titelbild der Satirezeitschrift "Titanic", erklärt das Betreuungsgeld zu einem Akt der Gerechtigkeit - und begründet, warum die katholische Kirche nicht "leibfeindlich" sei.

Oliver Das Gupta und Matthias Drobinski, Bamberg

Morgens um fünf kann man am Bamberger Domberg einen schmalen 62-jährigen Mann sehen, der durch die Straßen der Altstadt joggt: Fünf, sechs Kilometer, sagt Erzbischof Ludwig Schick, dann ist der Kopf frei fürs Wesentliche des Tages. Schick stammt aus Marburg, er lehrte Kirchenrecht, war in Fulda Weihbischof unter Johannes Dyba. Seit zehn Jahren ist er Bamberger Erzbischof. Immer wieder unternimmt er ungewöhnliche Vorstöße - und will sogar über das Zölibat nachdenken. Gleichzeitig tritt er aber auch für die Verschärfung des Blasphemie-Paragrafen ein. Kürzlich erklärte er die Urteile des Hochstifts Bamberg gegen angebliche Hexen für "null und nichtig".

Süddeutsche Zeitung: Herr Erzbischof, darf man über Jesus lachen?

Ludwig Schick: Man kann mit Jesus lachen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Lachen und Verlachen. Wenn ich jemanden verlache und verhöhne, mache ich ihn verächtlich. Ich verletze ihn in der Seele, das will Jesus nicht.

SZ: Ist Gott überhaupt zu beleidigen? Und wenn nein, sind dann nicht alle Blasphemie-Gesetze sinnlos?

Schick: Gott ist nicht zu beleidigen - aber der Spott über ihn verletzt diejenigen, die an ihn glauben. Der Blasphemie-Paragraf im Strafgesetzbuch soll davor schützen, dieses Gesetz ist in der Praxis jedoch fast bedeutungslos geworden und kommt kaum zur Anwendung. Es geht aber um mehr als einen Paragrafen, nämlich darum, dass wir den Charakter unserer Gesellschaft verteidigen. Zu Toleranz und Pluralität gehört, dass man die achtet und respektiert, die anders sind als man selbst. Die Frage ist doch: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, wo der Umgang von Verachtung geprägt ist? Ich möchte das nicht.

SZ: Der Papst hat im Streit mit dem Satire-Magazin "Titanic" nachgegeben, das ihn mit gelb befleckter Soutane zeigte. Geschah der Verzicht auf juristische Schritte aus Klugheit? Aus Furcht?

Schick: Ich bin in das juristische Verfahren im Einzelnen nicht eingebunden und kann daher zu den Details nichts sagen. Menschen und Dinge, die unseren Nächsten heilig sind, sollen andere nicht in den Schmutz ziehen und verspotten dürfen. Für uns Katholiken ist der Papst der Stellvertreter Christi auf Erden. Wenn er und unser Glaube verhöhnt werden, verletzt das unsere Seele und damit unsere Menschenwürde.

SZ: Der Spott zeigt auch, dass die Rolle der Religionen in der Öffentlichkeit zunehmend bestritten wird. Wie reagieren Sie darauf?

Schick: Wir werden uns nicht beleidigt zurückziehen, sondern uns auf unsere Aufgaben konzentrieren.

SZ: Derzeit erhitzt die Debatte um religiöse Beschneidungen die Gemüter. Ist es richtig, religiöse Rituale zu hinterfragen?

Schick: Man kann darüber nachdenken, sie zu modifizieren. Wenn es Wege gibt, die Beschneidung schmerzfrei zu machen, ist das ein Fortschritt. Aber die Praxis selbst kann nicht infrage gestellt werden. Seit Tausenden Jahren gehört die Beschneidung für Juden zum Wesen ihrer Religion, bei den Muslimen ist das ähnlich. Das kann man nicht einfach verbieten.

SZ: Die Muslime wünschen sich, dass ihre Feiertage respektiert werden. Hamburg hat einen entsprechenden Vertrag geschlossen - ein Modell für andere Länder?

Schick: Ich denke, dass auch andere Religionen die Möglichkeit haben sollten, ihre Feiertage zu feiern. Es ist gut, wenn dafür gesetzliche Möglichkeiten etwa für die Freistellung von Arbeit und Schule geschaffen werden. Aber auch hier geht es um Grundsätzliches: Die Problematik berührt die Frage, wie viel Religion eine Gesellschaft noch braucht. Sie braucht die Religion. Wir Christen sollen Gottes Wort verkünden, damit die Gesellschaft sich nicht selbst zu Gott macht. Und dann ist es vor allem die Fürsorge, die Nächstenliebe. Christen sollen den Menschen nahe sein und Partei für die Schwachen ergreifen.

SZ: Tun sie das auch beim Betreuungsgeld? Oder hilft es nicht eher den Starken als den Schwachen?

Schick: Das Betreuungsgeld bietet ein Stück Gerechtigkeit für die Eltern. Sie haben das Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen; die Gesellschaft muss ihnen dabei helfen. Für viele Eltern ist ein Kita-Platz eine große Erleichterung. Andere erziehen ihre Kinder zu Hause - denen muss natürlich auch geholfen werden. Mir gefällt überhaupt nicht, dass die Debatte über das Betreuungsgeld so unversöhnlich geführt wird. Es geht darum, dass die Eltern wählen können zwischen beiden Varianten.

SZ: Was antworten Sie den Kritikern, die erklären, dass das Betreuungsgeld bei sozial Schwachen und Migranten kontraproduktiv wirken würde?

Schick: Mit demselben Argument könnte man auch das Kindergeld streichen. Natürlich muss man aufpassen, dass das Betreuungsgeld auch wirklich den Kindern zugutekommt. Man sollte es besser Kinderförderungsgeld nennen, auch wenn das ein Wortungetüm ist.

SZ: Ist Familie nur dort, wo es verheiratete Heterosexuelle gibt? Oder überall, wo es Lebenspartner mit Kindern gibt?

Schick: Familie ist aus katholischer Sicht dort, wo Mann und Frau sich das Jawort geben und miteinander Kinder haben. So definiert auch das Grundgesetz die Ehe, die unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Wir verschließen aber nicht die Augen davor, dass es andere Lebensformen gibt.

SZ: Auch homosexuelle Paare, Alleinstehende und Unverheiratete ziehen Kinder groß - wie als verheiratete Paare.

Schick: Um diese Kinder müssen und wollen wir uns genauso kümmern. Gott liebt jedes Kind, jedes Kind ist auch ein Geschenk für die Gesellschaft. Die Kirche ist für diejenigen da, die allein Kinder erziehen, und hilft das zu ergänzen, was ihnen und ihren Kindern an Familie fehlt. Allerdings bezweifle ich, dass ein Kind mit zwei homosexuellen "Vätern" oder "Müttern", wie Sie sagen, nicht anders aufwächst als in einer herkömmlichen Familie mit Vater und Mutter.

SZ: Fühlen Sie sich mit dieser Position als Vertreter einer schwindenden Minderheit oder der schweigenden Mehrheit?

Schick: Das darf nicht unser Maßstab sein. Ich muss meinen Standpunkt aus dem Evangelium heraus vertreten. Mancher mag sich darüber ärgern, aber es ist einfach so. Wir Christen sind realistische Menschen, die optimistisch und fortschrittlich denken.

SZ: Wenn Sie als Vertreter der katholischen Kirche so etwas sagen, hören Sie: Werdet erst einmal wieder glaubwürdig, bevor ihr den anderen Ratschläge gebt.

Schick: Wir spüren die Vertrauenskrise. Die Kirche kommt aus dieser Krise aber am besten heraus, wenn sie tut, was ihr Auftrag ist: sich für die Menschen und eine gerechte und friedliche Welt einzusetzen, bei den Menschen zu sein, wie es Jesus getan hat.

SZ: Aus der Missbrauchs-Krise ist die katholische Kirche noch nicht draußen.

Schick: Nein. Es wäre auch falsch zu sagen: Irgendwann ist die Krise vorbei. Wir müssen aufmerksam und sensibel bleiben. "Seid wachsam", sagt Jesus, "der Dieb kommt in der Nacht, wenn ihr nicht an ihn denkt." Und: "Wer steht, der sehe zu, dass er nicht falle." Wir alle können fallen, jeden Tag.

SZ: Nun treffen sich die Bischöfe und Vertreter des Kirchenvolks in Hannover zum Dialog. Was erwarten Sie von dem Treffen?

Schick: Ich hoffe, dass wir gut miteinander sprechen, dass wir aber auch Dinge vereinbaren, an denen wir weiterarbeiten können, in jeder Diözese, jeder Pfarrei. Christlicher Dialog heißt, sich dem Evangelium zu nähern und daraus zu leben.

SZ: Viele der Eingeladenen wünschen sich Reformen. Andere fürchten, dass sich die Kirche zu sehr der Welt anpasst. Was tun: Reformieren? Bewahren?

Schick: Sowohl als auch. Wir müssen das Evangelium verheutigen, wie es schon Papst Johannes XXIII. sagte. Das ist nicht einfach, das ist ein immerwährender Prozess. Da gibt es keine schnellen Antworten.

SZ: Ungehorsame Priester wie in Österreich oder auch in deutschen Bistümern, die gegen das Kirchenrecht Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, die Sakramente spenden - wie finden Sie das?

Schick: Die wiederverheirateten Geschiedenen sollten ihren Platz in der Kirche haben und nicht in Schlagzeilen oder Protestaktionen! Mit ihnen muss evangeliumsgemäß im Einzelfall umgegangen werden. Ich spreche mit vielen Priestern, die unterschiedliche Auffassungen haben. Man muss auch in der Kirche nicht immer einer Meinung sein. Aber ich habe in unserem Erzbistum noch keinen gefunden, der sagt: "Ich mache das einfach so, wie ich das will" - und der sich damit außerhalb der Kirche stellt.

SZ: In Österreich ist das eine Massenbewegung. Kann die Kirche das ignorieren?

Schick: Das darf man nicht ignorieren. Da muss man ganz intensiv miteinander sprechen.

SZ: Es wächst die Zahl konservativer Gruppen, die sagen: Die Kirche muss sich scharf abgrenzen vom Zeitgeist. Fürchten Sie eine Kirchenspaltung?

Schick: Nein. Ich glaube, dass sich in der nächsten Zeit einige Schärfen verringern werden. Es gibt in der Kirche viel mehr Dialog, als es manchmal scheint. Es ist auch unter den Bischöfen unbestritten, dass wir keine Kirche der kleinen, feinen Elite wollen. Für alle da zu sein - das ist der Auftrag Jesu.

SZ: Beim Thema Sexualität könnte der Graben zwischen kirchlicher Lehre und dem, was die Gläubigen denken, kaum tiefer sein.

Schick: Die katholische Kirche ist nicht leibfeindlich! Für uns ist Sexualität von Gott geschenkt, sie ist wichtig für das Zusammenleben von Mann und Frau, das Zusammenleben in der Gesellschaft und natürlich für ihren Fortbestand. Bei den Einzelheiten muss sich ein Bischof nicht immer äußern.

SZ: Weil er Angst hat, das Falsche zu sagen?

Schick: Nein, weil er den Gläubigen nicht bis ins Kleinste vorschreiben muss, was sie zu tun und zu lassen haben. Das sind verantwortungsbewusste Christen, die ein Gewissen haben und die Gebote Gottes kennen.

SZ: Viele Gläubige haben das Gefühl, sie gehörten einer vorschreibenden Kirche an.

Schick: Das ganze Leben einschließlich der Sexualität braucht Freiheit und Regeln zugleich. Fragen Sie doch mal Jugendliche, was sie sich in einer Beziehung wünschen: Treue und Verlässlichkeit. So lebensfern ist das nicht, was die Kirche sagt. Aber noch einmal: Ich glaube, dass die Menschen selbst ihren Weg finden. Als Bischof habe ich Vertrauen in unsere Christen und in den Heiligen Geist.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2012/schu
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