Süddeutsche Zeitung

Interview:"Ich bin kein Monster. Ich bin Schriftsteller."

Im August 1997 gab Radovan Karadzic dem SZ-Magazin ein Interview. Das Gespräch führte Thomas Deichmann; wir bringen hier einige Auszüge.

SZ-Magazin: Herr Karadzic, das Tribunal in Den Haag sucht Sie als Kriegsverbrecher, die SFOR läßt vor Ihrem Haus Panzer auffahren, und Biljana Plavsic, die Präsidentin der bosnischen Serbenrepublik, ist auch nicht mehr auf Ihrer Seite. Werden Sie demnächst verhaftet?

Radovan Karadzic: Ich glaube kaum, daß mich jemand in Den Haag sehen möchte. Die hätten dort mehr Ärger mit mir als ich mit ihnen.

SZ-Magazin: Wozu dann die vielen Waffen, die wir auf dem Weg vom Tor hierher gesehen haben?

Karadzic: Niemand weiß, was die Amerikaner wirklich vorhaben. Aber sie wollten bestimmt nicht über die Ausrüstung meiner Leibwächter mit mir reden.

SZ-Magazin: Reden wir also über das Tribunal. Weshalb sollte sich Den Haag vor Ihnen fürchten?

Karadzic: Weil ich nicht die Rolle des Angeklagten spielen werde, sondern die des Anklägers. Ich werde auf der Grundlage völlig falscher Behauptungen angegriffen. Die Angriffe richten sich gegen meine Familie, mein Land und mein Volk. Und gegen mich als Person: Menschen, die nicht das geringste über mich wissen, führen sich auf, als ob ich ein Monster wäre.

Ich bin kein Monster. Ich bin Schriftsteller, ich bin ein guter und anerkannter Psychiater, und ich werde von meinem Volk unterstützt und geliebt.

SZ-Magazin: Frau Plavsic, Ihre frühere Vertraute, hat damit gedroht, Sie festnehmen und vor Gericht stellen, wenn auch nicht ausliefern zu lassen. Es scheint, als kehrten sich die Institutionen der serbischen Republik gegen Sie. Was werden Sie tun, wenn Ihnen hier der Prozess gemacht wird?

Karadzic: Ich schlage vor, daß das Tribunal von Den Haag meinen und den Fall der anderen serbischen Angeklagten aus Bosnien-Herzegowina unserer nationalen Rechtspflege überantwortet.

Wenn mich die Instanzen meines Landes einer Straftat beschuldigen, bin ich bereit, mich vor Gericht zu verantworten. Einem Prozeß unter Aufsicht des Den Haager Tribunals und der internationalen Gemeinschaft würde ich mich stellen. Dies wäre der einzige Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma.

SZ-Magazin: In der öffentlichen Meinung sind Sie ein Kriegsverbrecher. Hat denn alle Welt unrecht?

Karadzic: Wir haben diesen Krieg nicht begonnen, und wir sind nicht für ihn verantwortlich.

SZ-Magazin: Wer denn, wenn nicht die Serben?

Karadzic: Wie kann ich Aggressor gegen mein eigenes Land gewesen sein? Meine Partei war eine der drei Regierungsparteien in Bosnien-Herzegowina. Wir hatten eine serbische Mehrheit auf 64 Prozent des gesamten Territoriums, und wir hatten ein Drittel der parlamentarischen Macht.

Wir haben die Abspaltung Bosnien-Herzegowinas wegen des Drucks der Europäischen Union akzeptiert. Aber unter der Bedingung, daß Bosnien-Herzegowina entsprechend den Lissabonner Vereinbarungen vom 18. März 1992 eine Konföderation wird.

SZ-Magazin: Schon zu Beginn des Krieges im Sommer 1992 haben Sie die ganze Welt gegen sich aufgebracht, als die ersten Berichte über Folterlager in Bosnien bekannt wurden. Was hatte es damit auf sich?

Karadzic: Ich besaß während der ersten sechs Wochen des Krieges keinerlei Kommandobefugnisse. Ich war zunächst nur Vorsitzender der Serbischen Partei. Erst am 12. März 1992 wurde ich ins Präsidium der Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina gewählt.

Noch am gleichen Tag beauftragten wir General Mladic, unsere Armee aufzubauen. Am 20. Mai trat sie ihren Dienst an, aber bereits am 13. Mai habe ich den Befehl gegeben, daß die Menschenrechte und andere Konventionen einzuhalten sind. Mit dieser Anweisung wurden die Kommandeure verpflichtet, das Verhalten ihrer Soldaten zu überwachen und Fehlverhalten zu bestrafen.

SZ-Magazin: Die amerikanische Tageszeitung Newsday und der britische Nachrichtensender ITN brachten im August 1992 Berichte über Lager in Bosnien. Überall war danach von Konzentrations- und Todeslagern die Rede.

Karadzic: Das waren Lügen. Aber die ganze Welt stellte sich nach der Veröffentlichung gegen uns. Wir hatten viele Kriegsgefangene, weil Serben, Kroaten und Moslems gemeinsam in Dörfern und Städten lebten; aber sie wurden nicht getötet.

Unsere Leute mußten sie irgendwo unterbringen. Ich weiß nicht, wie die Bedingungen in diesen Lagern waren, aber dort waren keine Zivilisten eingesperrt, sondern nur Soldaten der moslemischen Armee und Männer, die gegen uns kämpften. Das Internationale Rote Kreuz hatte generell Zugang zu allen Lagern.

SZ-Magazin: Bestreiten Sie, daß in Omarska und anderen Lagern Menschen getötet und gefoltert wurden?

Karadzic: Ich kann Einzelfälle von persönlichen Racheakten nicht ausschließen. Schließlich herrschte Bürgerkrieg.

SZ-Magazin: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das Bild der abgemagerten Häftlinge hinter Stacheldraht sahen?

Karadzic: Von einem einzigen Moslem abgesehen, sahen die Menschen ganz normal aus - wobei natürlich zu berücksichtigen ist, daß große Lebensmittelknappheit herrschte, für alle. Diese Leute sahen nicht so aus, als wären sie gefoltert worden.

SZ-Magazin: Im selben Sommer ereignete sich auch das Brotschlangen-Massaker in Sarajevo, bei dem 14 Zivilisten starben, die vor einer Bäckerei anstanden. Das Attentat führte zum UN-Embargo gegen Serbien.

Karadzic: Jeder, der unparteiisch an diese Geschichte herangeht, weiß, daß die Moslems dafür die Verantwortung trugen...

SZ-Magazin: Ist das beweisbar?

Karadzic: Es gibt die Berichte der UN. Einige Leute in Washington sind dafür verantwortlich, daß diese Beweise unter Verschluß gehalten werden...

SZ-Magazin: Was steht in den Berichten?

Karadzic: Daß diese Granate nicht von einer serbischen Stellung kommen konnte. Anderswo heißt es, daß es sich um Sprengstoff gehandelt haben muss, der am Boden installiert war.

SZ-Magazin: Im August 1992 gab ihr Vizepräsident Nikola Koljevic den Befehl, die Nationale Bibliothek in Sarajevo zu zerstören, der dann von General Mladic ausgeführt wurde. Außerdem sind sie in Den Haag wegen des Einsatzes von Scharfschützen angeklagt, der "Snipers", die viele Zivilisten getötet haben. Alles reine Erfindung?

Karadzic: Kann mir irgendwer die Anordnung von Herrn Koljevic zeigen, die Bibliothek, die er selbst so liebte, zu zerstören? Er lehrte an der Universität englische Literatur. Ich habe Aufnahmen vom Brand gesehen. Die Bibliothek brannte an vielen Stellen gleichzeitig. Sie wurde niedergebrannt, weil sie eine westliche Institution war, von Österreich und Ungarn erbaut. Die Moslems lehnen dieses kulturelle Erbe ab...

SZ-Magazin: Aber die Heckenschützen in Sarajevo - die gehörten doch zu Ihrer Armee?

Karadzic: Wissen Sie eigentlich, wie viele Serben von Heckenschützen erschossen worden sind? Ich will die Möglichkeit nicht ausschließen, daß einige Serben zurückgeschossen haben. Aber ich kann Ihnen versichern, daß General Mladic den Einsatz von Heckenschützen niemals zugelassen hätte - schon gar nicht gegen Zivilisten.

SZ-Magazin: Wer waren dann die "Snipers"?

Karadzic: Man kann in einem Bürgerkreig nicht alles unter Kontrolle haben. Viele Dinge geschahen ohne jeden Befehl. Die gesamte Nation war bewaffnet.

SZ-Magazin: Wollen Sie die Moslems für alles, was geschah, selbst verantwortlich machen?

Karadzic: Ist Ihnen bewußt, daß achtzig Prozent der getöteten UN-Soldaten erwiesenermaßen von moslemischen Heckenschützen erschossen wurden - achtzig Prozent! Bei den anderen zwanzig ist die Täterschaft unklar.

SZ-Magazin: Das hören wir in der Tat zum ersten Mal. Aber wir verstehen natürlich, daß Sie Vorwürfe des UN-Tribunals nach Möglichkeit zu entkräften suchen. Ein anderes Beispiel: Am 28. August 1995 explodierte eine Granate auf dem Marktplatz Markale in Sarajevo - 68 Menschen starben.

Das Massaker führte zu massiven Nato-Luftangriffen gegen serbische Stellungen. Ihre Armee hat auch für diesen Anschlag die Verantwortung zurückgewiesen.

Karadzic: Können Sie sich vorstellen, daß 68 Menschen von einer einzigen Granate getötet werden, von der noch nicht einmal ein Pfeifen zu hören war?

Dieses Szenario war gestellt. Unter den Opfern waren Leichen, die schon Wochen alt waren. Das ganze ist eine ziemlich billige story, aber wenn man ein bestimmtes Interesse damit verbindet, glaubt man so etwas. Lesen Sie nach, was Lord Owen, der US-General Charles Boyd und der russische UN-General Andrej Demurenko über diesen Vorfall gesagt haben.

SZ-Magazin: Unseres Wissens hat keiner dieser Herren explizit die Moslems für den Anschlag auf dem Marktplatz verantwortlich gemacht. Und der UN-Beauftragte David Owen schrieb, daß innerhalb von 24 Stunden alle Zweifel beseitigt waren, daß die Granate von Serben abgefeuert wurde.

Karadzic: Keiner mag explizit gesagt haben, daß die Moslems verantwortlich waren. Aber interessanterweise war das schon genug, um die Serben als Urheber dieses Anschlags zu bezeichnen. Eine seltsame Art, Schlußfolgerungen zu ziehen. Da gibt es noch andere Geschichten, zum Beispiel die Vergewaltigungsvorwürfe.

Überlegen Sie selbst: Wären wirklich, wie in den Medien behauptet, 80.000 Frauen wiederholt vergewaltigt worden: Wie viele Kinder hätten zur Welt kommen müssen? Wo sind diese Kinder?

SZ-Magazin: In der Zeit vom 26. Mai bis 2. Juni 1995 nahm die bosnisch-serbische Armee 284 UN-Soldaten als Schutzschilde. Auch diese Geiselnahme ist Teil der Anklage in Den Haag.

Karadzic: Wenn behauptet wird, UN-Soldaten seien Geiseln gewesen, kann etwas nicht stimmen. Laut internationalem Recht gilt der Begriff "Geisel" nur für Zivilisten.

Die UN waren weder eine zivile noch eine unparteiische Macht. Ihre Soldaten haben gegen uns Partei ergriffen, indem sie sich an der Bombardierung serbischer Stellungen beteiligten. Deshalb hatten unsere Soldaten das Recht, sich zu verteidigen. Es war eine verzweifelte Aktion, aber sie war legitim.

SZ-Magazin: Wegen Srebrenica hat das Tribunal gesondert Anklage gegen Sie und Ratko Mladic erhoben. Als Ihre Armee die Sicherheitszone im Juli 1995 einnahm, wurden viele Menschen getötet...

Karadzic: Woher wissen Sie, daß viele Menschen getötet wurden?

SZ-Magazin: Im vorigen Jahr hat die UN damit begonnen, Massengräber zu öffnen. Man spricht von bis zu 8.000 vermißten Personen.

Karadzic: 3.000 dieser 8.000 Vermißten haben im September 1996 gewählt. Ihre Namen sind auf Wählerlisten aufgetaucht. Wir haben in derselben Gegend mehr als fünfzig Massengräber ausgehoben.

Der UN-General Phillippe Morillon war damals dabei. In den Gräbern lagen jeweils zwischen zehn und fünfzig serbische Soldaten und Zivilisten, die von Moslems aus Srebrenica getötet wurden. Wir können Ihnen ihre Namen nennen und das Datum, an dem sie getötet wurden.

SZ-Magazin: Wie viele Moslems wurden getötet, als die Schutzzone eingenommen wurde?

Karadzic: Das weiß ich nicht genau. Aber Srebrenica war nie eine Schutzzone. Auch der ehemalige UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali hat mehrmals bestätigt: "Das Gebiet ist nicht entmilitarisiert worden, wie es vorgesehen war."

SZ-Magazin: Es gibt also gar kein Massaker?

Karadzic: Absolut nicht. Das ist wieder eine dieser Geschichten, die von Moslems fabriziert und von den Medien gekauft wurden.

SZ-Magazin: Man bekommt den Eindruck, die Serben hätten keinen wirklichen, sondern einen Propagandakrieg verloren.

Karadzic: Dieser Krieg wurde durch fremde Regierungen und mächtige Medienanstalten ausgelöst, und er wurde durch CNN und andere verschlimmert. Die Serben sind durch Betrug und Fälschungen dämonisiert worden. Die ganze Welt wollte schließlich, daß wir geschlagen werden. Das war ein Verbrechen an meinem Volk, und wir werden niemals vergessen oder vergeben, was uns angetan wurde.

Wir waren 1,5 Millionen Serben in Bosnien. Drei Millionen Moslems und Kroaten aus Bosnien standen uns gegenüber, zusätzlich 5,5 Millionen Kroaten aus Kroatien, und niemad half uns.

SZ-Magazin: Man darf wahrscheinlich auch nicht behaupten, daß Sie extrem nationalistisch eingestellt sind?

Karadzic: Ich bin ein sehr gemäßigter Nationalist, etwa wie ein durchschnittlicher Franzose. Meiner Meinung nach sollten die Nationen nicht verschwinden. Ich finde es angenehm, wenn ich einen echten Franzosen treffe oder einen echten Deutschen, einen Briten, einen Moslem oder einen Italiener.

Sie haben etwas, was auch Blumen haben - eine Art eigenen Duft. Wenn man alle Menschen gleichmacht, zerstört man die Unterschiede. In diesem Sinne bin ich ein Nationalist.

SZ-Magazin: Glauben Sie, es hätte einen friedlichen Weg bei der Auflösung Jugoslawiens geben können?

Karadzic: Es ist sehr selten, daß ein Land zerteilt und neue Grenzen gezogen werden, ohne daß Blut fließt. Aber wenn Slowenien die Frage nach seiner Unabhängigkeit im Parlament gestellt hätte, hätte es sicher die Unterstützung der anderen Teilstaaten dafür erhalten. Kroatien konnte Jugoslawien unmöglich friedlich verlassen, weil die Serben in der Krajina es nicht akzeptiert hätten, zu einer Minderheit zu werden.

Das gleiche gilt für Bosnien. Schließlich akzeptieren wir aber doch die Vereinbarungen von Lissabon, die denen von Dayton sehr ähnlich waren. Wenn der damalige US-Botschafter für Jugoslawien, Warren Zimmermann, die moslemische Führung nicht dazu gedrängt hätte, das Abkommen zu brechen, hätte es keinen Krieg gegeben.

SZ-Magazin: Worin sehen Sie heute die größte Bedrohung des Friedens in Bosnien?

Karadzic: Die größte Gefahr liegt in der Aufrüstung der bosnischen Armee und darin, daß die Moslems sich weiter Hoffnungen machen, ganz Bosnien dominieren zu können.

Mir scheint, die europäischen Länder sind nicht entschlossen genug, diese Aufrüstung zu stoppen. Schon ein kleines moslemisches Bosnien dürfte Europa gehörig Kopfschmerzen bereiten. Vielleicht sollten wir besser den gesamten Balkan entmilitarisieren.

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