Interview: Frank-Walter Steinmeier:"Der Zeitgeist weht ein wenig grün"

Nach seiner Operation spricht Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier über die Ökopartei und die Versäumnisse seiner Partei. Dabei gibt er sich äußerst optimistisch.

N. Fried und S. Höll

SZ: Herr Steinmeier, Sie sind nach Ihrer Operation fast zwei Wochen lang wieder im politischen Betrieb. Haben Sie die Rückkehr manchmal schon bereut?

German SPD party parliamentary leader Steinmeier addresses Bundestag in Berlin

Von einer dauerhaft geschädigten SPD will ihr Frakionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier nichts wissen: "Das kann man auch herbeireden", sagt er. 

(Foto: REUTERS)

Steinmeier: Überhaupt nicht. Ich bin sehr nett empfangen worden. Die alte Frische, die Kraft ist wieder da. Nur mein Vorsatz, mehr Disziplin im Terminkalender zu wahren, gerät schon wieder ins Rutschen.

SZ: Sie kehren zu einer Zeit zurück, in der die SPD politisch kaum wahrgenommen wird, die Grünen aber ein Hoch erleben. Nicht schön, oder?

Steinmeier: Na ja, man kann das auch herbeireden. Im Klartext: Ja, mit den Umfragewerten der SPD bin ich noch nicht zufrieden. Aber wir haben uns seit der Bundestagswahl ein Stück weit erholt und es wird noch besser werden. Dennoch haben Sie recht: Der Zeitgeist weht gerade ein wenig grün, und dann schaut das Publikum nicht so genau hin, ob in der grünen Politik alles zueinanderpasst.

SZ: Und Sie sind verärgert über diesen grünen Zeitgeist?

Steinmeier: Nein. Ich bin weder verzweifelt noch larmoyant. Die Grünen sind der Partner, den ich mir für die SPD wünsche - in den Ländern und 2013 im Bund. Wir haben eine freundschaftliche Konkurrenz. Die SPD hatte im vergangenen Jahr viel Internes aufzuarbeiten: Afghanistan, Arbeitsmarkt, Rente. Jetzt werden wir uns sehr viel stärker nach vorn profilieren müssen. Die Themen sind klar: Arbeit und Wirtschaft, Bildung und Integration.

SZ: Manche Sozialdemokraten beschimpfen die Grünen dieser Tage und erwecken so den Eindruck, die SPD sei eine beleidigte Leberwurst. Ist das tatsächlich freundschaftliche Konkurrenz?

Steinmeier: Eine selbstbewusste SPD hat keinen Anlass, in Angst oder Weinerlichkeit zu verfallen. Ich sehe Rot und Grün auf derselben Seite des politischen Spektrums. Wir arbeiten beide an Zukunftsfragen - mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die rot-grünen Regierungsjahre werden erst heute als wirklicher Gewinn für Deutschland erkannt. Leider ein wenig spät, aber darin liegt auch eine Chance. Denn wir haben in jener Regierungszeit bewiesen, dass die Grünen mit ihrer jüngeren Geschichte und ihren ökologischen Ideen zusammen mit der traditionsreicheren SPD und ihren Herzensthemen Arbeit und soziale Gerechtigkeit wegweisende Politik machen können. Sozialdemokraten und Grüne haben voneinander gelernt. Aber die Frage, was eine Gesellschaft im Innersten zusammenhält, ist schließlich das Kernthema von 150 Jahren Sozialdemokratie. Und es wird gebraucht, mehr denn je.

SZ: Wie soll denn die neue Profilierung der SPD aussehen?

Steinmeier: Nehmen wir das Beispiel Integration. Ich bin stinksauer, dass wir so viel Zeit verloren haben. Wir brauchen erst Empörungsliteratur . . .

SZ: . . . wie das umstrittene Buch Ihres Parteikollegen Thilo Sarrazin, der aus der SPD ausgeschlossen werden soll.

Steinmeier: . . . um zu begreifen, dass mehr Ehrgeiz in der Bildung der Schlüssel ist. Unseren Facharbeitermangel in Deutschland haben wir selbst produziert. Ich habe schon vergangenes Jahr vorgeschlagen, dass wir ein eigenständiges Ministerium für Bildung und Integration schaffen sollten. Nur wer die beiden Themen verknüpft, kann das Problem lösen. Und wir müssen uns auch selbst bemühen, damit Migranten in der Wirtschaft, der Gesellschaft, aber auch und gerade in der SPD auf allen Ebenen künftig stärker vertreten sind, als es bislang der Fall ist.

"Merkels Nachfolger wird einer von uns"

SZ: Was erwartet uns beim Thema Arbeit?

Steinmeier: Im Bundestagswahlkampf habe ich ein Konzept vorgelegt, wie in Deutschland wieder Vollbeschäftigung erreicht werden kann. Damals fanden viele diesen Deutschland-Plan zu optimistisch. Heute sehen sie: Es kann funktionieren. Wir haben jetzt weniger als drei Millionen Arbeitslose. Ich will eine starke Volkswirtschaft, in der neue Technologien kräftig wachsen und die Grundstoffindustrie erhalten bleibt. Und wir dürfen nicht die Prinzipien aufgeben, die Deutschland wirtschaftlich stark gemacht haben. Was aber macht die Bundesregierung? Union und FDP liegen auf dem Sonnendeck, der Bundeswirtschaftsminister faselt vom Aufschwung XXL und kümmert sich nicht.

SZ: Worum sollte sich der Wirtschaftsminister denn kümmern?

Steinmeier: Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung nichts tut zur Bewahrung der Tarifeinheit in Unternehmen, obwohl seit Wochen Vorschläge auf dem Tisch liegen. Und noch skandalöser ist die komplette Tatenlosigkeit bei Hochtief.

SZ: Was erwartet der SPD-Fraktionsvorsitzende?

Steinmeier: Union und FDP sagen, sie seien im Prinzip bereit zur Änderung des Übernahmerechts, nur nicht jetzt. Sie wollen das Unternehmen erst aus Prinzip opfern und erst dann handeln. Das ist entweder Arbeitsverweigerung oder zynisch. Die SPD wird in der kommenden Woche im Bundestag einen Gesetzesvorschlag einbringen, mit dem die Schutzvorschriften bei Unternehmensübernahmen dem europäischen Standard angeglichen werden sollen.

SZ: Die Wirtschaft läuft gut, die Steuereinnahmen steigen. Bleibt die SPD dabei, die Spitzensteuern zu erhöhen, auch wenn die Konjunktur floriert?

Steinmeier: Ich freue mich, dass Deutschland besser dasteht als andere Länder, schließlich ist das ja auch ein Erfolg der SPD. Wenn die Bundesregierung Mehreinnahmen nicht zur Schuldentilgung einsetzt, sondern ihre Klientelpolitik mit Steuersenkungen auf Pump fortsetzt, wäre das unverantwortlich. Es ist doch nicht so, dass wichtige Staatsausgaben in unserem Lande finanziert wären. Bildung etwa, da fehlt es an allen Ecken und Enden. Deshalb kann die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auch nicht vom Tisch.

SZ: Die Regierungskoalition hat keine eigene Mehrheit im Bundesrat mehr und sie wird mit der SPD über die Neuordnung der Hartz-IV-Leistungen verhandeln müssen. Welche Zugeständnisse muss Schwarz-Gelb machen?

Steinmeier: Ohne Bewegung beim Mindestlohn sehe ich keine Einigung im Bundesrat. Anständige Löhne sind der beste Schutz vor Armut. Das Bildungspaket für Kinder muss größer werden. Wir brauchen mehr Sozialarbeiter an den Schulen in Problembezirken. Und die Regierung muss uns erklären, wie sie den Regelsatz für alleinstehende Langzeitarbeitslose errechnet hat. Mir scheint, die Rechenkünste von Frau von der Leyen sind mehr von Herrn Westerwelles Angst vor römischer Dekadenz geprägt als von den Vorhaben des Bundesverfassungsgerichts.

SZ: Die SPD will den Ausstieg aus dem Atomausstieg verhindern, notfalls mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht, und wirft der Koalition vor, eine grundgesetzwidrige Regelung auf den Weg zu bringen. Kann Bundespräsident Christian Wulff ein solches Gesetz am Ende dieses Jahres guten Gewissens unterzeichnen?

Steinmeier: Ein solches Gesetz kann niemand guten Gewissens unterzeichnen.

SZ: Im Januar wird das Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr verlängert. Macht die SPD mit?

Steinmeier: Unsere Zustimmung kann man nur erwarten, wenn sich die Regierung an ihre Zusagen hält: keine weiteren Erhöhungen der deutschen Truppenkontingente in Afghanistan, Übergabe befriedeter Regionen in afghanische Verantwortung, Beginn der Reduzierung deutscher Truppen im Jahr 2011 mit dem Ziel, den Rückzug im Jahr 2014 zu beenden.

SZ: Auch mit Blick auf den ungewissen Ausgang der Landtagswahl in Baden-Württemberg wird viel über das Personal der Unionsparteien spekuliert. Wer wird denn nach Ihrer Meinung Nachfolger von Angela Merkel? Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen oder Umweltminister Norbert Röttgen?

Steinmeier: Von denen wird es sicher keiner. Es wird jemand von uns.

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