Interview:"Der Gesetzgeber hat Spielraum"

Ein Familiensplitting wäre verfassungskonform, sagt Richterin Christine Hohmann-Dennhardt. Die heutige Situation der Familien, insbesondere vieler Frauen, hätte sich geändert - und könnte deshalb ein Argument für Veränderungen sein.

Interview: Felix Berth

Darf der Bundestag das Ehegattensplitting ändern? Nein, meinen konservative Politiker. Ja, sagt die Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt.

SZ: Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den Schutz des Staates. Heißt das, dass das heutige Ehegattensplitting unantastbar ist?

Hohmann-Dennhardt: Nichts ist unantastbar, nur die Menschenwürde. Der Gesetzgeber hat beim Schutz von Ehe und Familie breiten Spielraum.

SZ: Doch das Bundesverfassungsgericht hat Grenzen gesetzt und das Einkommensteuergesetz 1951 verworfen.

Hohmann-Dennhardt: Das Gericht hat in seiner Entscheidung dazu im Jahr 1957 festgestellt, dass die Zusammenveranlagung von Eheleuten in einem System der Steuerprogression unvereinbar ist mit dem Schutz von Ehe und Familie. Schon damals wies das Gericht allerdings darauf hin, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, dies zu korrigieren.

SZ: Der Gesetzgeber entschied sich für das Ehegattensplitting - also für eine Förderung der Hausfrauenehe.

Hohmann-Dennhardt: Der Gesetzgeber hatte damals die reale wirtschaftliche Situation der meisten Ehen und Familien im Blick. Er wollte die besondere Leistung der verheirateten Hausfrau und Mutter anerkennen; Ehe und Familie galten damals als praktisch identisch. Mit dem Ehegattensplitting wollte der Gesetzgeber also Ehe- und Familienförderung betreiben. Wenn sich heute die Situation der Familien, insbesondere vieler Frauen, geändert hat, kann dies durchaus ein Argument für Veränderungen sein. Schließlich schützt Artikel 6 des Grundgesetzes nicht nur die Ehe, sondern auch die Familie.

SZ: Politiker aus SPD und Union fordern ein Familiensplitting, also eine Ergänzung des Systems, welche Kinder als steuermindernd einbezieht. Halten Sie dies für verfassungsrechtlich möglich?

Hohmann-Dennhardt: Ich könnte mir das vorstellen.

SZ: Ein Argument gegen ein Familiensplitting lautet: Es hilft vor allem den Besserverdienern. Denn sie haben wegen der Steuerprogression die höchsten Sätze, werden also am stärksten entlastet.

Hohmann-Dennhardt: Diese Effekte müsste man natürlich berücksichtigen. Doch darauf kann der Gesetzgeber bei der Konstruktion eines Familiensplittings achten. Die Höhe der Splittingvorteile lässt sich begrenzen; auch kann man die Vorteile mit steigender Kinderzahl anwachsen lassen. Gestaltungsspielräume dafür existieren. Eine zweite politische Frage stellt sich allerdings auch: die Frage, ob steuerliche Entlastungen sinnvoller sind als ein staatlich finanzierter Ausbau der Kinderbetreuung. Für mich steht außer Frage, dass im Bereich der Kinderbetreuung massiv etwas getan werden muss.

SZ: Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957 klingt sogar eine gewisse Sympathie für eine individuelle Besteuerung beider Ehepartner durch - aus heutiger Sicht wirkt das sehr modern.

Hohmann-Dennhardt: Dem liegt eine rechtssystematische Überlegung zugrunde: der Gedanke nämlich, dass unser Steuerrecht von der Individualbesteuerung ausgeht. So gesehen ist eine Zusammenveranlagung von Ehegatten ein Relikt aus der Vergangenheit und daher systemfremd, so das Gericht damals. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Richter das Ehegattensplitting verworfen hätten: In einer weiteren wesentlichen Entscheidung im Jahr 1982 erklärten sie das gerade eingeführte Splitting für verfassungskonform.

SZ: Können Sie sich vorstellen, dass die Bundesrepublik ein Steuerrecht nach dem Vorbild Schwedens bekäme? Dort ist das Ehegattensplitting komplett abgeschafft.

Hohmann-Dennhardt: Im Prinzip haben auch wir eine Individual-Besteuerung - eben mit der einen Ausnahme des Ehegattensplittings. Die Frage ist also, ob man diese Ausnahme aufgibt oder durch ein Familiensplitting ergänzt.

SZ: Würde dieses Modell mit dem Grundgesetz kollidieren?

Hohmann-Dennhardt: Es gibt genau eine Frage, anhand derer das entschieden werden kann: Ob eine solche Regelung Ehen und Familien im Vergleich zu anderen benachteiligt. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach darauf hingewiesen, dass dies die zentrale Frage ist. In diesem Rahmen kann der Gesetzgeber seine Entscheidungen treffen.

SZ: Einige Politiker argumentieren, allein das Ehegattensplitting sei nach den Karlsruher Urteilen zulässig.

Hohmann-Dennhardt: Das kann unseren Entscheidungen meines Erachtens nicht entnommen werden.

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