Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen:"Im Notfall müsste man verfassungswidrig handeln"

Wird Katalonien weiter nach Unabhängigkeit streben? Vor allem darum geht es in der heutigen Wahl. Susanne Schmelzer lebt seit 20 Jahren in der Region. Im "Interview am Morgen" erklärt sie, warum sie sich für die Sezession einsetzt.

Von Karin Janker, Barcelona

Katalonien steht vor einer richtungweisenden Wahl. Heute sind die knapp 5,5 Millionen Wahlberechtigten der spanischen Region dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Bestimmendes Thema der Wahl ist die Frage, ob und wie sich die Region weiterhin um ihre Unabhängigkeit bemühen wird. Pro- und Contra-Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Zu den Favoriten im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter gehört die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), eine linke Partei, die vor allem im Hinterland der katalanischen Berge ihre Anhänger hat. Unter diesen sieht sich Susanne Schmelzer, die auf einer ERC-Liste in den Gemeinderat von La Morera de Montsant gewählt wurde. Die gebürtige Saarländerin lebt seit mehr als 20 Jahren in Katalonien und erhofft sich von der Unabhängigkeit vor allem ein effizienteres Bildungs- und Gesundheitssystem.

Interview am Morgen

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SZ: Frau Schmelzer, obwohl Sie selbst nicht die spanische Staatsbürgerschaft haben und deshalb heute gar nicht wählen dürfen, helfen Sie im Wahlkampf der ERC und werben für eine eigenständige katalanische Republik. Warum sollte die Region nicht Teil des spanischen Staats bleiben - vergleichbar etwa mit einem deutschen Bundesland?

Susanne Schmelzer: Der spanische Staat ist mit dem deutschen Föderalstaat nicht zu vergleichen, wo die Bundesländer etwa in Sachen Bildung autonom entscheiden können. Nach der Franco-Diktatur hätte man sich für eine solche Staatsform entscheiden können. De facto schaute man aber eher darauf, Spanien zu einer Einheit zu formen. Die katalanische Autonomiebewegung ist ein Symptom dafür, was in ganz Spanien, ja in ganz Europa falsch läuft: Die Menschen fühlen sich bevormundet von einer Regierung, die sich nicht in die Karten schauen lässt. Das macht sie wütend.

Was würden Sie Mariano Rajoy, dem spanischen Ministerpräsidenten, gerne ins Gesicht sagen?

Das, was ich ihm zu sagen hätte, wäre nicht besonders höflich. Vor allem würde ich ihm raten, eine Lektion in Demokratie zu belegen. Sein autoritärer Führungsstil hat viele Katalanen provoziert. Und er setzt weiterhin auf Eskalation: Die Mossos, die katalanische Polizei, die seit der Amtsenthebung der katalanischen Regierung direkt Madrid unterstellt ist, muss jetzt beispielsweise alle gelben Schilder entfernen, die in der Nähe von Wahllokalen angebracht sind.

Gelb ist in den vergangenen Wochen zur Farbe derer geworden, die sich für die Sezession Kataloniens einsetzen und die Verhaftung katalanischer Politiker kritisieren. Angenommen diese Kräfte würden die Wahl gewinnen, stünde ihren Unabhängigkeitsbestrebungen noch immer die spanische Verfassung entgegen. Was wären die nächsten Schritte bei einem solchen Wahlausgang?

Wenn die Parteien, die für die Unabhängigkeit kämpfen, eine Mehrheit im Parlament erringen, könnten sie entweder den bisherigen Präsidenten Puigdemont aus dem belgischen Exil zurück ins Amt holen oder aber Oriol Junqueras oder Marta Rovira, die beiden wichtigsten Protagonisten der ERC, könnten die Präsidentschaft übernehmen. Jeder der drei hätte das Zeug dazu. Danach müsste diese Regierung alles dafür tun, dass Katalonien ein unabhängiger Staat wird.

Obwohl das der spanischen Verfassung widerspricht?

Im Notfall müsste man verfassungswidrig handeln.

Das Referendum am 1. Oktober war ja bereits verfassungswidrig. Danach erklärte die katalanische Regierung in etwas schwammiger Weise die Unabhängigkeit, um sie dann sogleich aber wieder auszusetzen. Waren Sie in dem Moment von Puigdemont enttäuscht?

Nicht nur ich, viele Katalanen waren enttäuscht. Puigdemont wurde in dem Moment als Umfaller wahrgenommen. Aber ich denke auch, dass man den Politikern in so einem Moment Vertrauen schenken muss. Puigdemont wird gewusst haben, warum er so taktiert und handelt. Er hat Respekt dafür verdient, dass er versucht hat, die Situation ohne größere Konflikte zu retten. Ich bin stolz darauf, dass die Demonstrationen die ganze Zeit über so friedlich ablaufen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein anderer Wind weht, wenn heute Abend wirklich die Konstitutionalisten gewinnen und viele ihre Chance auf ein unabhängiges Katalonien vergehen sehen.

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