Erdoğan in Deutschland:"Welcher Deal läuft da eigentlich?"

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Hilime Arslaner-Gölbaşı: "Weil man bis jetzt nicht den Eindruck hat, dass sich der türkische Präsident von seinem harten und undemokratischen Kurs verabschiedet hätte."

(Foto: privat)

Die Grünen-Politikerin Hilime Arslaner-Gölbaşı spricht über Erdoğans Staatsbesuch und darüber, was er für Deutsche mit türkischen Wurzeln bedeutet.

Interview von Stefan Braun, Berlin

Volkswirtin Hilime Arslaner-Gölbaşı sitzt seit 2011 für die Grünen im Stadtparlament von Frankfurt. Die 47-jährige Deutsche mit türkischen Wurzeln engagiert sich seit Jahrzehnten in der Integrationspolitik. Im Interview spricht sie darüber, was Erdoğans Besuch in Deutschland für sie bedeutet - und was sie sich erhofft.

SZ: Die Türkei hat verloren, Deutschland hat gewonnen, die Fußball-EM 2024 wird hier ausgetragen. Was bedeutet das für die türkischstämmigen Menschen in Deutschland?

Arslaner-Gölbaşı: Diese Entscheidung hat den Charme, dass die Türkeistämmigen in Deutschland in jedem Fall Grund zur Freude haben, ob unser Herkunftsland Austragungsort wäre oder unsere Wahlheimat, in beiden Fällen " sind wir dabei". Gerade für Frankfurterinnen gibt es besonderen Anlass zur Freude, da etwa fünf Spiele hier ausgetragen werden. Ich persönlich finde es auch wichtig, dass bei solchen Entscheidungen die Menschenrechtssituation der kandidierenden Länder in Betracht gezogen wird. Allerdings hätte unter dieser Prämisse weder Russland noch Katar zum Zuge kommen dürfen.

Was geht Ihnen durch den Kopf angesichts der Tatsache, dass Recep Tayyip Erdoğan in Berlin als Staatsgast empfangen wird?

Sofort frage ich mich: Welcher Deal läuft da eigentlich? Was steckt dahinter. Das ist gar nicht schön, aber unvermeidlich, weil der Streit so lange schon währt und so tief in die Seelen eingedrungen ist. Und weil man bis jetzt nicht den Eindruck hat, dass sich der türkische Präsident von seinem harten und undemokratischen Kurs verabschiedet hätte.

Was müsste passieren, damit Sie nichts Geheimes mehr fürchten würden?

Es bräuchte bei Erdoğan eine klare Botschaft der Umkehr. Das heißt: Er müsste die aus politischen Gründen inhaftierten deutschen und türkischen Journalisten, Wissenschaftler, Intellektuellen freilassen. Und er müsste sein Handeln und Auftreten so ändern, dass er nicht mehr unentwegt den türkischen Nationalismus anfacht, sondern die Spannungen mindert. In der Türkei wie bei uns hier in Deutschland. Diese Spannungen sind sehr groß, weil die Anhänger Erdoğans hier in Deutschland fast genauso aggressiv auftreten wie er. Und in einigen Teilen der deutschen Gesellschaft eine Ablehnung Erdoğans gleichgesetzt wird mit einer Ablehnung der Türkeistämmigen hier. Menschen wie ich stehen dazwischen und fühlen sich gar nicht wohl, von beiden Seiten so angegangen zu werden.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Besuch?

Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung und der Bundespräsident klare Worte finden und sich nicht wegducken. Sie müssen die Lage in der Türkei thematisieren; sie müssen Erdoğan auf die Inhaftierten ansprechen. Und sie dürfen keine versteckte zweite Agenda, wie zum Beispiel Geschäftsinteressen von Rheinmetall und Co im Hintergrund haben. Sonst wäre der Besuch fatal, weil die vielen harten Erdoğan-Anhänger sonst hinterher nur erklären werden, Deutschland sei eben doch vor dem großen Weltenlenker Erdoğan eingebrochen. Kaum etwas wäre für die demokratisch und säkular orientierten Menschen mit türkischen Wurzeln schlimmer. Deshalb ist es so wichtig, dass Berlin transparent und offen mit Erdoğan spricht.

Klingt fast so, als wären Sie gegen diese Form des Staatsbesuchs. Wäre Ihnen eine kleine Visite lieber gewesen, ganz ohne Pomp und Staatsbankett?

Nein, ich finde das richtig. Diese Art der allgemeinen Wertschätzung verhindert, dass Erdoğan hinterher wieder behaupten könnte, er sei nicht gut behandelt worden. Auf dieser Klaviatur spielt er zu gern. Gerade deshalb ist die große Geste wichtig. Vielleicht gelingt es auf diese Weise sogar, dass er besser zuhört, sich wohl fühlt, plötzlich moderater wird. Ich bin mir da keineswegs sicher. Aber ein Versuch ist es wert.

Der Streit mit Erdoğan und seine Einflussnahme auf die türkischen Gemeinden in Deutschland haben in den vergangenen zwei Jahren für schwere Spannungen gesorgt. Auch innerhalb der türkeistämmigen Gemeinschaft hierzulande. Lassen sich diese Gräben noch mal schließen?

Es wäre schlimm, wenn ich die Hoffnung darauf aufgeben würde. Wir müssen das hinbekommen. Außerdem wird Erdoğan nicht ewig der Präsident sein. Wir müssen also auch an die Zeit danach denken. Aber es ist schon bitter; die Risse gehen zum Teil durch die einzelnen Familien. Kein guter Zustand, der durch die Affäre um Mesut Özil noch befeuert wurde.

Der Fall hat heftige Debatten ausgelöst. Konnten Sie das verstehen?

Ich konnte verstehen, dass sich die Menschen aufregen. Ich habe ja selber nicht verstanden, wie Gündoğan und Özil den türkischen Präsidenten als ihren Präsidenten bezeichnen konnten. Das Schlimmste daran waren aber die gegenseitigen Verstärkungsprozesse. Der unbedachte Auftritt der beiden, die heftigen Reaktionen bestimmter deutscher Medien darauf und Özils Rücktritt haben alle in die gleiche Richtung gewirkt. Sie haben das bei vielen jungen Türken ohnehin vorhandene Gefühl bestätigt, dass sie in Deutschland am Ende doch nicht dazu gehören. Gleichzeitig wurde damit den Gegnern der deutschen Vielfaltfsgesellschaft in die Hände gespielt und antitürkische und antiislamische Stimmen wurden lauter.

Wie lange wird das nachwirken?

Ich fürchte lange. Weil sich alle Kräfte, die eher trennen als zusammenführen, bestätigt fühlen. Özil als schwieriges Vorbild, dazu aggressive Medien und dann noch ein Abschied mit Pauken und Trompeten - das bleibt erst mal im Gedächtnis. Und dazu kommen auch noch Erdoğans Anhänger, die das schlechte Gefühl weiter füttern mit ihrem "Seht her, wir haben es euch doch immer gesagt".

In der besten aller Welten: Was wünschten Sie sich, damit die Lage besser wird?

Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung der Türkei doch noch den Weg in die EU ermöglicht, also offen über einen möglichen Beitritt verhandelt. Das mag derzeit absurd erscheinen. Aber der größte Fehler der EU war es, die Tür 2005 zuzuschlagen. Es war eine Provokation für alle Türken, mit der Türkei Beitrittsgespräche zu beginnen, aber gleichzeitig zu sagen, man werde sie auf keinen Fall aufnehmen. Deshalb: In der besten aller Welten sollte es ergebnisoffene Gespräche geben. Dann hätten wir wirklich einen Einfluss auf die Entwicklungen in der Türkei. Und wir würden die demokratischen Kräfte massiv stärken.

Und was würden Sie sich hier in Deutschland erhoffen?

Ich wäre sehr froh, wenn die deutschen Behörden es nicht länger zuließen, dass die Türkei türkische Schulen, türkische Kitas und Kulturveranstaltungen finanziert. Dies sollten deutsche Institutionen übernehmen. Erst dann findet Anerkennung statt, erst dann ist mehr Unabhängigkeit von Erdoğan möglich und wahrscheinlich.

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