Interpol:Eintrag gelöscht - nach 20 Jahren

Interpol: Unliebsamer Aktivist für Peking: Dolkun Isa, der heutige Präsident des "Weltkongresses der Uiguren".

Unliebsamer Aktivist für Peking: Dolkun Isa, der heutige Präsident des "Weltkongresses der Uiguren".

(Foto: AFP)

Die Behörde reformiert die oft von autoritären Regierungen missbrauchte Fahndungsarbeit.

Von Lena Kampf, Berlin

Zwei Tage lang saß Dolkun Isa 2009 im Transitbereich des Flughafens Seoul fest. Keine Dusche, kaum Schlaf, zu essen gab es nur Hühnersandwich und Orangensaft. Sein Betreuer aus der deutschen Botschaft brachte ihm einen Rasierer mit. Die südkoreanischen Behörden wollten Isa nach China deportieren, wo ihm eine lange Haft oder gar die Todesstrafe drohte. Verhindert wurde dies - wohl nur knapp - durch die deutschen Diplomaten, die Isa letztlich in einen Flug zurück nach München setzten.

Mehr als 20 Jahre lang wurde Dolkun Isa per Red Notice von China über Interpol gesucht. Der Aktivist und heutige Präsident des "Weltkongresses der Uiguren" war Mitte der Neunzigerjahre aus China geflohen, er hatte sich für die Gleichberechtigung des muslimischen Turkvolks eingesetzt. In Deutschland wurde er als politischer Flüchtling anerkannt, ist seit 2006 deutscher Staatsbürger und wohnt mit seiner Familie in München.

Der Fall des Schriftstellers Doğan Akhanlı hat Kritik ausgelöst

Die Festnahme am Flughafen Seoul war nicht seine einzige. 2005 wurde er in Genf und zuletzt im Sommer 2017 in Italien kurzzeitig verhaftet. In die USA und in die Türkei wurde ihm die Einreise verweigert, von Indien ein bereits ausgestelltes Visum wieder entzogen. Isa sei ein Terrorist, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministers im Juli, die internationale Gemeinschaft müsse eng zusammenarbeiten, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Seit Herbst 2016 ist Meng Hongwei, Chinas Vizeminister für öffentliche Sicherheit, neuer Präsident von Interpol. "Chinas Arm", sagt Dolkun Isa, "ist immer länger geworden."

Dass autoritäre Regime das weltweite Fahndungssystem Interpols missbrauchen, um politischer Dissidenten auch im Ausland habhaft zu werden, ist ein Missstand, den Bürgerrechtsorganisationen seit Langem anprangern. Bisher hat sich die internationale Polizeiorganisation stets gegen diesen Vorwurf verwahrt. Missbrauch sei die Ausnahme, heißt es in Lyon, wo Interpol seinen Sitz hat.

Spätestens seit im Sommer der deutsch-türkische Schriftsteller Doğan Akhanlı aufgrund eines Interpol-Fahndungsaufrufs der Türkei im Spanienurlaub festgenommen wurde, stehen zumindest die deutschen Behörden vielem, was von Interpol kommt, deutlich kritischer gegenüber. Interpol-Fahndungsersuche, die die Türkei oder Aserbaidschan verschicken, werden in Deutschland einer vertieften Prüfung unterzogen.

Doch nun scheint sich auch bei Interpol selbst etwas zu bewegen. Ende Februar erhielt Dolkun Isa Nachricht aus Lyon. Interpol habe entschieden, dass seine Verfolgung durch China eine "überwiegend politische Dimension" habe. China verstoße damit gegen die Regeln der Polizeiorganisation, die in Fällen politischer Verfolgung nicht tätig werden darf. Isa ist überrascht, nach der Ernennung von Meng Hongwei zum Präsidenten habe er erst recht nicht mehr mit einer positiven Entscheidung gerechnet, sagt er.

Erst seit 2016 haben Betroffene wirksame Rechtsmittel, um sich gegen die Vorwürfe zu wehren

Dass es mehr als 20 Jahre dauerte, bis Isas Eintrag gelöscht wurde, hat mit unzureichenden Beschwerdemechanismen bei Interpol zu tun und mit der bisher fehlenden Einsicht, überhaupt ein Problem zu haben. Mehrmals hatte Dolkun Isa Anträge auf Akteneinsicht bei der zuständigen Datenschutzkommission gestellt, sie wurden ihm verweigert. Einmal musste Isa 24 Monate auf eine Antwort von Interpol warten, sagt er. Dann hatte China Inhalte des Fahndungsgesuchs sperren lassen. Doch gegen Vorwürfe, die man nicht kennt, kann man sich nicht verteidigen.

Jürgen Stock, Generalsekretär von Interpol und ein ehemaliger BKA-Vizepräsident, hatte bei seinem Amtsantritt 2014 Reformen angekündigt. Im November 2016 wurde beschlossen, den Betroffenen erstmals wirksame Rechtsmittel einzuräumen, wie etwa das Recht auf Akteneinsicht, ebenso wie die Vorgabe, bestimmte Fristen einzuhalten. Die Kommission habe seitdem auch deutlich mehr Angestellte, so eine Sprecherin von Interpol.

Die Londoner Menschenrechtsorganisation "Fair Trials", die außer Dolkun Isa viele unschuldig über Interpol Verfolgte betreut, sieht die Löschung seiner Fahndung als Zeichen, dass diese Reformen bei Interpol nun greifen. Isa ist nicht der einzige Klient, der eine positive Nachricht erhalten hat, sagt der Geschäftsführer Jago Russels. Interpol habe damit begonnen, Altfälle aufzuarbeiten, bestätigen auch Justizkreise. Dass Unschuldige wie Dolkun Isa oder Doğan Akhanlı überhaupt auf die Most-Wanted-Liste geraten, vermag Interpol freilich weiterhin nicht zu verhindern.

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