Internet:Wehe, wenn etwas nicht ins Raster passt

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Allein auf Youtube werden Tausende Stunden Videomaterial hochgeladen – pro Minute. Eine Kontrolle wäre nur mit Upload-Filtern möglich.

(Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Wie Upload-Filter funktionieren, wo Internet-Firmen wie Facebook oder Microsoft sie bereits einsetzen - und warum die Technik zwangsläufig Fehler machen muss.

Von Simon Hurtz

Die neue Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union besteht aus zwei Dutzend Artikeln, der Gesetzestext umfasst nicht weniger als 80 Seiten. Es gäbe also eine Menge Stoff, über den man diskutieren könnte. Am erbittertsten streiten Gegner und Befürworter der Reform aber über ein Wort, das das Dokument gar nicht enthält: Upload-Filter. "Zensurmaschinen" befürchten die einen, vor "Panikmache" warnen die anderen.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht Artikel 13. Er betrifft Online-Plattformen, die Inhalte öffentlich zugänglich machen. Die Betreiber sollen "bestmögliche Anstrengungen" unternehmen, um zu verhindern, dass Nutzer urheberrechtlich geschütztes Material veröffentlichen. Wie soll das gehen? Praktiker sagen, dass dazu sogenannte "Upload-Filter" nötig sind. Weil der Begriff aber gar nicht auftaucht, werfen Unterstützer der Reform der Gegenseite eine irrationale Kampagne vor. "Es gibt keine Verpflichtung für Upload-Filter", sagte etwa Grünenpolitikerin Helga Trüpel der Süddeutschen Zeitung.

Viele Juristen, Netzpolitiker, Bürgerrechtler und IT-Experten sehen das anders. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sagt, dass es "in der praktischen Anwendung auf Upload-Filter hinauslaufen" werde. Zwar enthält Artikel 13 Ausnahmen für Start-ups, die höchstens drei Jahre alt sind, weniger als fünf Millionen Nutzer pro Monat haben und maximal zehn Millionen Euro pro Jahr umsetzen. Sie haften erst dann für Rechtsverletzungen, wenn sie darauf hingewiesen werden. Doch alle anderen Plattformen müssen vorab Lizenzen erwerben oder sicherstellen, dass keine Texte, Bilder, Ton- oder Videoaufnahmen hochgeladen werden, die Urheber- und Verwertungsrechte von Verlagen, Labels, Produktionsfirmen oder Künstlern verletzen.

Kleine Anbieter müssten die Technik wohl von den großen kaufen

Selbst für große Unternehmen ist es unmöglich, alle Lizenzen von allen Rechteanbietern der Welt zu erwerben. Die einzige bekannte Möglichkeit zu verhindern, dass rechtswidrige Inhalte ins Netz gestellt werden, ist es, sämtliche Uploads vorab zu prüfen. Und die einzige bekannte Möglichkeit, dieses Material zu scannen, sind eben automatische Upload-Filter. Allein auf Youtube werden Tausende Stunden Videomaterial hochgeladen - pro Minute. Das können Menschen nicht sichten, dafür braucht es Maschinen. Wenn Nutzer dann etwa ein Foto auf Facebook posten wollen, vergleicht die Software das Bild mit einer Datenbank, die urheberrechtlich geschützte Inhalte enthält. Findet sich das Foto dort wieder, blockiert das System den Upload. Solche Filter bringen mehrere Risiken und Nebenwirkungen mit sich: Erstens müssten kleinere Anbieter die Technik von Unternehmen wie Google einkaufen oder die Software mieten. Um selbst Filtersysteme zu entwickeln, fehlen ihnen schlicht die finanziellen und technischen Ressourcen. Das verstärkt Abhängigkeiten von den Großen und macht die Mächtigen nur noch mächtiger.

Zweitens machen Upload-Filter zwangsläufig Fehler, wie das Beispiel Youtube zeigt: Die Plattform setzt bereits eine Software namens "Content ID" ein, um Videos zu erkennen, deren Tonspur geistiges Eigentum im Bereich der Musik enthält. Google hat mehr als 100 Millionen Dollar in die Technik investiert, dennoch löscht das System immer wieder auch legale Videos.

Dass Maschinen Feinheiten erkennen, die selbst Juristen herausfordern, ist zweifelhaft

Ein Universalfilter müsste noch viel komplexere Entscheidungen treffen. Die Netzkultur beruht auf Mashups und Memes: Nutzer verarbeiten also teils urheberrechtlich geschützte Inhalte kreativ weiter und erschaffen daraus eigene Werke, die sich oftmals rasend schnell im Internet verbreiten. Ein Teil dieser Parodien ist vom Zitatrecht gedeckt, wenn die Ausschnitte einen gewissen Umfang nicht überschreiten - eine hoch komplexe Angelegenheit. Dass Maschinen solche Feinheiten erkennen, die selbst Juristen herausfordern, ist schwer vorstellbar.

Drittens urteilte der EuGH bereits 2012, dass Vorabfilterung in die Privatsphäre eingreift und gegen das Recht auf Meinungsfreiheit verstößt. Bis die Richter die neue Richtlinie prüfen, wird es aber dauern. In der Zwischenzeit könnten Unternehmen gezwungen sein, eine gigantische Filter-Infrastruktur aufzubauen, die womöglich Grundrechte verletzt.

Für bestimmte Zwecke allerdings sind Upload-Filter bereits gebräuchlich und notwendig: Facebook blockiert damit Rachepornografie, und Microsoft hat ein System entwickelt, das viele große Online-Plattformen einsetzen, um Aufnahmen von Kindesmissbrauch aufzuspüren. Auch für terroristische Inhalte gibt es ähnliche schwarze Listen, die den Upload automatisch blockieren. Ob Vorabfilterung das richtige Mittel ist, um zu gewährleisten, dass Künstler und Kreative für ihre Arbeit fair bezahlt werden, bezweifelt indes auch die Bundesregierung: "Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern lehnen wir als unverhältnismäßig ab", heißt es im Koalitionsvertrag. Justizministerin Katarina Barley stimmte in Brüssel trotzdem für die Reform.

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