Französische Politiker und Geheimdienstexperten bestreiten die Vorwürfe der Zeitung Le Monde, der Auslandsgeheimdienst DGSE betreibe ein gigantisches, geheimes und illegales Spionageprogramm. Das Premierministeramt in Paris bezeichnete den Bericht, der in der Freitagsausgabe der Zeitung erschienen ist, als "nicht exakt". Es gebe zwar mehrere Dienste in Frankreich, die Daten abfingen. All das geschehe aber innerhalb eines strikten Rechtsrahmens. Gemäß einem Gesetz aus dem Jahr 1991 schlage eine nationale Kontrollkommission dem Premierminister Spähmaßnahmen vor, die dieser dann autorisieren könne. Diese Maßnahmen würden dokumentiert und kontrolliert, versicherte das Amt.
Der Sozialist Jean-Jacques Urvoas, der in der Nationalversammlung den Rechtsausschuss leitet, warf der Zeitung "Phantastereien und Ungenauigkeiten" vor. "Die französischen Bürger sind keiner massiven und dauerhaften Spionage außerhalb jeder Kontrolle ausgesetzt." Während der US-Geheimdienst NSA mit dem "Schleppnetz" zu fischen scheine, fische die französische DGSE zielgenau mit der "Harpune".
Dieser Aussage stehen massive Vorwürfe von Le Monde gegenüber, immerhin einer der angesehensten Zeitungen der Welt. Sie behauptet, die Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE) sammle systematisch die elektromagnetischen Signale, die von den Computern und Telefonen in Frankreich ausgesandt werden, sowie die Datenflüsse zwischen Franzosen und dem Ausland. "Unsere gesamte Kommunikation wird ausspioniert", schreibt das Blatt. Der "französische Big Brother" erfasse alle E-Mails, Telefonate und SMS, aber auch "die gesamte Internet-Aktivität" - etwa Facebook oder Google-Anfragen. Laut den detaillierten Angaben der Zeitung, die sich auf Geheimdienstkreise und Politiker beruft, sammelt die DGSE nicht die Inhalte der Kommunikation, sondern die Verbindungsdaten, also etwa Anrufer und Empfänger eines Telefonats, deren Aufenthaltsorte, Zeitpunkt und Dauer.
Datenmeer, das offiziell nicht existiert
Milliarden Daten würden auf drei Etagen in den Kellern des Auslandsgeheimdienstes am Boulevard Mortier in Paris gespeichert und dort mithilfe eines Super-Computers ausgewertet. Die Abwärme der Computer reiche aus, um den gesamten Gebäudekomplex der DGSE zu heizen.
Le Monde behauptet, acht französische Dienste, unter ihnen der Inlands- und der Militärgeheimdienst, der Zoll und die Polizei, hätten Zugang zu dem Datenmeer, das offiziell gar nicht existiere, inoffiziell aber den Namen "Infrastruktur für wechselseitige Nutzung" trage. Sie bedienten sich täglich daran. Das alles geschehe geheim, illegal und ohne ernsthafte Kontrolle. "Die Politiker wissen genau darüber Bescheid." Sie schwiegen jedoch. Ziel der Datensammlung sei es, den Terror zu bekämpfen. Zugleich könne aber das Kommunikationsprofil jedes Bürgers gezeichnet werden.
Während der Skandal um das Spionageprogramm Prism des US-Dienstes NSA, das der Whistleblower Edward Snowden enthüllt hat, in Frankreich erhebliche Empörung hervorrief, blieb das Echo auf die Vorwürfe von Le Monde am Freitag verhalten. Zeitungen und Internet-Seiten berichteten gar nicht oder auf hinteren Plätzen darüber. Zugleich bemühten sich die Verantwortlichen, die Recherchen von Le Monde zu widerlegen oder abzuschwächen.
Die Libération zitiert einen Mitarbeiter der Nationalen Abhör-Kontrollkommission mit den Worten, auf dem nationalen Territorium könne es kein massenhaftes Abgreifen von Daten geben. "Jedenfalls ist das vom Gesetz ausgeschlossen." Selbst nach einem Attentat sei es nicht erlaubt, ein ganzes Stadtviertel zu belauschen. Mehrere Politiker nahmen den Bericht jedoch zum Anlass, eine schärfere parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste zu fordern. Auch müsse vorgeschrieben werden, dass Daten nach einer bestimmten Zeit vernichtet werden. Der Verteidigungs- und der Innenminister wollten sich am Freitag nicht zu dem Spionageverdacht äußern.
Der Auslandsgeheimdienst DGSE untersteht dem Verteidigungsminister. Er ist in seiner heutigen Form 1982 gegründet worden und soll Informationen sammeln, die für das nationale Interesse Frankreichs von Bedeutung sind. Schwerpunkte seiner Arbeit sind der Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und gegen Terroristen. Der Dienst verfügt über ein Jahresbudget von 600 Millionen Euro, mehr als hundert Standorte im Ausland und ungefähr 5000 Mitarbeiter. Annähernd die Hälfte von ihnen soll für die technische Abteilung arbeiten, die Überwachungsprogramme organisiert.