Süddeutsche Zeitung

Internet-Überwachung durch die USA:Obama beschönigt ein bisschen - und schweigt sehr viel

Zwei junge Männer ziehen die USA derzeit in ihren Bann: Dschochar Zarnajew, mutmaßlicher Terrorist, und Prism-Enthüller Snowden. Washington behandelt beide wie Staatsfeinde. Das hat mit den Befindlichkeiten der Amerikaner, aber auch mit der Persönlichkeit des Präsidenten zu tun - und damit, wie das Amt Obama verändert hat.

Ein Kommentar von Nicolas Richter, Washington

Seit dem Frühjahr ziehen zwei junge Amerikaner die USA in ihren Bann. Auf verschiedene Art zeigen sie, welche Gefahren dem Land drohen. Einer der Männer ist Dschochar Zarnajew, ein mutmaßlicher Terrorist, der in Boston vier Menschen getötet haben soll. Der andere ist Edward Snowden; er hat offenbart, in welch unglaublichem Ausmaß der Geheimdienst NSA die Telefone und E-Mails von Amerikanern und Ausländern überwacht - um das zu verhindern, was Zarnajew gelungen sein soll.

Anders als Zarnajew hat Snowden keine Gewalt angewendet, trotzdem ist seine Lage trostlos. Washington behandelt ihn wie einen Staatsfeind, wie einen Zarnajew. Vor allem aber dürfte Snowdens schlimmste Befürchtung Gewissheit werden: Dass sein Opfer umsonst war, dass die Amerikaner nicht den Mut finden, etwa zu ändern. Die Gründe dafür haben mit dem Befinden des Landes zu tun, aber auch mit der Rechtslage und der Persönlichkeit des Präsidenten.

Snowden - jemand, der dem Land dienen wollte

Anders als ihre Regierung sehen die Amerikaner Snowden nicht als Verräter, sondern mehrheitlich als verdienstvollen Whistleblower, und zwar unabhängig von der politischen Haltung. Während linke Amerikaner die Besessenheit mit der "nationalen Sicherheit" schon immer suspekt fanden, entdeckt nun auch die Rechte eine neue Faszination für libertäre Einflüsse. Die Mehrheit sieht Snowden daher zu Recht als jemanden, der dem Land nicht schaden, sondern dienen wollte.

Diese Sympathie hängt auch mit der Erkenntnis zusammen, dass Snowden keine legale Alternative hatte. Amerikas Gesetze zum Schutz von Whistleblowern sehen den Fall vor, dass ein Mitarbeiter von illegalen Vorgängen erfährt und dies einer Vertrauensperson in der Behörde oder dem Parlament mitteilt.

Damit aber hätte Snowden sein Ziel nicht erreichen können: die Öffentlichkeit einzuweihen. Denn das Lausch- und Spähprogramm der NSA ist ja von allen drei Staatsgewalten geschaffen und betrieben worden und zumindest auf dem Papier legal. Das ist das Verstörende an der Sammelwut: Dass der Staat alles bekommt, dass es aber niemand für nötig hält, dem Volk wenigstens die großen Linien zu nennen.

Die Amerikaner sind beunruhigt von dem Schattenreich, das sie jetzt entdecken, aber sie wissen nicht so recht, was daraus folgen soll. Es ist ein Dilemma, zu dem sich viele Bürger bekennen. Sie haben die Gesichter der beiden jungen Männer vor Augen: Snowden einerseits, der vor dem Verlust jener bürgerlichen Freiheiten warnt, die in Amerika zum Gründungsmythos gehören und beinahe religiöse Bedeutung haben. Andererseits: Zarnajew, der diese Freiheit erst in vollen Zügen genießt, um sie dann mutmaßlich zu missbrauchen.

Einen Monat nach Snowdens Enthüllungen sieht es so aus, dass Amerika Zarnajew mehr fürchtet, als es Snowden verehrt. Europäer mögen das befremdlich finden, aber der 11. September 2001 wirkt in Amerika noch immer stark nach. Der Terror hat ein Ur-Misstrauen gegen die Welt geschaffen; die Erkenntnis, dass Amerika verwundbar ist; und dass der grotesk wuchernde Sicherheitsapparat zwar irgendwie beängstigend ist, aber andererseits dafür sorgt, dass man ruhigen Gewissens in ein Flugzeug steigen kann.

Obama hat sich im Amt verändert

Präsident Barack Obama hat diese Kontroverse - wie so vieles - mit kühler Distanz beobachtet. Er beschwichtigt und beschönigt ein bisschen und schweigt sehr viel. Er hat dafür viele Gründe. Erstens weiß er, dass er das Thema nur größer macht, wenn er darüber redet. Zweitens hält sich Obama eisern an seine Prioritäten: innenpolitische Reformen, für die er sich seine Autorität aufspart.

Drittens hat sich Obama im Amt geändert. Die Medien zeigen jetzt zwar seine alten Wahlkampfreden, in denen er für die Bürgerrechte warb. Doch Obama ist eben nicht mehr Wahlkämpfer, sondern Oberbefehlshaber. Und viertens zeugt Obamas Haltung von jener elitären Arroganz, die ihm zeitweise gegeben ist. Neulich sagte er zum Beispiel, es sei egal, ob er mit Angela Merkel telefoniere oder die NSA in Berlin spioniere, denn der Endnutzer aller Informationen sei sowieso er. Nach dieser Logik können die Amerikaner (und der Rest der Welt) auf alle rechtsstaatlichen Garantien verzichten, weil Obama ja als letzte, gute Instanz fungiert.

Für eine Bilanz von Snowdens Enthüllungen ist es zu früh. Das Ergebnis wird auch davon abhängen, wie die Gerichte mit den Klagen umgehen, die Bürgerrechtler jetzt erhoben haben. Snowdens Verdienst aber ist es schon heute, dass er ein Gegenmittel gefunden hat gegen Washingtons Geheimhaltungswahn. Die Amerikaner sind jetzt erstmals in der Lage, aufgeklärt über die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nachzudenken.

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SZ vom 12.07.2013/sana/rus
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