Internationaler Strafgerichtshof:Gaddafi soll Massenvergewaltigungen angeordnet haben

Wie brutal die Schergen des libyschen Diktators Gaddafi gegen Zivilisten vorgehen, offenbart der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Er verdächtigt Gaddafi, Frauen systematisch vergewaltigen zu lassen, um Schrecken zu verbreiten und Widerstand zu brechen - das Regime soll Containerladungen Viagra verteilt haben.

Verena Schälter, New York

Luis Moreno Ocampo beschäftigte sich in seiner Karriere mit schon manchem Verbrechen. Als Generalstaatsanwalt von Buenos Aires versuchte er die Untaten der Militärdiktatur in seiner Heimat aufzuarbeiten. Als Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erwirkte Moreno Ocampo einen Haftbefehl gegen Sudans berüchtigten Machthaber Hassan al-Baschir, nun prangert der Argentinier einen weiteren Diktator an: Muammar al-Gaddafi.

Herrscht seit mehr als 40 Jahren in Libyen mit eiserner Hand: Diktator Muammar al-Gaddafi.

Herrscht seit mehr als 40 Jahren in Libyen mit eiserner Hand: Diktator Muammar al-Gaddafi. Diese Aufnahme stammt vom Februar 2011

(Foto: dpa)

Monströs ist der Vorwurf, den Luis Moreno Ocampo gegen den libyschen Despoten erhebt: Gaddafi und seine Gefolgsleute stehen im Verdacht, sexuelle Übergriffe befohlen zu haben. Der für seine bizarren Auftritte bekannte "Oberst" ließ offenbar sogar Potenzmittel an seine Kämpfer verteilen, um sie zu Vergewaltigungen zu ermutigen.

"Wir haben Informationen, wonach es in Libyen systematische Vergewaltigungen von Zivilistinnen gegeben hat", erklärte Moreno Ocampo auf einer Pressekonferenz bei den Vereinten Nationen in New York.

Sexueller Missbrauch aus kriegstaktischen Gründen ist aus Afrika südlich der Sahara bekannt, aber auch aus den Kriegen in Ex-Jugoslawien. In Libyen hingegen war diese Form der Repression vermeintlicher Oppositioneller Moreno Ocampo zufolge bislang nicht bekannt.

Dies sei auch ein Grund, warum er und seine Ermittler zuerst Zweifel gehabt hätten, ob die Vergewaltigungen tatsächlich auf Anordnung der libyschen Regierung stattgefunden haben. Diese Zweifel sind nun offensichtlich gewichen.

Mittlerweile gebe es aber Indizien, die belegen, dass Gaddafi sogar selbst beschloss, sexuelle Gewalt als Strafe für vermutete Regimegegner zu verhängen, erklärt der Jurist. Die perfide Absicht: Angst verbreiten, Widerstände zu brechen, die Frauen zu entwürdigen. Die Ermittlungen der UN-Ermittler laufen noch. "Wir versuchen herauszufinden, wer alles involviert war", so Moreno Ocampo.

Vergewaltigungsopfer Obeidi nach Europa geflohen

Vieles spricht nach den Worten des Chefanklägers dafür, dass sich die Soldaten Gaddafis auf Geheiß des Tyrannen und seines Clans an den Frauen vergehen: Zeugen hätten bestätigt, dass das Gaddafi-Regime "ganze Container voll" mit potenzsteigernden Medikamenten wie Viagra eingekauft habe - um seine Schergen so zur sexuellen Gewalt anzustacheln. "Es ist eine neuere Taktik von ihm", erklärte der oberste Ankläger für Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Beschuldigt Gaddafis Schergen, sie vergewaltigt zu haben: Iman Al-Obeidi

Beschuldigt Gaddafis Schergen, sie vergewaltigt zu haben: Iman Al-Obeidi

(Foto: dpa)

Es sei schwer zu sagen, wie viele Opfer es tatsächlich gebe, erklärte Moreno Ocampo. In einigen Gebieten sei die Rede von bis zu hundert Frauen.

Einer der bekanntesten Fälle ist der von Iman al-Obeidi. Die junge Libyerin platzte am 26. März in den Speisesaal des Rixos-Hotels in Tripolis und schilderte den dort anwesenden ausländischen Journalisten ihr Märtyrium: Sie sei an einem Checkpoint nahe der Hauptstadt aufgegriffen und tagelang geschlagen und vergewaltigt worden: 15 Männer hätten al-Obeidi missbraucht.

Damals zerrte regimetreues Sicherheitspersonal die weinende Frau aus dem Hotel. Später versuchte die libysche Regierung den Vorfall herunterzuspielen und al-Obeidi als nicht zurechnungsfähig darzustellen.

Inzwischen befindet sich die Frau in einem Flüchtlingszentrum in Rumänien. Sie konnte aus Libyen fliehen, wo der Krieg unvermindert weitertobt.

Die Nato setzte ihre Luftangriffe auf Tripolis Medienberichten zufolge auch in der Nacht fort. Wie der arabische Nachrichtensender al-Dschasira berichtete, wurde die Stadt am späten Abend von einer schweren Explosion erschüttert. Auch der Triebwerkslärm eines Kampfflugzeuges sei zu hören gewesen. Einzelheiten über das Angriffsziel wurden nicht genannt.

Haftbefehle gegen Gaddafi und Sohn Saif al-Islam

Westliche Kampfflugzeuge hatten bereits am Dienstag und in der Nacht zum Mittwoch massive Luftangriffe auf Tripolis geflogen; darunter mehrere Attacken auf den Stützpunkt Bab al-Asisija, auf dem das Anwesen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi liegt.

Ob der Diktator jemals vor den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag steht, bleibt abzuwarten.

UN-Ankläger Moreno Ocampo tut alles, damit es dazu kommt. Er hat bereits gegen Oberst Gaddafi selbst, seinen Sohn Saif al-Islam sowie den libyschen Geheimdienstchef Abdullah al-Sanussi Haftbefehl beantragt. Ihnen wird bislang vorgeworfen, zu Beginn der Unruhen in Libyen die Erschießung von Zivilisten während der Demonstrationen angeordnet zu haben. Weitere Beschuldigungen: Inhaftierung, Folter und Mord an mutmaßlichen Oppositionellen.

Dazu, sagte Luis Moreno Ocampo, komme nach Abschluss der Untersuchungen wohl noch ein weiterer Anklagepunkt. Er lautet: systematische Vergewaltigung.

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