Süddeutsche Zeitung

Internationaler Frauentag:Was den Piraten von der Piratin trennt

Eigentlich sollte das Geschlecht in der Piratenpartei keine Rolle spielen - tut es aber doch, wie eine interne Umfrage zeigt: Sexistische Angriffe auf Frauen sind keine Seltenheit. Zudem haben die meisten Piraten nur unklare Vorstellungen davon, worum es in der Genderdebatte geht. Dies wollen die Initiatorinnen der Umfrage ändern - und der Diskussion eine sachliche Grundlage geben.

Hannah Beitzer

Als Feministin hat man es in der Piratenpartei nicht gerade leicht, das weiß Lena Rohrbach aus eigener Erfahrung. Sie ist Feministin und Piratin - für viele in der Partei passt das nicht zusammen. Die Piraten gelten als Gegenentwurf zu den genderbewussten, etablierten linken Parteien, man hört von ihnen immer wieder, dass man sich als "post gender" verstehe, das Geschlecht also eigentlich unwichtig sei. Rohrbach sieht das anders: "Ich denke, dass Geschlecht in unserer Gesellschaft noch sehr wirkmächtig ist und als Analysekategorie wichtig, obwohl ich mir durchaus wünschen würde, dass das anders wäre." Sie wird immer wieder entsetzt gefragt: "Bist du etwa Feministin?" Anfangs fand sie das verstörend, erzählt sie: "Ich komme aus einem Umfeld, wo der Begriff sehr positiv besetzt ist."

Mit ihrem Unbehagen war sie nicht allein. Die zuweilen seltsam verquasten Einstellung zur Geschlechterpolitik stört mehrere Mitglieder der Partei, nicht nur Frauen. Einige von ihnen haben sich zum sogenannten "Kegelklub" zusammengeschlossen, einer Gruppierung, die sich mit der Genderdebatte in der Piratenpartei beschäftigt. Der Kegelklub hat vor einigen Monaten eine Umfrage gestartet, die die Debatte auf eine sachliche Grundlage bringen soll. 1200 Piraten haben daran teilgenommen, insgesamt haben 1400 Menschen auf die Umfrage geantwortet.

Heraus kam, was Lena Rohrbach instinktiv schon geahnt hat: "Man muss hier noch viel Aufklärungsarbeit leisten." So denken 22 Prozent der Befragten, beim Feminismus gehe es um die Bevorzugung von Frauen, 13 Prozent gar, der Hauptzweck sei der Kampf gegen Männer. Nur 22 Prozent antworteten, beim Feminismus gehe es um die Gleichstellung der Geschlechter. Die antifeministische Haltung der Piraten - ein Missverständnis? "Wenn mich jemand fragt, ob ich Feministin bin, dann frage ich jetzt immer zurück: Was verstehst du denn darunter?", sagt Rohrbach. Meistens stelle sich dann im Gespräch heraus, dass sie sich in ihren Ansichten nicht von ihrem Gegenüber unterscheide - nur hätten viele Piraten eben ein völlig verqueres Bild vom Feminismus.

Die Mehrheit der Piraten kennt auch nicht die richtige Definition für "Gender" - nämlich das soziale Geschlecht. Kein Wunder also, dass sogar die Bedeutung des vielgenutzten "post gender" alles andere als klar ist.

Auch Rohrbachs Kegelclub-Kollegin Laura Dornheim kennt die Situation: "Es gibt tatsächlich noch viele Klischees, wie Feministinnen sind - alles von der lila Latzhose bis hin zum Männerhass." Sie zitiert dann gern einen Spruch, den sie im Internet gelesen hat: "Do you think all human beings should be equal? Yes? Do you think women are human beings? Yes? Then you are a feminist."

Beide Initiatorinnen können sich auch vorstellen, dass Frauen sich nicht gern als Feministinnen bezeichnen, weil sie damit eine Opferrolle verbinden: sich über die Ungerechtigkeit der Gesellschaft zu beklagen, passe für viele nicht zu dem Anspruch, stark zu sein.

Grundsätzlich aber, das betonen beide Initiatorinnen, sei den meisten Piraten durchaus bewusst, dass Frauen und Männer in der Gesellschaft keineswegs gleichberechtigt wären: Vor allem im Berufsleben und in der Wirtschaft im Allgemeinen, aber auch in der Familie sehen die meisten Piraten Ungerechtigkeiten.

Auch fühlen sich die weiblichen Befragten in der Gesellschaft weitgehend als Frau wahrgenommen. Anders jedoch in der Piratenpartei - dort fühlen sich die Mitglieder mehrheitlich "als Mensch" wahrgenommen. Lena Rohrbach und Laura Dornheim hat dieses Ergebnis besonders gefreut - wenn auch Männer sich in allen Sphären gleichberechtigter fühlen als Frauen.

Ein weiteres beruhigendes Ergebnis sei gewesen, dass die befragten Frauen sämtliche Tools, also (Kommunikations-) Werkzeuge, die für die Partei wichtig sind, genauso intensiv nutzen wie Männer - zum Beispiel Twitter, Mailinglisten oder auch die parteiinterne Beteiligungs- und Abstimmungsplattform Liquid Feedback. "Da haben wir vielleicht sogar einen Vorteil gegenüber den etablierten Parteien, bei denen es eine sehr starke Präsenzkultur gibt", sagt Lena Rohrbach, "da ist es enorm wichtig, beim Stammtisch dabei zu sein. Viele Frauen haben dafür aber keine Zeit, wenn sie zum Beispiel ihre Kinder ins Bett bringen müssen." Schließlich seien es auch heute noch überwiegend Frauen, die sich um die Kinder kümmern oder alleinerziehend seien. Online ließe sich Politik und Familie schlicht besser vereinbaren.

Doch es gab auch Ergebnisse, die die beiden schockiert haben: Über ein Viertel der weiblichen Parteimitglieder wurden schon einmal sexistisch beschimpft. Jedes dritte Mal, so steht es in der Studie, "wird ein solcher Vorfall belächelt, weggeschwiegen oder ignoriert".

Ein unguter Vorfall, an den sich beide Initiatorinnen erinnern, war, dass die Piratenpartei in ihrer ersten Wachstumsphase von selbsternannten Maskulinisten unterwandert wurde - also von Männerrechtlern, die sich als Gegenbewegung zum Feminismus verstehen. "Ihre Ansichten wurden in der Partei aber niedergeschmettert", sagt Lena Rohrbach. Sie findet deswegen den alltäglichen Sexismus schlimmer - dass Frauen als Schlampen bezeichnet werden. "Auch Sprüche wie 'Frauen und Technik' kommen manchmal", sagt sie.

Frauen stören die Shitstorms besonders

Dazu passt auch, dass Frauen aus ganz anderen Gründen kein Parteiamt antreten als Männer: Bei den Männern sind der hohe Arbeitsaufwand und drohende Überforderung die Hauptgründe. Die spielen zwar auch bei den Frauen eine große Rolle - doch die weiblichen Mitglieder geben dazu wesentlich häufiger zwischenmenschliche Aspekte als Hinderungsgründe an: Die Angst vor den berüchtigten Shitstorms, den unangenehmen Aufstellungs- und Befragungsprozessen, parteiintern "Kandidatengrillen" genannt, oder die Befürchtung, Teamkollegen könnten sich als unsympathisch erweisen.

Auf den ersten Blick passt das natürlich wunderbar ins Klischee der konfliktscheuen Frau. Lena Rohrbach will trotzdem nicht von Angst sprechen: "Frauen und Männer werden schon als Kinder völlig unterschiedlich sozialisiert. Jungen dürfen raufen und hören: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Bei Mädchen sieht das ganz anders aus."

Was nun der Schluss aus alledem ist? Lena Rohrbach und Laura Dornheim ging es zunächst darum, die Debatte auf eine sachliche Ebene zu bringen. "Wir wollen, das Geschlechterpolitik genauso als Politikfeld anerkannt wird wie alles andere", sagt Dornheim. Konkrete Maßnahmen wollen sie daraus zunächst nicht ableiten. Das ist auch ein schwieriges Thema: Eine Frauenquote zum Beispiel lehnen 86 Prozent der Befragten für die eigene Partei ab.

Rohrbach versteht das: "Unser Problem liegt nicht unbedingt in der Führung, sondern in der Basis." Es gebe schlicht viel weniger Frauen als Männer - und da lasse sich mit einer Quote nicht viel machen. Ein Teilnehmer der Umfrage beschreibt das Dilemma ironisch: "Die Idee eine Frauenquote in der Mitgliederbasis einzurichten finde ich dagegen total super. Da stellt dann jemand einen Mitgliedsantrag, wird gefragt ob er/sie Männlein oder Weiblein sein möchte, sagt er männlich, sagt die Piratenpartei: Gut, musst du erst noch 42 Frauen mitbringen, vorher kommst hier nicht rein."

Auch passe eine Frauenquote nicht in das Verständnis von piratiger Politik, erklären Rohrbach und Dornheim - denn eigentlich, so steht es im Grundsatzprogramm, will man die Mitglieder nicht zwingen, sich auf eines von zwei Geschlechtern festzulegen.

Interessant ist allerdings, dass diese rigorose Einstellung offenbar hauptsächlich für die eigene Partei gilt: Vor einigen Monaten gab es eine Online-Abstimmung zur Berliner Erklärung, die eine verbindliche Frauenquote für Unternehmen fordert. Die Initiative unterstützte zwar nicht die Forderung der Berliner Erklärung nach möglichst umfassenden Quoten - aber durchaus dort, "wo dies als geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel erscheint". Der Antrag wurde mit einer knappen Mehrheit angenommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1303398
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/beitz/grc/gba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.