Süddeutsche Zeitung

Internationale Waffendeals:Rätselhafte Raketen

Die USA befürchten, dass alte russische Militärtechnologie nach Iran gelangt ist - via Nordkorea. Zwar ließe sich mit den Raketen Europa von Iran aus erreichen, unklar ist aber, ob das System funktioniert.

Paul-Anton Krüger

Militärparaden waren im Kalten Krieg ein beliebtes Mittel der wortlosen Kommunikation zwischen Ost und West. Die Sowjets etwa ließen ihre neuesten Raketen über den Roten Platz defilieren - in der zutreffenden Annahme, dass die US-Geheimdienste die Fotos akribisch analysieren würden. Das Regime in Nordkorea, noch immer im Denkmodus der Blockkonfrontation gefangen, pflegt dieses Imponiergehabe bis heute.

Und so wurde beim jüngsten Aufmarsch der Volksarmee am 10. Oktober in Pjöngjang nicht nur Kim Jong Un, der Sohn von Machthaber Kim Jong Il, den Massen und der Welt präsentiert, sondern auch eine imposante Rakete, die wahlweise unter der Bezeichnung Musudan oder dem Kürzel BM-25 firmiert.

Zu unverhoffter Prominenz gelangte der Flugkörper aber erst jüngst, als die New York Times, basierend auf einer Depesche aus dem Wikileaks-Fundus berichtete, Iran verstärke sein Arsenal mit Hilfe aus Nordkorea. Teheran habe 19 dieser Raketen von Nordkorea erhalten, gibt der Bericht vom 24. Februar 2010 die amerikanische Einschätzung wieder.

In ihm resümiert Vann H. Van Diepen, ein hoher Beamter des US-Außenministeriums, ein Treffen mit einer russischen Delegation aus dem Dezember 2009. Moskaus Experten, auch das steht im Text, halten Berichte über die Rakete aber "eher für politische Literatur als technische Fakten", kurz, es sei "eine Frage, ob das System überhaupt existiert".

Die Amerikaner tendieren zum Wort-Case-Szenario

Diese Zweifel scheinen durch die Parade von Pjöngjang nachträglich widerlegt zu sein. Doch was dort auf mächtigen Lastwagen zur Schau gestellt wurde, waren offensichtlich - wie üblich - Attrappen. Einen Testflug der Rakete dagegen, der einen belastbaren Beweis erbrächte, hat bis dato niemand beobachtet.

Die Amerikaner tendierten wohl zum Worst-Case-Szenario - nicht zuletzt aus politischen Gründen. Die beiden Delegationen rangen nämlich um eine gemeinsame Einschätzung der Bedrohung durch Raketen aus Iran und Nordkorea. Sie sollte als Grundlage für Diskussionen darüber dienen, ob die von den USA vorangetriebene Raketenabwehr nötig sei.

Moskau dagegen hat großes Interesse, die Geschichte kleinzuhalten - nicht nur, weil es den Raketenschild skeptisch sieht. Die Russen haben stets versichert, nie Komponenten für weitreichende Raketen weitergegeben zu haben. Die BM-25 bringt sie aber in Erklärungsnot. Denn sie sieht der nuklear bestückten U-Boot-Waffe R-27 aus dem sowjetischen Arsenal, in der Nato SS-N 6 Serb genannt, verdächtig ähnlich - nur dass Nordkoreas Variante fast drei Meter länger ist.

Der erste öffentliche Bericht, Iran habe "18 Raketenbausätze des mobilen Typs BM-25" von Nordkorea gekauft, tauchte im Dezember 2005 in der Bild-Zeitung auf, die sich auf einen Bericht des Bundesnachrichtendienstes stützte. Mit der geschätzten Reichweite von 2500 bis 3500 Kilometern wären große Teile Europas von Iran aus erreichbar.

Während es für einen Transfer ganzer Raketen keine Belege gibt, gilt als wahrscheinlich, dass in den neunziger Jahren Komponenten der 1988 außer Dienst gestellten R-27 von Russland nach Nordkorea gelangt sind und von dort nach Iran. Der Münchner Experte Robert Schmucker verweist darauf, dass 2000 Raketen des Typs gebaut wurden, von denen aber nur 653 bei Tests verschossen und 544 verschrottet wurden. Über den Verbleib der anderen ist - zumindest im Westen - nichts bekannt. Auch versuchten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ingenieure, ihr Wissen zu Geld zu machen. So wurden 1992 gerade noch rechtzeitig 20 Mitarbeiter des Konstruktionsbüros Makejev daran gehindert, von Russland nach Nordkorea zu reisen.

Vor allem als Studienobjekt von Interesse

Ein handfester Beleg für den Transfer von Komponenten sind die kleinen Steuertriebwerke der R-27: Sie tauchten als Motoren in der Oberstufe der Safir-Trägerrakete auf, mit der Iran 2009 einen Mini-Satelliten ins All schoss, wie Schmucker und das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) übereinstimmend sagen. Das strategisch entscheidende Teil der R-27 ist aber das leistungsstarke Haupttriebwerk, das den in Iran und Nordkorea gängigen Antrieben klar überlegen ist. Für eine landmobile Rakete, wie Nordkorea sie vorgeführt hat, ist dessen Kombination von Flüssigtreibstoffen jedoch ungeeignet, auch da stimmen IISS und Schmucker überein. Das Oxidationsmittel Distickstofftetroxid funktioniert nur zwischen minus zehn und plus 20 Grad Celsius.

Mit einer Umrüstung auf transportfähige Treibstoffe aber geht laut Schmucker ein massiver Verlust an Reichweite einher, den Nordkorea durch größere Tanks nicht kompensieren könne. Der Versuch, diesen Weg zu gehen, könnte aber erklären, warum Pjöngjang die Rakete offenbar verlängert hat. Für Iran wäre die BM-25 damit aber uninteressant, denn sie würde die 2008 getestete Sejil kaum übertreffen, die als Feststoffrakete ohnehin besser fürs Militär taugt.

Die R-27 dürfte für Iran vor allem als Studienobjekt von Interesse sein. Wie weit eventuelle Experimente gediehen sind, bleibt unklar. Im Dezember 2009 berichtete ein westlicher Diplomat mit Zugang zu Geheimdienstinformationen, Iran habe einen geplanten BM-25-Test abblasen müssen. Nordkorea lieferte entscheidende Elektronikteile nicht. Auch soll Iran Probleme gehabt haben, die Komponenten zusammenzubauen. So bleibt die angebliche Mittelstreckenrakete BM-25 bis heute ein Mysterium.

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SZ vom 14.12.2010/mob
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