Süddeutsche Zeitung

Internationale Truppen in Afghanistan:Retten, was kaum zu retten ist

Die westlichen Regierungen wollen den Eindruck erwecken, als könnten die Afghanen sich selbst gegen die Islamisten verteidigen. Afghanische Kommandeure lässt das müde lächeln. Kann die geplante neue Mission des Westens helfen?

Von Joachim Käppner

Fragt man in Afghanistan danach, ob sich die neu aufgebaute Nationalarmee ANA auch ohne die internationalen Truppen gegen die Taliban halten könnte, erhält man zwei sehr unterschiedliche Antworten. Westliche Generäle und Offiziere preisen die Fortschritte der Afghanen und loben gelungene Operationen wie die Absicherung der tatsächlich vergleichsweise ruhig verlaufenen Präsidentschaftswahlen.

Afghanische Kommandeure lächeln meist müde und beginnen eine Aufzählung dessen, was fehlt: Die ANA hat zu wenig schwere Waffen, Luftwaffe und Hightech-Ausrüstung sind fast nicht vorhanden, es fehlt an Geld und in nicht wenigen Einheiten auch an Motivation, wie die große Zahl der Desertionen zeigt. Verluste durch Angriffe und Terroranschläge kommen hinzu.

Ein afghanischer Offizier in Masar-e Scharif: "Wir sind viel schlechter ausgerüstet als die kommunistische Regierungsarmee nach dem Abzug der Sowjets 1989." Und die hielt nur drei Jahre durch, ehe sie dem Ansturm der Mudschaheddin erlag.

Afghanische Wahrheiten. Die einen pfeifen laut im Walde, die anderen singen ein garstig Lied, und es ist wohl schwerlich Zufall, dass dies jeweils den politischen Wünschen und Zielen entspricht. Die westlichen Regierungen wollen den Eindruck erwecken, als könnten die Afghanen sich nun selbst gegen die Islamisten verteidigen. 350 000 Mann sollen die Sicherheitskräfte Afghanistans Ende 2014 stark sein. Und die Regierung in Kabul will so viel westliches Geld und Ausrüstung, wie sie nur bekommen kann.

Mission "Resolute Support" soll folgen

Falls sich, wie es nun aussieht, die neue afghanische Regierung und die Nato-Staaten auf das Sicherheitsabkommen einigen, wird Anfang 2015 eine neue Mission auf den Einsatz der Schutztruppe Isaf folgen, nämlich Resolute Support. Mehr als 10 000 Nato-Soldaten, darunter 800 Deutsche, sollen bleiben und die ANA ausbilden und beraten.

Vieles ist noch unklar: Wie präsent die Amerikaner bleiben werden und wie lange; ob die neue Mission bilateral beschlossen wird; oder ob sie, wie die alte, völkerrechtlich durch ein UN-Mandat abgesichert wird, was vielen Europäern notwendig erscheint. In Sicherheitskreisen gilt es als unwahrscheinlich, dass die USA jetzt wirklich so rasch abziehen - nachdem das Vakuum im Irak zur Gründung des Terrorkalifats der IS führte.

Der völkerrechtswidrige Irakkrieg 2003 ist ein gewichtiger Grund für das afghanische Desaster: Die USA zogen nicht nur Militär vom Hindukusch ab, sie ließen sich auch ablenken bei den Bemühungen des Westens zum Aufbau des Landes; das Nation Building erlahmte und die Taliban erstarkten wieder.

Die verlorenen Jahre hat die Isaf später nicht mehr ausgleichen können. Unklar ist auch, was die Nato tun wird, falls das Land wieder im Bürgerkrieg versinkt - außer den Taliban gibt es Milizen der Warlords, Drogenbarone und nicht zuletzt dubiose Kampfverbände, die offiziell als regionale Polizei aufgestellt wurden.

Der Sicherheitsapparat ist neben dem Drogenanbau der wichtigste Wirtschaftsfaktor im Land. 350 000 Soldaten und Polizisten sollen am Ende im Sold stehen - und damit Hunderttausende Familien sicher ernähren. So lange die staatlichen Kräfte mehr zahlen als die Taliban, stehen die Chancen auf einen Ausgleich nicht schlecht. Das Geld aber kann nur aus dem Westen kommen.

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SZ vom 29.09.2014/gal
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