Internationale Reaktionen:"Merkel zerquetscht ihre Rivalen"

Angela Merkel

Die internationalen Medien reagieren äußerst unterschiedlich auf Merkels Wahlsieg (Archivbild)

(Foto: dpa)

Die Franzosen fragen sich, warum auf der anderen Rheinseite eine so biedere Person zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt wird, Spanien weiß noch immer nicht, was es von Merkel halten soll. Die Russen interessieren sich mehr für fehlende Kindergartenplätze und die Amerikaner fanden schon den Wahlkampf nur fad.

Merkel auf ewig?

Von Christian Wernicke, Paris

Paris blickt nach Berlin: Bewundernd, ein wenig neidisch, und doch mit einem ironischen Lächeln im Mundwinkel schauen die Franzosen zu, wie die Deutschen zum dritten Mal ihre "maman" zur Kanzlerin wählen. Das französische Wort für "Mutti" taucht dieser Tage in beinahe jeder Analyse der teutonischen Verhältnisse auf.

Der Begriff hilft den Franzosen sich zu erklären, warum es drüben auf der anderen Rheinseite so anders zugeht: Warum dort eine so stocksolide, biedere - und ja: so wenig inspirierende - Person zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt wird.

Bei der Wahlparty am Sonntagabend in der Deutschen Botschaft erkundigt sich eine französische Reporterin zwischen Bier und Currywurst, ob die Bundesrepublik für ihre Regierungschefin eigentlich eine Begrenzung auf maximal drei (oder vier?) Amtszeiten kenne. Nein? Aha, also Merkel auf ewig?

Frankreichs Linke hatte sich mehr erhofft - mehr Stimmen für die Sozialdemokraten, auf dass Merkels gestrenge Übermacht in Europa geschmeidiger würde. Nun sei sie, so sagt es ein TV-Moderator, endgültig "Europas Präsidentin".

Das rechte Frankreich huldigt ihr am Montag: "Merkels Triumph" wird vom Figaro auf Seite 1 auch deshalb gefeiert, weil man so dem eigenen, schwächelnden Präsidenten - dem ungeliebten Sozialisten Francois Hollande - vorhalten kann, wie man es machen muss. Sicher, ohne "den deutsch-französischen Motor" komme Europa nicht voran, erläutert der Leitartikler:

Aber nun müsse Frankreich "versuchen, sich hochzuarbeiten", um auf Augenhöhe mit Deutschland zu sein. Ja, Hollande solle sich von Merkel "inspirieren lassen". Laut Umfrage vom Freitag hätten auch 56 Prozent der Franzosen am liebsten "Mutti" gewählt. Oder "maman".

Griechen verpassen der Kanzlerin ein Krönchen

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Angela Merkel darf am Montag von den Titelseiten griechischer Zeitungen erstmals seit langem lächeln. Griechische Medien, die sonst fast immer nur eine verkniffene, böse blickende deutsche Kanzlerin zeigen, kommen nicht umhin, am Tag nach der Bundestagswahl eine strahlende CDU-Chefin zu präsentieren.

"Europa ist Merkelland", schreibt die Zeitung Ta Nea. Das Blatt zeigt die Kanzlerin mit einem goldenen Krönchen auf dem Kopf und titelt: Der Triumph der Königin der Sparmaßnahmen.

Auf der Webseite von To Vima, die aus Ersparnisgründen nur noch am Wochenende gedruckt erscheint, heißt es, Merkel habe nun "freie Hand" für alles, was auch immer sie wünsche.

Schon in der Nacht, als sich der große Wahlsieg von CDU und CSU abzeichnete, konnte man in ersten erschreckten Reaktionen aus Athen hören: "Wenn Merkel so stark ist, ist das nicht gut für uns." Die meisten Griechen machen die deutsche Politik für die harten Sparauflagen verantwortlich, die mit den internationalen Hilfskrediten verbunden sind.

Deshalb haben viele Griechen auch eine Wiederwahl von Merkel gefürchtet und hätten sich lieber eine von der SPD geführte Regierung gewünscht.

Als wäre der überwältigende Wahlsieg Merkels nicht schon genug, traf am Montag auch noch erneut die "Troika" in Athen ein. Die Abgesandten der Geldgeber aus EU und Internationalem Währungsfonds prüfen Athens Sparerfolge, von ihrem Votum hängt ab, ob Athen die nächste Kreditrate von einer Milliarde Euro erhält, die schon im Oktober benötigt wird.

Von offizieller Seite waren erst einmal keine Reaktionen auf die deutsche Wahl zu vernehmen. Weder Schmerzensschreie noch Gratulationen.

Briten sehen Merkel als Wahlsieger, nicht die Union

Von Christian Zaschke, London

Der linksliberale Guardian hat am Montag das "Zeitalter von Merkel" ausgerufen. Der Sieg der Unionsparteien in der Bundestagswahl sei vor allem ein persönlicher Sieg der Bundeskanzlerin gewesen, befindet das Blatt in einem Leitartikel. Mit dieser Analyse steht der Guardian nicht allein. Kein britischer Kommentator kam am Montag ohne den Hinweis aus, dass in erster Linie Merkel diese Wahl gewonnen habe und erst in zweiter die CDU/CSU.

Die Financial Times wies regelrecht genüsslich darauf hin, dass die SPD nun vor einem wirklich großen Problem stehe, da Merkel "die Angewohnheit" habe, "ihre Koalitionspartner zu zerstören" - die SPD habe aber keine andere Möglichkeit, als erneut eine große Koalition einzugehen, da Merkel bei Neuwahlen sogar noch besser abschneiden könnte. Die FT prophezeit eine instabile, unglückliche große Koalition, die nicht unbedingt vier Jahre lang halten muss.

Der Wirtschaftsanalytiker und Deutschland-Kenner David Marsh nennt Merkels Sieg "bittersüß" und erkennt ein Paradoxon: Obwohl die Kanzlerin mit der Wahl auf dem Höhepunkt ihrer Macht angelangt sei, habe das Ergebnis sie zugleich geschwächt. Auch Marsh erwartet eine äußerst unruhige große Koalition, deren Zusammenarbeit nicht von Vertrauen geprägt sein wird.

Für die Amerikaner eine fade Konsens-Show

Von Nicolas Richter, Washington

Es gab zunächst kaum Reaktionen auf das Wahlergebnis im sonntäglichen Washington, zumal es ja erwartet worden war. Das Fernsehen widmete sich lieber dem Terror in Kenia. "Merkel wins big in Germany", schrieb der Online-Politikdienst Politico. "Merkel schreibt Geschichte", meldete CNN. Der Sender hatte schon vorher die Frage gestellt, ob Merkel die "mächtigste Politikerin aller Zeiten" sei.

Washington ist gerade mehr mit sich selbst beschäftig: Der jüngste Streit ums Budget könnte die Regierung in Washington demnächst - schon wieder - nahe an die Zahlungsunfähigkeit treiben. Wenn die Amerikaner also Wahlkampf und Wahl in Deutschland überhaupt zur Kenntnis genommen haben, dann haben sie sich gefragt: Was war denn das für eine fade Konsens-Show? Denn in den Vereinigten Staaten ist Politik immer Kampf, nicht nur im Wahlkampf. "Contact sport", nennt es Ex-Präsident Bill Clinton, der weiß, wovon er spricht.

In seiner Sonntagsshow auf CNN stellte Moderator Fareed Zakaria seine Zuschauer also vor ein kleines Rätsel: Wo gibt es einen Wahlkampf, in dem die brennenden Fragen lauten, ob man einen Tag für vegetarisches Essen einführt oder eine Maut für ausländische Autofahrer? Anders gefragt: "Wo um alles in der Welt ist dieses Land, das keine Probleme hat?" Germany, natürlich.

Seit die Euro-Krise fürs Erste entschärft zu sein scheint, ist die europäische und deutsche Politik weitgehend aus den US-Schlagzeilen verschwunden. Die wenigen Vorwahlberichte beschäftigten sich entweder mit dem seltsamen deutschen Wirtschaftswunder mitten im krisengebeutelten Europa ("Merkel's Miracle", schrieb Time) oder mit dem - nicht weniger seltsamen - deutschen Harmoniebedürfnis. Die New York Times widmete sich am Wochenende der deutschen "Tendenz zum Konsens", die wiederum in großem Kontrast zu den "bitteren ideologischen Schlachten" der USA stehe.

Während die USA, Großbritannien und Frankreich sehr hitzig über eine militärische Intervention in Syrien gestritten hätten, habe das Thema in Deutschland nicht einmal die Wasseroberfläche gekräuselt, geschweige denn Wellen geschlagen.

Vielleicht ist das alles ein bisschen Selbsttäuschung, vermuten die amerikanischen Kommentatoren, als rede sich Deutschland eine womöglich doch nicht so vorteilhafte Lage schön. Moderator Zakaria zum Beispiel verwies auf Prognosen, wonach im Jahr 2050 jeder dritte Deutsche Rentner sei und die Zahl der Einwohner unter die Frankreichs sinken werde. Merkel, die stets von allen europäischen Nachbarn brutale Reformen verlange, sei zu Hause allerdings bloß eine zögernde Reformerin. "Gibt es im Deutschen die englische Redensart 'practice what you preach'?", fragte Zakaria. Lass Worten Taten folgen.

Russland: Zwischen Kindergartenplätzen und Übergewicht

Von Julian Hans, Moskau

In den Hauptnachrichten des Ersten Kanals fand die Bundestagswahl am Sonntag ihren Platz zwischen einer Meldung über fehlende Kindergartenplätze und einer Nachricht über wachsende Probleme der Russen mit dem Übergewicht. Den meisten Russen erscheint Deutschland als Hort der Stabilität und des Wohlstands, kaum jemand erwartet, dass eine Wahl daran viel ändern wird.

Da die Sonntagsausgabe der Nachrichtensendung "Wremja" eine ganze Stunde dauert, war immerhin Zeit für ein kurzes Interview mit dem Außenpolitik-Experten Fjodor Lukjanow. Der Politologe mit guten Verbindungen in den Kreml erklärte, eine große Koalition mit Frank-Walter Steinmeier als Außenminister sei der russischen Regierung wohl das Liebste. Steinmeier hatte einst die deutsch-russische Modernisierungspartnerschaft ins Leben gerufen.

Erst vor zwei Wochen hatte er in einem Gastbeitrag für den Spiegel vor dem G20-Gipfel in Sankt Petersburg dazu aufgerufen, bei aller berechtigten Kritik an Putin und seinem System "die Kommunikationskanäle nach Russland offen" zu halten. Präsident Wladimir Putin hatte in der vergangenen Woche kokett bemerkt, Angela Merkel trete ja nun auch ihre dritte Amtszeit an. Eine Anspielung auf die Kritik, dass er selbst zum dritten Mal im Amt ist. Die russische Verfassung erlaubt nur zwei Amtszeiten hintereinander.

Israel ist Merkel-Land

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Kanzlerin genießt in den Straßen von Haifa oder Tel Aviv ebenso großes Ansehen wie in den Regierungsstuben in Jerusalem. In Zeiten, in denen Israels Freunde in der Welt weniger werden, gilt sie als treue Verbündete und vor allem als Fürsprecherin innerhalb der Europäischen Union, die ansonsten als überwiegend feindlich empfunden wird.

Merkels Wahlsieg also wird in Israel mit Genugtuung und Erleichterung aufgenommen. Wie üblich werden zwar die Nachrichten von anderen, eher selbstbezogenen Themen dominiert - von einem Soldatenmord, von israelischen Überlebenden des Nairobi-Massakers oder von der iranischen Gefahr. Doch in den Berichten und Kommentaren zur deutschen Wahl leuchtet der Stern der Kanzlerin hell auf. Die linksliberale Zeitung Haaretz stellt die zugespitze Frage: "Ist Angela Merkel gut für die Juden?" -und beantwortet sie mit einem relativ klaren Ja.

Die konservative Jerusalem Post lobt die Wahlsiegerin vor allem in Abgrenzung zu den Alternativen, wobei der SPD, den Grünen und den Linken latente Israel-Feindlichkeit unterstellt wird.

Allerdings wird auch in Israel registriert, dass Merkel - jenseits ihres viel zitierten Bekenntnisses, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson - auch mitunter deutliche Kritik an der Politik der Jerusalemer Regierung geübt hat. Das persönliche Verhältnis zu Premierminister Benjamin Netanjahu gilt als angespannt, vor allem der Siedlungsbau sorgt für Differenzen, verbürgt sind lautstarke Auseinandersetzungen per Telefon. Doch wenn es zum Schwur kommt oder zu Abstimmungen bei den Vereinten Nationen, weiß Israel, dass es mit wenigen Ausnahmen auf die deutsche Stimme zählen kann.

Weder Begeisterung, noch Bestürzung in Spanien

Von Thomas Urban, Madrid

"Merkel, Merkel über alles!" So lautet am Montag die Schlagzeile der konservativen Tageszeitung El Mundo. Das monarchistische Blatt La Razón ruft sie sogar zur "Königin von Europa" aus. Allerdings darf bezweifelt werden, dass dies ein Wunschgedanke ist angesichts der physischen Schwäche des eigenen Königs sowie all seiner Affären und Eskapaden, die im letzten Jahr ans Licht gekommen sind, es soll wohl eher ein Horrorgemälde sein.

Bei El Mundo hat die Schlagzeile ebenfalls einen doppelten Sinn. Das konservative Lager weiß nämlich nicht so genau, was man von Merkel halten soll. Einerseits setzt auch Ministerpräsident Mariano Rajoy, der Chef der konservativen Volkspartei (PP), auf einen harten Sparkurs zur Überwindung der Krise, die jüngsten Wirtschaftsdaten scheinen ihm dabei Recht zu geben. Andererseits erleben viele Angehörige der spanischen Elite den Absturz als eine Art Demütigung der Nation - und es ist "La Merkel", die wie eine strenge Lehrerin mit erhobenem Zeigefinger immer wieder unerbittlich darauf hinweist. Jedenfalls wird sie in Karikaturen immer wieder so gezeigt.

Bei den Sozialisten und anderen Linksgruppen ist man naturgemäß nicht begeistert. Der Kommentator der linksliberalen Tageszeitung El Pais aber sieht ein Zeichen der Hoffnung: CDU/CSU haben ja keine Mehrheit im Bundestag, also könnte Merkel mitten in der Legislaturperiode doch einem Linkskabinett Platz machen müssen. Es gibt also weder Begeisterung, noch Bestürzung, man hatte in Spanien mit diesem Ergebnis gerechnet. In einem Punkt aber sind sich alle Kommentatoren einig: Merkel gilt als berechenbar - im Guten wie im weniger Erfreulichen.

Italien: Merkel und die Dämonen

Von Andrea Bachstein, Rom

"Merkels triumphiert", "Merkel: ein historischer Sieg", "Merkel siegt überwältigend", so lesen die Italiener am Montagmorgen in den Aufmacherschlagzeilen der größten Zeitungen La Repubblica, Corriere della Sera und La Stampa. Auch in den Vormittagssendungen des Fernsehens wird über die Wahl geredet, und oft geht es dabei um den Vergleich mit der italienischen Politik, die nicht besonders gut abschneidet.

"Angela e i Demoni" hat die Rai die Ausgabe der Diskussionssendungen betitelt und mit einer Bildmontage illustriert, die Merkel zeigt umgegeben von italienischen Politikern in der Rolle der "Dämonen". In vielen Beiträgen klingt etwas Neid an, dass es eine mit so viel Zustimmung ausgestattete Figur in der Politik gibt.

Vor allem aber ist allgemein die Erleichterung, dass sich keine antieuropäische Stimmung durchgesetzt, die Afd nicht in den Bundestag einzieht. Was die deutsche Wahl für Europa bedeutet und damit für Italien, interessiert am meisten in dem Land, das ächzt unter der Sparpolitik. Der Deutschlandkorrespondent der Repubblica spricht in einem Fernsehbeitrag von einer "enormen Bestätigung für die proeuropäische Politik", und spekuliert, Merkel könnte nun die Deutschen vielleicht fragen, ob sie etwas mehr hergeben für die schwachen EU-Länder.

Der Corriere bremst solche Hoffnungen, die Deutschen hätten vor allem ihren Wunsch nach Stabilität ausgedrückt, und die Länder mit Problemen sollten sich "nicht zu viele Illusionen machen über großzügige Änderungen am Dogma der Finanzdisziplin". Ein anderer Kommentator im Corriere sieht Merkels Linie innenpolitisch so gestärkt, dass "Verhandlungspartner von Gewicht nur aus Europa kommen können".

Feindselig reagiert wie immer das rechte Berlusconi-Hetzblatt Il Giornale, das Merkel und Deutschland längst als Schuldige an Italiens Problemen identifiziert hat, die gierig an der Eurokrise verdienen. "Härte und Austeritätspolitik siegen", titelt Il Giornale und behauptet, Merkel würde "mehr Europa höchstens akzeptieren in Form einer "Annektion" durch Deutschland.

Polen bewundert die "Superkanzlerin"

Von Klaus Brill, Warschau

Der Triumph der Kanzlerin ist auch in der Wahrnehmung der Polen das herausragende Ergebnis dieser Bundestagswahl. Die führende Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza erhebt das Ergebnis sogar in den Rang einer historischen Verfestigung, indem sie schreibt, in Deutschland herrsche jetzt "der Merkelismus". Der beispiellose Erfolg sei die Belohnung dafür, dass Angela Merkel ihre Landsleute vor der Krise geschützt habe und ihnen Ruhe garantiere. "Merkel zerquetscht ihre Rivalen", lautet die Schlagzeile.

In allen großen Zeitungen des Landes ist das Thema der Aufmacher, auch die konservative Rzeczpospolita wählt ein drastisches Bild, um die Dimension des Ergebnisses zu fassen: "Angela Merkel schlägt politische Rivalen k.o." Das Blatt bezeichnet die CDU-Chefin, die in Polen sowieso die beliebteste ausländische Politikerin ist, als "Superkanzlerin" und "wichtigste Frau der Welt".

Ihre dritte Amtszeit gebe ihr jetzt Gelegenheit zu zeigen, "ob sie an die proeuropäische Tradition früherer Kanzler anknüpft oder sich gefährlich der Charakterisierung auf den Plakaten griechischer Demonstranten annähert, die Merkel mit Hitler-Schnauzbart zeigen".

Japans verschnupfte Zurückhaltung

Von Christoph Neidhart, Tokio

Guten Morgen Nippon, die Sieben-Uhr-Nachrichten des de-facto-Staatssenders NHK, sind sozusagen die televisionäre Morgenandacht der Japaner. Die einstündige News-Show, die in den meisten Haushalten läuft, sagt ihnen, was wichtig und was richtig ist.

An diesem Montag waren es Schlampereien der Bahn und die Vorstellung der Neujahrskarten der Post für Silvester. Auf eine Meldung, in Deutschland sei gewählt worden, wartete man vergeblich. Aus dem Ausland wurde nur über das Geiseldrama in Nairobi berichtet, dabei war vor allem wichtig, ob Japaner unter den Opfern seien.

Mittags zeigte NHK dann die Kanzlerin beim Feiern, man wisse allerdings noch nicht, mit welcher Partei sie regieren werde. Warum das so ist, wurde nicht erklärt. Der Privatsender Asahi TV zeigte Merkel ebenfalls beim Feiern und erwähnte die Schlappe der FDP.

Die Hälfte des Minuten-Beitrags widmete er der "Alternative für Deutschland", als hätten die Euro-Kritiker die Wahl gewonnen. Seit dem Beschluß zum Atomausstieg und skeptischen Kommentaren Berlins über Japans Geldpolitik ist das offizielle Tokio etwas verschnupft. Also halten sich die Medien mit Berichten aus Berlin noch mehr zurück als ohnehin schon.

In Österreich fühlen sich alle gestärkt

Von Cathrin Kahlweit, Wien

In Deutschland werden die Plakatwälder abgebaut, in Österreich jedoch geht der Wahlkampf weiter, und zwar mit Karacho: Hier wird in sechs Tagen gewählt. Die letzten Großveranstaltungen stehen an, die letzten Kandidaten-Duelle, die letzten Interviews.

Da kommt das Ergebnis im Nachbarland gerade recht, von dem sich die meisten Parteien Auftrieb für die eigene Sache versprechen: Die konservative ÖVP unter Außenminister Michael Spindelegger fühlt sich durch den Erfolg der Konservativen in Deutschland gestärkt. Die SPÖ unter Kanzler Werner Faymann fühlt sich durch den Erfolg der Kanzlerin gestärkt. Die Neos, eine neue, liberale Partei, fühlt sich durch den Erfolg einer neuen, kleinen Partei AfD gestärkt. Die Grünen haben nicht mit Steuererhöhungen wahlgekämpft und keine Pädophilie-Debatte am Hals; sie fühlen sich gestärkt, weil sie glauben, mehr richtig gemacht zu haben als die deutschen Kollegen.

Und die anderen, nun ja: Für Frank Stronachs Geister-Team, das kränkelnde BZÖ und die rechtspopulistische FPÖ von Heinz-Christian Strache gibt es in Deutschland keine Pendants, die können also ganz befreit weitermachen, ohne auf Berlin zu schielen.

Sogar das Ergebnis vom 29. September, davon gehen die Meinungsforscher nach wie vor aus, könnte so aussehen, wie es nun wahrscheinlich für Deutschland aussieht: Eine große Koalition gilt als die wahrscheinlichste Lösung für Österreich.

Eine Wahl vorbei, eine Wahl im Blick: Österreich schaut grundsätzlich gern zum großen Nachbarn hinüber, misst sich, sucht nach Lern- und Abschreckungseffekten. Vergleichbar will man sein, und doch ganz anders. Die Kommentatoren in den Print-Medien warnen daher davor, dass die Stimmung in Deutschland ansteckend sein könnte. Der Standard nennt das Wahlergebnis einen "Triumph des Mittelmaßes", die Presse spricht vom "Triumph mit bitterem Beigeschmack", Profil hat Edmund Stoiber befragt, der warnt: "Merkel ist knallhart."

Bitter und knallhart, das kommt für Österreich nicht in Frage.

Schweizer hoffen auf Kontinuität

Von Wolfgang Koydl, Zürich

Peer Steinbrück weint in der Schweiz niemand eine Träne nach. Seit seinen verbalen Ausritten, als er der Eidgenossenschaft wie einem aufmüpfigem Indianerstamm mit der Kavallerie drohte, hatte sich der SPD-Kanzlerkandidat in der öffentlichen Meinung als Inbegriff nicht des unangenehmen, unerzogenen Deutschen etabliert. Die Zufriedenheit über den Wahlsieg der Union unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist bei den Nachbarn aber auch deshalb groß, weil dies Kontinuität verspricht - eine Eigenschaft, die Eidgenossen hoch schätzen.

Vor allem aber herrscht Erleichterung darüber, dass der ewig währende Wahlkampf im "Großen Kanton" nördlich von Rhein und Bodensee endlich beendet ist. Diese Kampagne belastete das Verhältnis der beiden Länder und trug mehr oder minder unmittelbar dazu bei, dass zwei Staatsverträge zwischen Bern und Berlin platzten: Das Steuerabkommen scheiterte an der rot-grünen Bundesratsmehrheit, ein Verkehrsabkommen über den Fluglärm des Airports Zürich wurde wegen der Einsprüche aus dem grün-rot regierten Baden-Württemberg storniert, nachdem es bereits unterzeichnet worden war.

Nun hofft man, dass wieder Normalität in das Verhältnis zurückkehrt. Ein neues bilaterales Abkommen über deutsches Schwarzgeld auf Schweizer Konten freilich wird es nicht mehr geben. Hier liegt die Zukunft in multilateralen Vereinbarungen und dem automatischen Informationsaustausch.

Serbien sorgt sich

Von Florian Hassel, Belgrad

Serbien ist bei seinen bevorstehenden Beitrittsverhandlungen zur EU vor allem auf die Zustimmung Berlins - sprich, Angela Merkels - angewiesen. Die Nachrichtenagentur Tanjug lud deshalb zusammen mit dem deutschen Botschafter Heinz Wilhelm eigens zur Podiumsdiskussion ein, was Merkels neuer Sieg bedeute.

Der Botschafter beruhigte: Es ändere sich nichts Wesentliches. Tanja Miscevic, Verhandlungsführerin Serbiens bei den anstehenden EU-Verhandlungen, betonte, Deutschland sei ein stabiles Land mit demokratischen Institutionen, in dem sich die Außenpolitik durch einen Regierungswechsel nicht grundlegend ändere, erst recht nicht, wenn die gleiche Partei regiere - in Serbien, wo Regierungswechsel deutliche Änderungen nach sich ziehen, durchaus nicht selbstverständlich.

Serbiens regierungsnahe Tageszeitung Politika hütete sich, Merkels Wahlsieg zu bewerten und nahm lieber innerdeutsche Fragen auf, wie die, ob Merkel nun langfristiger und entschiedener regieren werde als bisher. Die liberale Tageszeitung Danas betonte, Merkel ziehe an politischer Erfahrung mit der eisernen Lady Margaret Thatcher gleich.

EU-Kommission und Europaparlament: "Gratulation zur europäischen Reise"

Von Javier Cáceres und Cerstin Gammelin, Brüssel

Der französische Binnenmarktkommissar Michel Barnier war der Schnellste. Und lenkte allein durch den Umstand, dass niemand so vorauseilend war wie er, den Blick wieder darauf, dass er gerne mal Kommissionspräsident werden will. "Congratulations to Angela #Merkel! & best wishes to #Germany and its people for their European journey in next 4 years", twitterte Barnier am Sonntagabend, als das institutionelle Brüssel, wie es so schön heißt, sich noch in Schweigen hüllte.

Ratspräsident Herman Van Rompuy twitterte später in Deutsch, kaum länger als eines der Haikus, die er gern verfasst. Aus dem Umfeld des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso verlautete, dieser habe Angela Merkel persönlich angerufen. Doch sonst war höchstens im Europaparlament noch ein reges Treiben zu spüren.

"Mit einer gestärkten Kanzlerin bleibt der Reformdruck aus Berlin erhalten", sagte Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament.

Hannes Swoboda, der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, sagte zu Süddeutsche.de, dass er "bei allen Problemen und Schwierigkeiten dabei bleibe", den deutschen Genossen, aber auch Angela Merkel zur Großen Koalition zu raten. "Wenn Frau Merkel etwas für Europa tun will, braucht sie eine starke Basis", sagte Swoboda, umgekehrt könne und müsse die SPD "in die deutsche Regierungspolitik eine soziale Dimension einbringen". Dass die SPD neuerlich Opfer einer Kannibalisierung der Koalitionspartner anheimfallen könnte, fürchtet Swoboda nicht. Der Grund: Anders als seinerzeit in der ersten großen Koalition unter Merkel hätte es die SPD nicht mehr mit einer Politikerin zu tun, die auf dem aufsteigenden Ast ist. "Nicht, dass ich sie auf dem absteigenden Ast sähe. Merkel ist stark, und diese Stimmung in Deutschland muss man zur Kenntnis nehmen. Aber sie hat den Höhepunkt erreicht." Daher sei er auch davon überzeugt, dass sich die SPD nicht ausschließlich in der Opposition profilieren könne, sondern auch in der Regierung. Eine große Koalition wäre "eine Koalition für Europa", die auch die nordischen Länder führen müsse - damit in Europa "der Zusammenhalt gefördert statt gefährdet" werde.

Liberale und Grüne hatten am Montag eins gemeinsam: Sie leckten ihre Wunden. Franziska Brantner, die ihr Mandat im Europaparlament gegen einen Sitz im Bundestag eintauschen wird, forderte dezidiert "einen Neuanfang". Es müsse "alles auf den Tisch, und das muss personelle Konsequenzen haben. Der Wechsel ist machbar und die Grünen sind erneuerbar", sagte sie zu Süddeutsche.de. "Ich mache es mal ganz plakativ: Es gab in der gesamten Plakatlinie ein Plakat zu Energiewende und ökologischem Umbau - 'Ich werd mal Energieriese' -, was keiner verstanden hat, und keines zu Europa", erklärte Brantner. Das sei eine "ziemlich falsche Strategie" gewesen.

Auch Alexander von Lambsdorff ging mit seiner Partei hart ins Gericht. Er sieht die FDP-Vertretung im Europaparlament - die größte, die die Liberalen je hatten - zusammen mit den Landes- und Kommunalvertretungen als die Zellen, "von denen der Wiederaufbau der Partei gestartet" werden muss, wie er zu Süddeutsche.de sagte. Gerissen habe man sich nicht darum. Diese Rolle sei ihnen ganz von allein zugefallen. Nun würde sich strategisch die Frage stellen, wie man sich neu ausrichtet. "Laufen wir den AfD-Wählern hinterher? Oder den zwei Millionen, die zur Union gewechselt sind, weil die FDP so eine miserable Performance hingelegt hat?" Seine Antworten wollte Lambsdorff seinen Parteifreunden selbst vortragen.

Auch der Erfolg der euro-skeptischen Alternative für Deutschland (AfD) wurde in Brüssel natürlich aufmerksam registriert. Binnenmarkt-Kommissar Barnier sagte, man dürfe angesichts solch populistischer Strömungen, mit denen man in anderen Ländern Europas, namentlich in Frankreich, bereits Erfahrungen gemacht habe, nicht fatalistisch werden. Es gebe im Übrigen auch interessante Kritikpunkte der Parteien mit anti-europäischer Haltung. Dazu zähle die Kritik an der EU-Bürokratie und die Frage, ob immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden müssten.

Der britische Euroskeptiker Nigel Farage, der für die UK Independence Party (UKIP-Partei) im Europaparlament sitzt, sagte, er sei "natürlich enttäuscht, dass die AfD den Sprung in den Bundestag so knapp verpasst habe". Er sei aber optimistisch, dass er nach den Europawahlen 2014 AfD-Abgeordnete im Europaparlament begrüßen könne.

Für Türken ein nebensächlicher "Supersieg"

"Büyük Zafer", großer Sieg, schreibt die türkische Zeitung Milliyet am Montag auf ihrer Titelseite über Merkels Triumpf. Allerdings findet sich die Nachricht selbst nur ziemlich klein am unteren Rand des Blattes.

Auch andere türkische Zeitungen registrieren den "Süper Zafer" (Supersieg) der deutschen Kanzlerin fast wie eine Nebensächlichkeit. Das Interesse in der Türkei an Europa hat zuletzt deutlich nachgelassen.

In einem Gastbeitrag für die britische Zeitung Telegraph hatte Europaminister Egemen Bagis erst am Wochenende mitgeteilt, möglicherweise werde sein Land niemals der EU betreten. Der Grund dafür sei eine von Vorurteilen geprägte Haltung vieler EU-Länder.

Der Nachrichtensender NTV wiederum erinnerte daran, dass rund 800.000 Wähler in Deutschland türkischer Abstammung seien. Über Twitter kommentierte ein Deutsch-Türke: "Unsere Islamisten sind sehr anpassungsfähig", in Deutschland würden sie sogar die Linke wählen, wegen der Forderung nach einem Mindestlohn.

Den Grünen habe die Pädophilie-Debatte "sehr geschadet", schrieben gleich mehrere deutsch-türkische Twitterer. Die Zeitung Hürriyet Daily News teilte ihren Lesern noch mit, dass elf Abgeordneten des neuen Parlaments türkischen Ursprung hätten, so viele wie noch nie.

Griechen verpassen der Kanzlerin ein Krönchen

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Ägypten spekuliert über eine große Koalition

Von Sonja Zekri, Kairo

Am Vorabend der Wahl sollen die Grünen Angela Merkel mit Mursi verglichen haben, Ägyptens gestürztem Ex-Präsidenten. Und Ägyptens Medien, die über die Wahl bemerkenswert ausführlich berichteten, wurden da natürlich besonders hellhörig.

Mursi hatte ein 100-Tage-Programm versprochen - und scheiterte dennoch dramatisch. Im Falle einer Niederlage wäre die Kanzlerin natürlich nicht im Gefängnis gelandet, in Deutschland rollen bei Wahlen keine Panzer, der Verlierer muss nicht flüchten, sondern gratuliert dem Sieger - kurz, zwischen den politischen Umgangsformen in Berlin und Kairo liegen Welten. Aber in den ersten spärlichen Reaktionen ging es darum nicht.

Stattdessen verzeichnete die staatliche Zeitung Al-Ahram die historische Niederlage der FDP und den Überraschungssieg der AfD, vor allem aber Merkels "triumphalen Erfolg". Merkel sei die erste Regierungschefin Europas, die trotz Euro-Krise wiedergewählt wurde, so die Zeitung.

Alsdann folgten Spekulationen über eine große Koalition, die, so das Blatt, Deutschland nach "links" rücken könnte, schließlich haben die Sozialdemokraten Steuererhöhungen für Reiche in Aussicht gestellt.

Aus ägyptischer Perspektive ist Deutschland das wichtigste Land Europas. Sehnsüchtig wartet man in Hurghada und Scharm el-Scheich auf die Rückkehr der Touristen, gereizt reagiert man am Nil auf Kritik an der militärischen Entmachtung Mursis.

Für Lateinamerika "eine rätselhafte Anführerin"

Von Peter Burghardt, Mexiko-Stadt

Mehrere Lateinamerikanerinnen dürfen ein bisschen neidisch sein - so populär wie Angela Merkel sind sie derzeit alle nicht. Auch nicht Cristina Fernández de Kirchner und Dilma Rousseff, die Präsidentinnen Argentiniens und Brasiliens. Beeindruckt erlebten auch die beiden mächtigsten Frauen südlich der USA, wie souverän die Kollegin aus Alemania beziehungsweise Alemanha in ihrem Amt bestätigt wurden.

Die Señora Kirchner in Buenos Aires dagegen ist vor den anstehenden Parlamentswahlen in die Defensive geraten, die Senhora Rousseff in Brasília während der Proteste auf den brasilianischen Straßen kürzlich ebenfalls. Die Deutsche betrachten beide mit kritischem Respekt, die persönlichen Beziehungen sind eher distanziert.

Und für viele Menschen im Süden verkörpert die Bundeskanzlerin ein paar typische deutsche Tugenden. Bedacht, organisiert, kühl, streng, machtbewusst. "Eine mächtige und rätselhafte Anführerin, die mit ihrem Stil in den Bann zieht", schreibt die argentinische Zeitung La Nación. Bald wird Angela Merkel eine neue Mitstreiterin haben: Bei Chiles Wahlen treten bald zwei Frauen gegeneinander an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: