Internationale Krise:Koreaner fürchten den "Kissinger-Plan"

Internationale Krise: Nordkoreanische Soldaten feiern bei Feuerwerk und Militärparade die Stärke ihres Landes. In den vergangenen Wochen waren die Töne zwischen dem Regime in Pjöngjang und den USA immer schriller geworden.

Nordkoreanische Soldaten feiern bei Feuerwerk und Militärparade die Stärke ihres Landes. In den vergangenen Wochen waren die Töne zwischen dem Regime in Pjöngjang und den USA immer schriller geworden.

(Foto: Kim Won-jin/AFP)
  • In Südkorea geht die Angst um, dass die USA und China eigenmächtig über das Schicksal der koreanischen Halbinsel entscheiden.
  • Dem zugrunde liegen soll ein Plan des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger.
  • Unklar ist, ob diese Angst begründet ist. Oder ob sie sich aus der Erfahrung der Koreaner nährt, in der Geschichte immer wieder Großmächten ausgeliefert gewesen zu sein.

Von Christoph Neidhart, Tokio

In Südkorea geht die Angst um, allerdings nicht die Angst vor einem Angriff Nordkoreas. Die Südkoreaner fürchten sich vielmehr vor "Korea passing". Bis vor einigen Tagen stand dieser Neologismus für die Gefahr, die Zukunft der koreanischen Halbinsel könnte über die Köpfe der Südkoreaner hinweg in Washington, Peking oder Pjöngjang entschieden werden. Am ehesten, indem US-Präsident Donald Trump mit einem Militärschlag gegen Nordkorea einen Krieg auslöst. Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in hat deshalb wiederholt betont, Washington habe ihm zugesichert, ohne Südkoreas Einwilligung keinen Angriff auf Nordkorea zu starten. Seoul lasse es unter keinen Umständen zum Krieg kommen, hatte Moon erklärt. Doch die USA haben diese Zusicherung nie offiziell bestätigt.

Seit Mitte der Woche hat die Angst der Südkoreaner noch einen weiteren Namen: "Kissinger-Plan". Am Mittwoch berichtete Südkoreas führende konservative Tageszeitung Joongang Ilbo, Trumps Tochter Ivanka und ihr Mann Jared Kushner würden demnächst in Peking zum Bankett mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping erwartet. Bei diesem Besuch werde Kushner Xi einen Plan des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger vorstellen.

Der Nordkorea-Experte Joseph Bosco, ehemals China-Direktor im Pentagon, notierte schon im April, Kissinger habe Kushner unter seine Fittiche genommen. Damit werde Kissinger, diese "Personifizierung des verknöcherten Denkens über China", so Bosco, durch Kushner wieder in seine alte Rolle des geheimen Vermittlers zwischen Staatschefs schlüpfen - also an allen offiziellen Kanälen vorbei.

Ausgedacht haben soll sich das Treffen zwischen Xi und Kushner der chinesische Botschafter in Washington, der einen guten Draht zur Trump-Familie habe. Joongang Ilbo stützt sich dafür auf diplomatische Quellen, unter anderem die japanische Botschaft in Washington. Allerdings meldete die New York Times am selben Tag, ein Besuch Kushners in Peking sei zwar geplant gewesen, unter anderem zur Vorbereitung von Trumps Staatsbesuch im November, zumal der Schwiegersohn schon Xis Besuch in Mar-a-lago eingefädelt habe. Aber Kushner habe die Einladung nach Peking abgelehnt.

Kissinger hat seinen Plan im August im Wall Street Journal selber skizziert. Obwohl alle Nachbarn Nordkoreas dessen Denuklearisierung wollten, sei die bisherige Diplomatie gescheitert. Die Schlüsselspieler, USA und China, hätten nie einen operativen Konsens gefunden. Weil China ebenfalls interessiert sei, dass Nordkorea sein Atomprogramm aufgebe, sogar stärker noch als Washington, hätten die USA bisher versucht, Peking als eine Art US-"Subunternehmer" einzusetzen; in dieser Rolle sollte China Druck auf Pjöngjang ausüben.

Das aber funktioniere nicht. Die wohl einzige Lösung sei deshalb, so Kissinger, dass Peking und Washington ihre Bemühungen vereinten. Dabei werde es nicht genügen, dass die Amerikaner Peking versichern, man wolle keinen einseitigen Nutzen aus der nuklearen Entwaffnung Nordkoreas ziehen. Washington und Peking müssten sich vorab auf ein gemeinsames Entwicklungsschema für Nordkorea einigen. Soweit Kissinger, der nichts von jenem Handel hält, der zurzeit diskutiert wird. Demnach würde Nordkorea sein Atom- und Raketenprogramm einfrieren, die USA und Südkorea dafür ihre gemeinsamen Manöver einstellen.

Südkorea war in der Vergangenheit immer wieder Großmächten ausgeliefert

Kim Hyun-ki, Washington-Korrespondent des Joongang Ilbo, interpretiert und spitzt Kissingers "Grand Bargain" zu, ohne Quellen zu nennen. Demnach sollten die Chinesen das Kim-Regime stürzen, die USA würden dafür ihr Militär aus Südkorea abziehen. Obwohl Kissinger im Wall Street Journal schrieb, vor allem Seoul, aber auch Tokio müssten grundsätzlich bei einer chinesisch-amerikanischen Übereinkunft ein Mitspracherecht haben, fürchtet der Joongang, die Großmächte würden Seouls Interessen übergehen.

Unklar ist, ob diese Angst begründet ist. Oder ob sie sich aus der Erfahrung der Koreaner nährt, in der Geschichte immer wieder Großmächten ausgeliefert gewesen zu sein. Südkoreas Presse jammert, die Regierung Moon sei in Trumps Washington kaum vernetzt, anders als China und Japan. Zudem hat Trump die Angst vor einem "Korea Passing" mit Tweets geschürt.

Der pensionierte japanische Diplomat Hitoshi Tanaka, der 88 Mal mit Pjöngjang verhandelte, sagt, die USA und Nordkorea seien die schwierigsten Länder, mit denen er Gespräche geführt habe. Die Amerikaner drohten schnell: "Wenn ihr nicht macht, was wir wollen, bestrafen wir euch." Den Koreanern dagegen habe er erst lange zuhören müssen. "Die Amerikaner verstehen diese Feinheiten gar nicht."

Kissingers angebliche Vorstellungen eines Grand Bargain würden dem Diplomaten Tanaka recht geben.

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