Internationale Justiz:Freispruch für serbischen Nationalisten

Das Haager Kriegsverbrechertribunal erkennt in den Taten des Politikers Vojislav Šešelj "keinen kriminellen Plan".

Von Florian Hassel, Warschau

In einer überraschenden Entscheidung hat das Internationale Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) den serbischen Politiker Vojislav Šešelj freigesprochen. Šešelj war zu Beginn der Neunzigerjahre Befürworter eines "Großserbien" und der Vertreibung anderer ethnischer Minderheiten. Er rekrutierte und schickte von 1991 bis 1993 mehrere Zehntausend Männer in von Serbien reklamierte Gebiete in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Allein in Kroatien flohen über 200 000 Zivilisten; Tausende Menschen wurden ermordet.

Die aus drei Richtern bestehende Kammer sprach den heute 61-Jährigen mit zwei von drei Richterstimmen von aller Verantwortung für Vertreibung, Zerstörung, Folter und Mord durch seine Männer frei. Der französische Richter Jean-Claude Antonetti und sein senegalesischer Kollege Mandiaye Niang entschieden, der von Šešelj verfolgte Plan für ein Großserbien sei "ein politischer Plan, kein krimineller Plan" gewesen. Das Ziel der Entsendung seiner Freischärler nach Kroatien und Bosnien sei nach "vernünftiger Wahrscheinlichkeit" gewesen, "Serben zu beschützen". Zudem seien Šešeljs Männer als Freiwillige "in die Streitkräfte integriert" und Šešelj "nicht der hierarchische Vorgesetzte" gewesen. Die Anklage habe weder die Existenz einer auf Kriegsverbrechen abzielenden Gruppe unter Beteiligung Šešeljs noch seine Verantwortung für Verbrechen nachgewiesen. Kriegsreden, in denen Šešelj sagte, dass kein Kroate "Vukovar lebend verlassen darf" oder dass "Abschaum" die von Serben reklamierten Gebiete verlassen müsse, seien nicht zweifelsfrei Aufrufe zur sogenannten ethnischen Säuberung gewesen, sondern sollten womöglich nur "die Moral der serbischen Truppen heben".

Das überraschende Urteil steht im Widerspruch zu vorangegangenen Urteilen. Erst am 24. März urteilte eine andere Richterkammer des Jugoslawien-Tribunals im Schuldspruch gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, auch Vojislav Šešelj habe von 1991 bis 1995 zu der Gruppe gehört, die die systematische Verfolgung und Deportation bosnischer Muslime und Kroaten zum Ziel hatte. Die dritte Richterin der im Fall Šešelj urteilenden Kammer, die Italienerin Flavia Lattanzi, stellte fest, der Freispruch widerspreche sowohl vorheriger Rechtsprechung des Tribunals wie internationalem Recht. Es habe "reichliche Beweise" für die Existenz der Verbrechergruppe unter Beteiligung Šešeljs und für seine Verantwortung gegeben. Ihre Kollegen hätten viele Beweise der Anklage missachtet und stattdessen Argumente des Angeklagten übernommen. Die Anklage erwägt, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Kurz nach dem Freispruch ordnete das kroatische Innenministerium nach Angaben einer Polizeisprecherin ein Einreiseverbot für Šešelj an. In Belgrad hingegen feierten nationalistische Serben die Entscheidung des Tribunals. "Nach so vielen Urteilen gegen unschuldige Serben sind zwei ehrenwerte Richter aufgetaucht, die gezeigt haben, dass Ehre und Ansehen über der Politik stehen", sagte Šešelj. Er bekräftigte auch die Idee eines Großserbien, die "unsterblich" sei.

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