Internationale Fahndung:Warum es noch immer keine EU-weite Gefährderdatei gibt

Three attackers who were shot dead in Cambrils on the night of the attack in Barcelona last week are caught on a petrol station's surveillance camera close to the town just hours before the attack, in this still frame taken from video

Eine Videokamera nahm drei Verdächtige nur wenige Stunden vor dem Attentat in Barcelona in einer Tankstelle auf.

(Foto: Reuters)
  • An Datenbanken mangelt es nicht in der EU. Allein bei der europäischen Polizeibehörde Europol gibt es gleich mehrere.
  • Das Problem ist nur, dass die nationalen Behörden ihre Daten, wenn überhaupt, nur schleppend weitergeben und untereinander teilen.
  • Einige EU-Staaten haben etwa den bereits vorgeschriebenen Abgleich mit DNA- und Fingerabdruckdateien noch immer nicht vollständig umgesetzt.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Abdelbaki Es Satty war in Belgien kein Unbekannter. Der mutmaßliche Kopf der katalanischen Terrorzelle hielt sich etwa drei Monate in der Gegend um Brüssel auf, bis er am 8. März 2016, zwei Wochen vor den Anschlägen in der belgischen Hauptstadt, verschwand.

Den Behörden war der Imam offenbar aufgefallen, weil ihm die islamische Gemeinde im flämischen Diegem den Zutritt zu ihrer Moschee verweigert hatte. Satty wollte dort als Prediger arbeiten, legte aber kein Führungszeugnis vor und weckte so das Misstrauen der Gemeinde. Auch die belgischen Behörden schöpften Verdacht und erkundigten sich bei den Kollegen in Spanien, ob etwas gegen den Imam vorliege. Die Antwort: nein.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Spur des Terrors in Europa nach Belgien führt. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass es eine Verbindung zwischen Brüssel und Barcelona gibt. Unmittelbar nach den Anschlägen in der belgischen Hauptstadt wurden in Katalonien neun Verdächtige festgenommen, die zum selben Terrornetzwerk gehören sollen wie die Attentäter von Brüssel.

Schon damals forderten europäische Politiker eine EU-weite Gefährderdatei. Nach dem Anschlag von Barcelona stellt sich diese Frage erneut: Warum gelingt es nicht, eine europaweite Datenbank aufzubauen, in die nationale Behörden verpflichtend ihre Ermittlungsergebnisse einspeisen?

Die nationalen Behörden in Europa sollen sich besser vernetzen

An Datenbanken jedenfalls mangelt es nicht in der EU. Allein bei der europäischen Polizeibehörde Europol gibt es gleich mehrere. Die umfangreichste heißt Europol Information System (EIS). Seit 2005 sammeln die Ermittler in Den Haag alle verfügbaren Informationen über internationale kriminelle Strukturen in Europa - auch alles, was auf Terror schließen lässt.

Die Idee dahinter ist simpel: Die nationalen Behörden und Geheimdienste in Europa sollen sich besser vernetzen. Italienische oder französische Behörden sollen so etwa prüfen können, ob eine ihnen verdächtige Person bereits in einem anderen EU-Staat auffällig geworden ist.

Das Problem ist nur, dass die nationalen Behörden ihre Daten, wenn überhaupt, nur schleppend weitergeben und untereinander teilen. Das hat sich seit den Terroranschlägen in den vergangenen Jahren zwar gebessert, aber noch immer gibt es erhebliche Defizite. Einige EU-Staaten haben etwa den bereits vorgeschriebenen Abgleich mit DNA- und Fingerabdruckdateien noch immer nicht vollständig umgesetzt.

Nationale Eigenheiten erschweren die Zusammenarbeit

Hinzu kommen kulturelle Unterschiede. Nicht alle EU-Staaten haben dasselbe Verständnis von Datenschutz. Und nicht alle verstehen dasselbe unter einem "Gefährder": Muss ein Täter eine Straftat begangen haben, um als ein solcher zu gelten? Oder genügt bereits ein Vergehen gegen die öffentliche Ordnung?

Auch nationale Eigenheiten erschweren die Zusammenarbeit. In Deutschland etwa der Föderalismus. In Frankreich wiederum der Glaube an die eigene Souveränität. Es widersprach lange Zeit schlicht dem französischen Staatsverständnis, dass Behörden Informationen teilen sollten, welche die innere Sicherheit gefährden könnten. Nach den Anschlägen von Paris im November 2015 änderte sich diese Haltung schlagartig. Frankreich meldete plötzlich immer mehr Informationen an Europol.

Fast alle EU-Länder speisen zunehmend Daten in Den Haag ein. So waren Anfang 2015 lediglich 18 sogenannte foreign fighters im Europol-System von nur zwei Staaten gemeldet worden. 2016 stieg die Zahl auf fast 4000 mutmaßliche terroristische Kämpfer im Ausland - insgesamt 25 Staaten lieferten entsprechende Informationen an Europol. Insgesamt waren 2015 mehr als 85 000 verdächtige Kriminelle vermerkt, 40 Prozent mehr als im Jahr davor. Hinzu kommen Hunderttausende Informationen wie Autokennzeichen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen.

Bisher speisen EU-Staaten ihre Ermittlungsergebnisse auf freiwilliger Basis ein

Die Zahlen steigen - und doch ist sich die große Mehrheit der Sicherheitsexperten einig: Es genügt noch lange nicht. Es fehlen nicht nur einheitliche Kriterien, wie Daten aufbereitet werden sollen. Es fehlt vor allem die Verpflichtung, dass alle EU-Staaten nationale Ermittlungsergebnisse mit den anderen teilen müssen. Europol hat bereits passende Datenbanken für unterschiedliche Vergehen angelegt. Die Datei für Links- und Rechtsextremisten heißt Dolphin, jene für dschihadistische Terroristen nennt sich Hydra. Dann gibt es noch eine Datenbank für foreign fighters, eine für Terrorfinanzierung und eine für terroristische Propaganda im Internet.

Neben Europol sammeln auch noch andere Institutionen Daten, in denen potenzielle Gefährder auftauchen können. Etwa das Strafregister Ecris, das allen EU-Staaten zur Verfügung steht. Oder das sogenannte Schengener Informationssystem, auf das die Grenzschützer zugreifen können. Im Aufbau befindet sich gerade Etias, das künftig Ein- und Ausreisen aus Drittstaaten in die EU erfassen soll.

Im Fall des Imams Es Satty verfolgen die Behörden nun eine grenzüberschreitende Spur. Offenbar gibt es enge Verbindungen zwischen marokkanischen Drogenbanden und islamistischen Terrorzellen. Die Achse führt von Marokko über Spanien und Frankreich bis nach Belgien. Es Satty saß wegen Drogendelikten in Haft. Und bei jüngsten Anschlägen tauchten immer wieder Namen von Belgiern auf, die ihre Wurzeln in Marokko haben und den Großraum Brüssel mit Drogen versorgen. Der Verdacht der Ermittler: Terror wird mit Gewinnen aus dem Drogenhandel finanziert.

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