Süddeutsche Zeitung

Internationale Beziehungen:Europäer pochen auf Politik der Regeln

Paris und Berlin wollen das "Recht des Stärkeren" nicht als internationale Umgangsform akzeptieren. Sie werben für ein globales Netzwerk Gleichgesinnter. Nato-Minister beraten über Rüstungskontrolle.

Von Matthias Kolb, Brüssel/München

Angesichts der weltweiten Bestrebungen, in der internationalen Politik weniger auf Regeln als auf das "Recht des Stärkeren" zu setzen, wollen Deutschland und Frankreich als "Vorreiter" die regelbasierte Ordnung verteidigen. Gleichgesinnte Staaten müssten "ihren Einsatz für den Multilateralismus verdoppeln", schreiben die Außenminister Heiko Maas (SPD) und Jean-Yves Le Drian in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung anlässlich der 55. Münchner Sicherheitskonferenz.

Es sei falsch zu denken, dass sich "globale Probleme wie Klimawandel, Migration und Cybersicherheit" innerhalb nationaler Grenzen in den Griff bekommen ließen, argumentieren die Minister. Sie wollen ein globales "Netzwerk von Gleichgesinnten knüpfen", die keinen Widerspruch zwischen der "Verfolgung legitimer, nationaler Interessen" und dem "Schutz kollektiver Güter der Menschheit" sehen.

Als Ziele nennen Maas und Le Drian neben dem Erhalt eines freien und fairen Welthandels die Bewahrung des Nuklear-Abkommens mit Iran und der Vereinbarungen zum Klimaschutz, welche von US-Präsident Donald Trump in den vergangenen zwei Jahren aufgekündigt wurden.

Das ebenfalls von beiden erwähnte Rüstungskontrollregime ist durch den Bruch des INF-Vertrags zum Verbot von Mittelstreckenwaffen durch Russland in Gefahr. Die Verteidigungsminister der 29 Nato-Staaten berieten am Mittwoch in Brüssel über eine angemessene Reaktion, wenn das Abkommen im Frühsommer auslaufen sollte. Dies wäre der Fall, wenn Moskau seine Marschflugkörper vom Typ 9M729 nicht verschrottet. "Russland weiß, was es zu tun hat", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der ersten Sitzung. Die Nato hat laut Stoltenberg derzeit nicht die Absicht, neue atomare landgestützte Mittelstreckenraketen zu stationieren; zu see- oder luftgestützten Waffensystemen machte er allerdings keine Aussagen.

Zuvor hatte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine atomare Nachrüstung in Europa als Antwort auf das Ende des INF-Vertrages nicht vollständig ausgeschlossen. "Gerade weil wir am Anfang der Diskussion stehen, ist es eben wichtig, dass wir jetzt nicht anfangen, zu hierarchisieren oder einzelne Punkte rausnehmen, sondern wirklich die ganze Palette mit auf dem Tisch liegen lassen", sagte sie. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson, mit dem die CDU-Politikerin am Freitag die Sicherheitskonferenz eröffnen will, plädierte ebenfalls dafür, sich im Falle eines russischen Nichteinlenkens "alle Optionen" offenzuhalten.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte fordert in der SZ "weniger Naivität und mehr Realismus", wenn die EU auf der Weltbühne relevant bleiben wolle. Rutte plädiert dafür, "dringend" zu erwägen, in der Frage von Sanktionen auf Einstimmigkeit zu verzichten. In Bezug auf den Machtkampf in Venezuela kommt Europa wegen der Blockade Italiens nicht voran. "Das führt dazu, dass wir als EU weniger Einfluss nehmen können, als möglich wäre", beklagt Rutte, der nach Bundeskanzlerin Angela Merkel der erfahrenste Regierungschef der EU ist.

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SZ vom 14.02.2019
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