Interessen der EU:Großbritannien könnte ein EU-Abkommen vom Modell "Ukraine Plus" bekommen

Lesezeit: 3 min

  • May lehnt das Modell Norwegen oder Schweiz mit dem Zugang zum EU-Binnenmarkt und damit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen ab.
  • Ein reiner Handelsvertrag kommt für Großbritannien aber auch nicht in Frage, denn May will eine Kapitalmarktunion und Zusammenarbeit mit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik
  • Das Ukraine-Abkommen entspricht diesen Forderungen, denn es sieht gegenseitigen Marktzugang vor, der aber nicht an die Übernahme von EU-Recht oder die EuGH-Rechtsprechung gebunden ist.

Von Alexander Mühlauer

Es klingt natürlich hart, aber so ist nun mal die Lage: Nach allem, was man aus London weiß, wäre es für Großbritannien wohl das Beste, wenn die EU das Vereinigte Königreich bald wie die Ukraine behandeln würde. In Brüssel machen Beamte darüber schon Witze, die so mancher britische Kollege mit eher kühlem Lächeln zur Kenntnis nimmt. Was soll man auch machen? Das Post-Brexit-Britannien ist aus EU-Sicht eben nur noch ein Drittland. Und das Assoziierungs- und Handelsabkommen mit der Regierung in Kiew kommt den britischen Vorstellungen am ehesten entgegen.

Dass dem so ist, liegt vor allem an Theresa May. Die britische Premierministerin will auf keinen Fall das Modell Norwegen oder Schweiz mit dem Zugang zum EU-Binnenmarkt und damit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Menschen. Sie möchte vielmehr über die Einwanderung aus EU-Staaten wieder selbst bestimmen und sich nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterwerfen. Weil das so ist, bleibt im Grunde ein klassischer Freihandelsvertrag, wie ihn die EU zurzeit mit etwa 20 Staaten weltweit verhandelt.

Zuletzt war in London davon die Rede, dass Großbritannien einen Vertrag nach dem Muster Kanadas anstreben könnte. Doch Ceta ist ein reiner Handelspakt, dem die für die britische Finanzindustrie wichtige Kapitalmarktunion fehlt, außerdem ein weiteres Puzzleteil, das May gerne haben möchte: die Zusammenarbeit mit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das Modell Ukraine sieht genau das vor. Es entspricht also ziemlich exakt den britischen Kernforderungen. Das EU-Ukraine-Abkommen regelt einen gegenseitigen Marktzugang, der aber nicht an die Übernahme von EU-Recht oder die EuGH-Rechtsprechung gebunden ist. Es sieht auch keine Freizügigkeit von Personen vor und es erlaubt, eigene Handelsabkommen mit Drittstaaten zu schließen.

Großbritannien
:Britisches Unterhaus stimmt für Beginn der Brexit-Verhandlungen

Nach zweitägiger Debatte erlaubt die große Mehrheit der Abgeordneten Premierministerin May, Artikel 50 auszulösen. Im Grundsatz ist die Sache damit entschieden, doch längst sind nicht alle Hürden ausgeräumt.

Von Christian Zaschke

Ein Druckmittel der Union könnte die Europäische Investitionsbank sein

In Brüssel erwarten die Unterhändler, dass May die britische Stärke in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den Verhandlungen ausspielen wird. Die Premierministerin verweist in ihren Reden gerne auf die britischen Atomwaffen, den Sitz im UN-Sicherheitsrat und die britischen Geheimdienste. Davon profitiert die EU bislang, und es ist kein Geheimnis, dass sie ein Interesse daran hat, dass dies so bleibt.

Überhaupt kann das Vereinigte Königreich der EU in Verhandlungen sehr viel mehr bieten als die Ukraine. Und deshalb wird es am Ende auf einen maßgeschneiderten EU-UK-Pakt hinauslaufen, bei dem das Abkommen mit der Ukraine Modellcharakter haben dürfte - modifiziert durch Sonderregelungen. Das Centrum für Europäische Politik (CEP) nennt ein solches Modell "Ukraine Plus". Zwei Autoren analysieren in ihrer Brexit-Studie die einzelnen Politikbereiche und kommen zu dem Schluss, dass dieses Modell zu einem weitreichenden Freihandelspakt mit eingeschränkter Freizügigkeit führt, den Großbritannien mit einem substanziellen finanziellen Beitrag an die EU und einer Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik honorieren könnte.

In Brüssel loten die Unterhändler gerade die Verhandlungspositionen aus. Sie wollen auf alles vorbereitet sein, wenn May spätestens Ende März den EU-Austritt formell einreicht. Dann werden auf EU-Seite die Leitlinien für die Verhandlungen festgezurrt, und die EU-Staaten entscheiden über das Verhandlungsmandat. Vor allem eines ist ihnen wichtig: Der Brexit-Deal soll für London nicht günstiger zu haben sein als die EU-Mitgliedschaft. Nur so kann die Union verhindern, dass auch andere Staaten mit einem Austritt liebäugeln. Die EU der 27 muss also versuchen, die Einigkeit, mit der sie bislang gegenüber London auftritt, zu wahren.

Diese gemeinsame Haltung ist angesichts der Zerwürfnisse in der Flüchtlings- und Euro-Krise bemerkenswert. Wenn man so will, hat der Brexit die Europäische Union zusammengeschweißt. Sogar die EU-Kommission und der Europäische Rat schaffen es in dieser Frage, bis auf einige Startschwierigkeiten, an einem Strang zu ziehen. In seltener Harmonie arbeiten der Chefunterhändler der Kommission, Michel Barnier, und der EU-Diplomat Didier Seeuws, der auf Ratsseite die "Special Task Force" zum Brexit leitet, zusammen.

Besonders schwierig dürfte es in den Verhandlungen werden, wenn es ums Geld geht. Also um EU-Strukturfonds, mit denen Projekte in Großbritannien finanziert wurden. Es geht aber auch um die Zukunft von Menschen: Was passiert mit den britischen EU-Beamten? Und vor allem: Welchen Anteil muss London an den Pensionen aller EU-Beamter zahlen?

Die EU muss ihren Haushalt jedenfalls neu ordnen, weil mit Großbritannien einer der größten Nettozahler die Union verlässt. Ein Druckmittel in den Verhandlungen könnte aus Brüsseler Sicht die Mitgliedschaft Londons in der Europäischen Investitionsbank (EIB) sein. Das Geldhaus der EU finanziert in Britannien Sozialwohnungen, Bildungseinrichtungen oder auch den Bau eines Abwassertunnels unter der Themse. Das alles ist für London viel wert, unter dem Strich profitiert das Land von der EIB mehr, als es in die Bank einzahlt.

Wie teuer kommt der Brexit also Großbritannien? Der im Zorn über die May-Regierung zurückgetretene britische EU-Botschafter sprach nun von bis zu 60 Milliarden Euro. Und er veranschlagte für die Verhandlungen zehn Jahre. Das Brexit-Kernabkommen muss aber im Oktober 2018 fertig sein, damit genügend Zeit bleibt für die Zustimmung der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments. Ansonsten würde man riskieren, dass die Europawahlen im Frühjahr 2019 auch in Großbritannien abgehalten werden müssen. Man kann sich in Brüssel viel vorstellen, aber das auf keinen Fall.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Großbritannien und der EU-Austritt
:Brexit-Gewinner Deutschland

Frankfurt calling: Viele Firmen wollen Abteilungen aus Großbritannien ins Ausland verlagern. Beliebtestes Ziel ist die Bundesrepublik.

Von Björn Finke, London, und Meike Schreiber, Frankfurt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: