Intensivbehandlung:Wenn es bedrohlich wird

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Wie weiter? Boris Johnson wurde am Montagabend auf die Intensivstation des St. Thomas’ Hospital verlegt. Polizistinnen bewachen den Eingang. (Foto: Andy Rain/Shutterstock)

Auf einer Intensivstation werden Patienten permanent überwacht. Ärzte können bei einer Verschlechterung des Zustands schnell reagieren.

Von Werner Bartens

Es muss nicht immer Tatütata sein. Klar, manche Patienten kommen in großer Eile auf die Intensivstation, nach einem Unfall, einem Herzinfarkt oder Komplikationen einer Operation. Das sind Szenen wie aus dem Fernsehen, mit zugespitzter Dramaturgie. Oft wird die Entscheidung aber nach sorgsamer Abwägung getroffen, der Patient wird von der Normalstation "auf Intensiv" verlegt - unspektakulär und eher leise.

Viele Faktoren spielen eine Rolle, wenn ein Patient "intensivpflichtig" wird, die Übergänge sind fließend. Neben Intensivstationen gibt es in Kliniken Bereiche, die sich "Intermediate Care" nennen sowie Überwachungsstationen, dort wird der Zustand der Patienten öfter kontrolliert. Für die Entscheidung, Patienten zu verlegen, ist besonders der klinische Blick wichtig, also der Eindruck, den der Arzt vom Patienten hat. Zusätzlich geht es um die Funktion verschiedener Organe, die mithilfe der körperlichen Untersuchung und diversen Messwerten eingeschätzt werden.

Zum Basisprogramm auf Intensivstationen gehört die kontinuierliche Überwachung der Vitalfunktionen, also Kreislauf, Atmung, Bewusstsein und anderer Organe, wie der Niere. Ein Monitor zeigt neben der Herzfrequenz den EKG-Verlauf und damit die Erregungsleitung im Herzmuskel an. Zusätzlich wird mithilfe eines Clips am Finger einfach und schnell die Sauerstoffsättigung bestimmt. Wird die Sättigung schlechter, ist der Wert allerdings nicht mehr so genau.

Der Anteil des mit Sauerstoff beladenen Hämoglobins im Blut lässt sich besser bestimmen, indem eine Arterie kanüliert wird. Zumeist wird für die Messung der Blutgase ein Zugang in die Arteria Femoralis in der Leiste oder in die Arteria radialis gelegt; jene Stelle, an der sich der Puls am Handgelenk tasten lässt. "Mithilfe der Punktion einer Arterie lässt sich auch der Blutdruck im Gefäß genauer erfassen", sagt Stefan Kohlbrenner, Oberarzt für Anästhesie am Diakoniekrankenhaus in Freiburg und dort auch für die Intensivstation zuständig. "Wir haben dann bei jedem Herzschlag, also zeitgenau beat to beat, den exakten Messwert."

Zum Standard auf Intensivstationen gehört außerdem, Patienten einen venösen Zugang zu legen. Darüber wird kontinuierlich eine Vollelektrolytlösung gegeben. Dies gleicht nicht nur den bei Infektionen fast immer bestehenden Mangel an Flüssigkeit aus, sondern hält auch die Blutgefäße offen, was für die Gabe von Medikamenten unerlässlich ist. Da die Patienten fast nur liegen, bekommen sie zudem Blutverdünner zur Thromboseprophylaxe unter die Haut gespritzt. Zudem werden Proben aus Bronchialsekret, Urin und einer Blutkultur mikrobiologisch auf Erreger untersucht. Mit einem am Bett verfügbaren Ultraschallgerät verschaffen sich Intensivmediziner zügig einen Überblick über Funktion und Gestalt von Organsystemen wie Herz, Lunge, Nieren und den Bauchorganen.

Anfangs mag eine venöse Infusion ("Tropf") im Bereich des Unterarms ausreichen, mittelfristig benötigen Kranke einen zentralen Venenkatheter, der in Venen am unteren Halsbereich eingeführt wird. Über Schläuche mit größerem Durchmesser lassen sich Medikamente wie Antibiotika, Katecholamine zur Stabilisierung des Kreislaufs, aber auch die künstliche Ernährung mit weniger Nebenwirkungen verabreichen.

Gefürchtet ist ein Übergreifen der Lungenentzündung auf andere Körperorgane

Wie es Patienten mit Covid-19 tatsächlich geht, und ob sie beatmet werden müssen, ist von mehreren Faktoren abhängig. Wird beispielsweise der Pulsschlag der Intensivpatienten schneller, kann dies ebenso wie ein Blutdruckabfall ein beginnendes Kreislaufversagen anzeigen. Auch die Urinausscheidung wird bilanziert. Geht sie erkennbar zurück, kann dies für zunehmenden Flüssigkeitsmangel und die beginnende Beeinträchtigung anderer Organe sprechen.

"Geht es Patienten auf Intensiv schlechter, zeigt sich das nicht immer nur an Herz oder Lunge", sagt Intensivmediziner Kohlbrenner. "Wenn man mit ihnen redet und sie erscheinen ein bisschen komisch, reagieren verlangsamt oder verwirrt, ist das gerade bei älteren Patienten oft das erste Zeichen für eine Verschlechterung und beginnende Sepsis, auch wenn Kreislauf und Atmung noch unauffällig sind." Eine Sepsis, wie Ärzte die Blutvergiftung bezeichnen, fürchten Intensivmediziner besonders. Ausgelöst von der Lungenentzündung kann eine Entzündungsreaktion systemisch werden und auf andere Körperorgane übergreifen. Ist die Sepsis medikamentös nicht in den Griff zu bekommen, droht ein Multiorganversagen, das oftmals tödlich endet.

Sinken Blutsättigung und Blutdruck, steigen Atemfrequenz und Puls, ist oft eine Beatmung unumgänglich. Die mildeste Form ist die Sauerstoffzufuhr mittels Schlauch in der Nase oder eine aufgelegte Maske. Die nächste Stufe, die "nicht invasive Beatmung", erfolgt auch über eine Maske, die auf das Gesicht geschnallt wird.

Noch wirksamer wird der Gasaustausch unterstützt, wenn Patienten über einen Tubus beatmet werden. Dazu müssen sie ins künstliche Koma versetzt werden. Um die Lunge zu schonen, sollten große Druckunterschiede und Beatmungshübe vermieden werden. "Jeden Tag muss neu abgewogen werden, ob Patienten weiter beatmet werden oder eine Beatmung beendet werden kann", sagt Intensivmediziner Kohlbrenner. "Pauschale Prognosen, wer wie lange beatmet werden muss, lassen sich nicht treffen."

© SZ vom 08.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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