Integrationsgipfel:Raus aus der Opferrolle

Hier die Türken als Opfer, dort der gängelnde Staat: Mit solcher Kritik schaden sich die Migrantenverbände selbst - und verhindern so, auf Augenhöhe mit der Bundesregierung zu agieren.

Elmar Jung

Wenn es ein untrügliches Zeichen dafür gibt, dass es wieder einmal Zeit ist für den Integrationsgipfel, dann ist es das Wehklagen mancher Migrantenverbände.

Integrationsgipfel: Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat: Im vergangenen Jahr hatte seine Organisation den Integrationsgipfel boykottiert.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat: Im vergangenen Jahr hatte seine Organisation den Integrationsgipfel boykottiert.

(Foto: Foto: dpa)

Deren Kritik kommt so zuverlässig wie der Aufschrei einiger Deutscher, wenn irgendwo im Land das Minarett einer Moschee höher werden soll als der Kirchturm nebenan.

Es sind vor allem die Vertreter der Muslime, die sich bevormundet fühlen. Sie prangern die verpflichtenden Deutschkurse für türkische Frauen im Herkunftsland als unzumutbare Hürde an. Sie bezeichnen die Erhöhung des Zuzugsalters von 16 auf 18 als Beleidigung des Türkentums. Und der Einbürgerungstest sei ohnehin nur bloße Schikane. Hier die Türken als Opfer, dort der deutsche Staat mit Vorliebe fürs Gängeln.

Die muslimischen Verbände, allen voran die säkulare Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) und die von Ankara aus staatlich kontrollierte Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), glauben immer noch, es würde ihnen nützen, wenn sie in ihrer Opferrolle verharren.

Im vergangenen Jahr hatten sich beide Organisationen aus Protest in die Schmollecke zurückgezogen und den Integrationsgipfel boykottiert. Es passte ihnen nicht, dass Deutschkurse für Nachzügler verpflichtend sein sollen. In diesem Jahr nehmen sie teil - immerhin.

Solche Fundamentalkritik schadet den Verbänden. Sie verhindert, dass sie im Integrationsprozess auf Augenhöhe mit der Bundesregierung agieren können. Vor allem die Ditib scheint sich ihrer Verantwortung als wortgewaltiger und einflussreicher Vertreter der türkisch-muslimischen Religionsgemeinschaft in Deutschland nicht bewusst zu sein.

Noch immer regelt sie die Entsendung ihrer Imame aus der Türkei. Sie kommen nur für etwa fünf Jahre nach Deutschland. Von den genauen Lebensumständen der Türken hier wissen sie nur wenig. Die deutsche Sprache beherrschen sie in den seltensten Fällen ausreichend. Sie sind schon deshalb kaum in der Lage, am Dialog der Religionen und Kulturen teilzunehmen.

Die Ditip hat offenbar kein Interesse, daran etwas zu ändern. Die Muslimische Akademie in Deutschland etwa bietet Imamen eine berufsbegleitende Fortbildung zu Gesellschaft und Staatsaufbau in Deutschland an. Ausgerechnet die Ditip aber verweigert zunächst einmal die Kooperation. Der Moscheeverband will seine Religionsvertreter wohl nicht in fremde Hände geben.

Das ist einem verzweifelten Festhalten an einem falschen Verständnis von religiöser und kultureller Identität geschuldet. Die neue, offensive Integrationspolitik von Bund, Ländern und Kommunen wird als Angriff gewertet, nicht als Angebot. Das zeugt von der mangelnden Fähigkeit, sich selbstkritisch die eigenen Versäumnisse und Fehler in der Integration einzugestehen.

Doch so sehr es manchen muslimischen Migrantenvertretern auch widerstrebt: Zur gelungenen Integration gehört auch ein Stück Assimilation. Das hat nichts damit zu tun, den Migranten die deutsche Kultur aufzuzwingen. Oder gar deren Kultur zu entwerten. Integration mit einem Schuss Assimiliation ist lediglich Voraussetzung für gleiche Lebenschancen in diesem Land.

Sollte dieser Gedanke in den Köpfen der Migrantenvertreter keinen Platz finden, sind die grundlegenden Probleme der Integration nicht zu lösen. Ein Instrument wie der Nationale Integrationsplan hat dann keinen Sinn.

Dem Plan mangelt es ja nicht an Substanz. Ihm fehlt es einfach an Dialogpartnern, die sich gegenseitig nicht als Gegner sehen. Nachdem sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft endlich dazu durchgerungen hat, sich als Einwanderungsland zu verstehen, wäre der Abschied von der Opferrolle der nächste wichtige Schritt der Migrantenverbände auf dem Weg hin zu einem echten Dialog. Es wäre in ihrem eigenen Interesse. Denn als Opfer werden sie sich nicht emanzipieren können.

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