Süddeutsche Zeitung

Fremdenfeindlichkeit:"Wir brauchen eine Me-Too-Debatte zum Thema Rassismus"

Farhad Dilmaghani sitzt beim heutigen Integrationsgipfel mit der Kanzlerin am Tisch. Er will darüber sprechen, warum immer mehr deutsche Staatsbürger sich wieder als Ausländer fühlen.

Interview von Stefan Braun, Berlin

Farhad Dilmaghani ist ein 1971 in Groß-Gerau geborener Politikwissenschaftler, der nach dem Studium Referent für Europafragen im Bundesfinanzministerium wurde. Von 2000 bis 2005 arbeitete er im Kanzleramt von Gerhard Schröder. Heute ist er Vorsitzender der 2011 gegründeten Organisation Deutschplus - eine Initiative, die sich für eine vielfältige und integrierende Gesellschaft einsetzt.

SZ: Herr Dilmaghani, Sie werden beim Integrationsgipfel dabei sein, ausgerechnet der wichtige Bundesinnenminister Horst Seehofer hat dagegen abgesagt. Was bedeutet das für Sie?

Farhad Dilmaghani: Es lenkt den Blick auf das, was uns umtreibt: dass die Geflüchteten und der politische Streit darum vieles zu überlagern droht, was uns wichtig ist. Die Belange der Menschen mit Migrationsgeschichte, die schon seit Jahren und Jahrzehnten in Deutschland leben, verschwinden zunehmend von der Tagesordnung. Das ist schmerzlich und ärgerlich. Darum ist es gut, dass die Bundesregierung einen Masterplan zu Integration und Teilhabe angekündigt hat. Wir sind gespannt auf die Qualität der Vorschläge.

Kanzlerin Angela Merkel wird hingegen mit Ihnen am Tisch sitzen. Was wird Ihr erster Satz an sie sein?

Ich werde sie sehr freundlich begrüßen: Guten Tag Frau Merkel, schön, dass Sie uns eingeladen haben. Es ist wichtig, dass wir miteinander sprechen. Ich werde ihr beschreiben, warum wir in Deutschland noch immer ein Rassismusproblem haben, und zwar ein strukturelles. Ausgrenzung, Benachteiligung oder Herabsetzung aufgrund der Herkunft: Das geschieht auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche oder bei der politischen Teilhabe. Es kann nicht sein, dass sich immer mehr Menschen wieder als Ausländer fühlen, über Auswanderung nachdenken, obwohl sie genauso Staatsbürger sind wie alle anderen.

Was erhoffen Sie sich von der Kanzlerin?

Dass wir mit ihr offen debattieren können. Dass klar wird, was uns umtreibt. Und dass Ideen, die wir entwickeln, auch umgesetzt werden. Beim letzten Integrationsgipfel hatten wir zahlreiche Forderungen präsentiert. Umgesetzt wurde bis dato so gut wie nichts. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass es eine Kommission zum Thema "Integrationsfähigkeit Deutschlands" geben soll. Wir wollen den Auftrag erweitern um das Thema "struktureller Rassismus in Deutschland".

Interview am Morgen

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Sie beschreiben einen Trend zum Schlechteren. Wie lässt sich der brechen?

Wir brauchen eine Me-too-Debatte zum Thema Rassismus. Wir brauchen Menschen, die öffentlich davon erzählen. Damit diese Gesellschaft merkt, was da los ist. Und damit wir ein neues Verständnis bekommen. Mehr und mehr Menschen, auch Prominente, sollten über ihre Erfahrungen reden. Nur so schaffen wir Aufklärung.

Warum gibt es diese Debatte bislang kaum?

Leider schämen sich noch zu viele, darüber zu sprechen. Oder sie fürchten sich, dass ihnen eine Opferrhetorik vorgeworfen werden könnte, sie Nachteile erleiden könnten. Trotzdem: Die gesellschaftliche Debatte ist dringend nötig. Wir drehen uns zu sehr im Kreis, mit einem starken Abwärtsdrall. Die Spaltung nimmt zu, die Spannungen nehmen zu, die Desintegration wächst. Das ist gefährlich.

Bei vielen Migranten und ihren Organisationen ist nach dem Wahlkampf und dem Erfolg der AfD der Frust groß. Was hat sich für Sie durch das Jahr 2017 geändert?

Die aggressiven Attacken einer AfD kommen in immer kürzeren Abständen. Angriffe und Verunglimpfungen und auch der Geschichtsrevisionismus eines Alexander Gauland - sie haben sich institutionell verfestigt. Gleichzeitig formiert sich der Widerstand dagegen gerade neu und organisiert sich auch energisch als breite soziale Bewegung. Viele Leute wollen für die Grundwerte in unserem Land aktiv einstehen.

Viele Migranten haben harsche Kritik daran geübt, dass in der neuen Regierung niemand mit Migrationshintergrund sitzt, so wie die frühere Staatsministerin Aydan Özoğuz. Warum ist das wichtig?

In einer Demokratie geht es immer um Repräsentation. Dabei ist es nicht zwingend, dass das Amt der Integrationsbeauftragten von jemandem mit Migrationshintergrund ausgeübt wird. Aber seien wir mal ehrlich. Es würden sich viele wundern, wenn der oder die Ostbeauftragte ein Wessi wäre oder die Frauenministerin ein Mann. Es geht um eine gerechte Repräsentation von allen Bevölkerungsgruppen gemessen an der Bevölkerungsstruktur. Menschen mit Migrationsgeschichte sind im Bundestag stark unterrepräsentiert und in der Bundesregierung quasi unsichtbar. Darum wird es ohne Quoten langfristig nicht gehen. Mir wäre es anders auch lieber. Aber das lehrt uns die Geschichte der Frauenbewegung.

Der Fall Susanna erregt zurzeit viele Menschen. Wie groß ist Ihre Angst, dass solche Fälle das Klima immer weiter verschlechtern?

Ein abscheuliches Verbrechen, gepaart mit Behördenversagen. Gleichzeitig habe ich die Hoffnung, dass es deswegen nicht zu pauschalen Verurteilung von Geflüchteten kommt. Viele Geflüchtete melden sich auch jetzt selbst zu Wort. Ihre Stimmen sind wichtig und müssen auch in den Medien viel mehr Gehör bekommen. Wir brauchen das gemeinsame Gespräch, sonst entsteht auch nichts Gemeinsames.

Aktuell wird viel über die beiden Fußballer Mesut Özil und İlkay Gündoğan und ihr Foto mit dem türkischen Präsidenten diskutiert. Hat Sie die Wucht der Debatte überrascht?

Nein, wir haben eine aufgeheizte Stimmung im Land, und jetzt zeigt sich, was sich viele schon seit Langem denken: Die gehören nicht dazu, die singen die Nationalhymne nicht mit, die sind anders als wir. Gündoğan wurde ohrenbetäubend ausgepfiffen. Das ist eindeutig.

Was lässt sich an dem Fall ablesen?

Es gibt in der Politik gerade eine sehr starke Strömung, die eine nationale Identitätspolitik betreiben will und scheinbar ausblendet, dass ein Fünftel der Bevölkerung andere Wurzeln haben. Damit stärkt man nicht den Zusammenhalt, sondern läuft Gefahr, dauerhaft auszugrenzen. Vielfalt ist nichts, was sich ein postmodernes großstädtisches Milieu ausgedacht hat, sondern Alltagsrealität in weiten Teilen der Republik ist. Wenn man das nicht anerkennt und auch Institutionen dahingehend verändert, dann nennt man das strukturellen Rassismus. Lange Zeit war die Nationalmannschaft das hervorragendste Beispiel für eine Einwanderungsgesellschaft. Dass es gerade jetzt anfängt zu bröckeln, ist symptomatisch.

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