Süddeutsche Zeitung

Integrationsdebatte:Was Seehofer von Ankara lernen kann

Während CSU-Chef Seehofer über Zuwanderung aus "fremden Kulturkreisen" räsoniert, ruft die türkische Regierung zur Integration auf. Nun müssen Taten folgen - damit der nächste Mesut Özil sich keine Verräter-Rufe anhören muss.

Roland Preuß

Man stelle sich vor: Der Vorsitzende der spanischen Regierungspartei erklärt die vielen ausgewanderten Deutschen auf Mallorca zum Problem. Die Alemanes, sagt er, wollten nicht Spanisch lernen, lärmten besoffen durch die Straßen und trieben die Preise für Häuser und Lebensmittel auf der Insel in die Höhe. Da helfe nur ein Zuzugsstopp. Was Horst Seehofer dazu wohl sagen würde?

Ein polemischer Vergleich, gewiss. Und doch ist es gut vorstellbar, wie der CSU-Vorsitzende die spanische Entgleisung öffentlich als große Undankbarkeit geißelt, ein EU-Vertragsverletzungsverfahren androht und seinen nächsten Spanien-Urlaub absagt. So gesehen hat die türkische Regierung in der jetzigen Zuwanderungsdebatte geradezu vorbildlich reagiert.

Nach Seehofers Interview-Aussage, er wolle keine weiteren Einwanderer aus fremden Kulturkreisen und seinem Hinweis auf schwer integrierbare Türken (und Araber) hätte Ankara gute Gründe gehabt dagegen zu keilen. Stattdessen ruft Europaminister Egemen Bagis die Deutsch-Türken nun auf, sich den Sitten und Gebräuchen in Deutschland anzupassen, ihre Kinder auf die besten Schulen zu schicken und die Gesetze zu achten. Ankara stehe voll hinter der Idee der Integration. Bagis hat im Gegensatz zu vielen CSU-Politikern die richtigen Sätze gefunden.

Die jüngste türkische Botschaft zeigt, dass sich der Umgang Ankaras mit den eigenen Auswanderern weiter wandelt. Lange haben die türkischen Regierungen keine sehr hilfreiche Rolle bei den Integrationsbemühungen gespielt. Zwar galten die Deutsch-Türken früher als geringzuschätzende Unterschichtler, Türken sollten sie aber trotzdem bleiben.

Beide Regierungen müssen zusammenarbeiten

Erst die Regierung unter Tayyip Erdogan rief die Türkischstämmigen in Deutschland zur Integration auf, so wie gerade wieder in Berlin. Allerdings fehlte dabei nie die Warnung vor einer Assimilation, die Mahnung zuerst Türkisch und dann erst Deutsch zu lernen oder wenigstens im Herzen immer Türke zu bleiben. Außer einem matten Appell, sich als Botschafter der Türkei zu verstehen, hat Bagis derlei Einschränkungen nun weggelassen.

Nun sollten dem Bekenntnis Taten folgen. Wichtig ist eine bessere Zusammenarbeit der beiden Regierungen bei der Eingliederung der rund 2,5 Millionen Deutsch-Türken im Land. Vor allem sollten in Deutschland möglichst rasch Imame für deutsche Muslim-Gemeinden ausgebildet werden. Bislang lässt Ankara seine staatlichen Vorbeter zwar Integrationskurse absolvieren, hält aber an dem Plan eines Imam-Studiums in der Türkei fest. Ankara sträubt sich dagegen, diese Einflussmöglichkeit auf die Auswanderer aufzugeben. Imame aus dem Ausland aber können kaum Orientierung in der deutschen Gesellschaft bieten.

Ankara sollte akzeptieren, dass sich viele Auswanderer von der alten Heimat lösen. Wie schwer das vielen Türken noch fällt, zeigten die Verräter-Rufe gegen den Nationalspieler Mesut Özil bei der jüngsten Partie gegen die Türkei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1011271
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.10.2010/jab
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.