Integrationsdebatte:Sarrazin: Gabriel stigmatisiert mich

"Die SPD-Spitze kann nicht lesen": Energisch wehrt sich der entlassene Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin gegen die Anwürfe von Parteichef Sigmar Gabriel.

Einen Tag nachdem Bundespräsident Christian Wulff die Entlassung von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin besiegelt hat, meldet sich der Sozialdemokrat wieder zu Wort. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung wehrt sich Sarrazin gegen Anschuldigungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel, die dieser in der Zeit erhoben hatte.

Ex-Finanzsenator, entlassener Bundesbanker, umstrittener Sozialdemokrat: Thilo Sarrazin.

Ex-Finanzsenator, entlassener Bundesbanker, umstrittener Sozialdemokrat: Thilo Sarrazin.

(Foto: dapd)

"Die SPD-Spitze kann nicht lesen", ist Sarrazins Artikel getitelt. Der frühere Berliner Finanzsenator beklagt sich über die harsche Kritik aus seiner Partei: "Sigmar Gabriel stilisiert mich zum Wegbereiter von Hasspredigern, weil ich von der Evolutionsbiologie nicht schweigen will", schreibt Sarrazin und behauptet: "Meine Thesen zur Sozialpolitik verfälscht er."

Sarrazin hatte mit Äußerungen über eine angeblich erbliche Dummheit muslimischer Einwanderer bundesweit für Empörung gesorgt. Die SPD setzte daraufhin ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn in Gang.

Gabriel kritisierte insbesondere Sarrazins Rückgriff auf Theorien aus dem 19. Jahrhundert, mit denen er eine Lehre von der angeborenen Überlegenheit des gebildeten Bürgertums gegenüber der Unterschicht begründe. Deren Kinder würden laut Sarrazin die intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern erben und seien darum von Geburt an benachteiligt und letztlich zum Scheitern verurteilt. Selten habe es "eine so unverblümte Wiederbelebung der ständischen Gesellschaft gegeben", urteilte Gabriel und bezeichnete Sarrazin als "Hobby-Darwin".

Sarrazin schreibt nun in dem Gastbeitrag, er fühle sich von Gabriel zu Unrecht angeprangert: "Mich mit dem Hinweis, ich sei "Eugeniker", politisch stigmatisieren zu wollen und mir vorzuwerfen, ich bereite 'den Boden für Hassprediger im eigenen Volk', ist unzulässig und ehrabschneidend." Wer heute über die Zukunft nachdenke und dabei auch Fragen der Intelligenz, der Genetik und der Evolutionsbiologie anschneide, dem dürfe nicht reflexhaft unterstellt werden, er wolle Menschen diskriminieren oder sie in ihren Rechten, Freiheiten und ihrer Würde beschränken.

Widerspruch gegen seine umstrittenen Behauptungen findet Sarrazin zulässig. "Über meine Thesen kann man streiten. Der Versuch, demographische und bevölkerungspolitische Fragen aus dem politischen Diskurs zu verbannen, führt aber nicht weiter." Sarrazins Beitrag endet mit einem Appell an seine Partei: "Die deutsche Sozialdemokratie sollte sich diesen Fragen nicht verschließen."

Der SPD-Vorsitzende hatte in seinem Zeit-Artikel auch die Presse kritisiert. Schlimmer als der Autor selbst sei allerdings die Rezeption seiner Äußerungen in den Medien, mahnte Gabriel. Dort seien die Aussagen trotz der gefährlichen Thesen weithin als notwendiger Tabubruch begrüßt worden. "Es ist also im Deutschland des 21. Jahrhunderts möglich, mit den eugenischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts stürmischen Beifall zu erzeugen", kritisierte Gabriel. "Eigentlich kann man nur hoffen, dass die lautstarken Befürworter Sarrazins das Buch nicht gelesen haben. Sonst müsste jedem überzeugten Demokraten und aufgeklärten Bürger dieses Landes angst und bange werden."

Merkel hat Sarrazin-Buch nicht gelesen

Angela Merkel zumindest hat Sarrazins Buch nicht gelesen. Die Kanzlerin und CDU-Chefin sagte zur FAZ, es hätten ihr die Vorabdrucke gereicht, um "These, Kern und Intention seiner Argumentation" zu erfassen.

Merkel forderte einerseits dazu auf, über Defizite in der Integrationspolitik "ganz klar zu sprechen". Sie verteidigte zugleich ihr Verhalten im Fall Sarrazin. Integration sei ihr "seit langem ein Herzensanliegen". Sarrazin habe es durch den "Kern seiner Aussagen" schwerer gemacht, "nicht zu bestreitende Integrationsprobleme zu benennen".

Eine Gefährdung der Meinungsfreiheit sieht die Kanzlerin angesichts der Kritik an Sarrazins Buch und dessen Rückzug aus der Bundesbank nicht. Es handele sich um "die Bewertung eines Zusammenhangs mit öffentlich-rechtlichen Funktionen". Die Bewertung habe die Bundesbank vornehmen müssen.

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