Süddeutsche Zeitung

Integrationsdebatte:"Bekennen Sie sich zu uns!"

Jede neue Schlagzeile ein Stich ins Herz: Führende Muslime beklagen in einem offenen Brief die wachsende "Feindseligkeit" gegen Migranten in Deutschland. Sie fordern Bundespräsident Wulff auf, Stellung zu beziehen.

Oliver Das Gupta

In einem offenen Brief haben 15 namhafte deutsche Muslime Bundespräsident Christian Wulff aufgefordert, in der schwelenden Debatte um Integrationsprobleme Stellung zu beziehen. Auslöser der Kontroverse war das Buch Deutschland schafft sich ab des SPD-Politikers und scheidenden Bundesbankvorstandes Thilo Sarrazin.

Intellektuelle wie der Regisseur Fatih Akin und der Schriftsteller Feridun Zaimoglu beklagten in dem in der taz veröffentlichten Brief wachsende "Feindseligkeit" gegen Muslime in Deutschland. Wörtlich heißt es: "Für Musliminnen und Muslime ist derzeit nicht einmal der Gang zum Zeitungshändler leicht, weil sie nie wissen, welche Schlagzeile, welches stereotype Bild sie dort erwartet."

Die Unterzeichner erinnerten Wulff an seine Antrittsrede, in der er die Chancen der Integration betont hatte. "Wir bitten Sie, gerade in der derzeitigen angespannten Stimmung für die Leitsätze einer offenen, von gegenseitigem Respekt geprägten demokratischen Kultur einzustehen und öffentlich für sie zu werben", heißt es in dem Appell an Wulff.

Auslöser für den offenen Brief sei der Aufruf der Bild-Zeitung gewesen, an Präsident Wulff zu schreiben, sagte Shermin Langhoff, Intendantin des Berliner Theaters Ballhaus Naunynstraße.

"Wir dachten uns, das können wir nicht so stehen lassen", sagte die Mitunterzeichnerin zur SZ. Sie sprach von "biologistischen Wahnthesen" Sarrazins und hofft auf ein "Wort der Vernunft" aus Bellevue.

Auch andere Unterzeichnerinnen setzen darauf, dass sich das Staatsoberhaupt in die Debatte einschaltet. Aylin Selcuk, Initiatorin des Vereins Deukische Generation, wünscht sich ein starkes Zeichen Wulffs. Der Präsident möge zeigen, dass die Muslime in Deutschland dazugehören. "Wir bitten Sie: Bekennen Sie sich zu uns." Lamya Kaddor vom Liberal-Islamischen Bund sprach von einem "öffentlichen Bekenntnis" des Präsidenten. In der laufenden Debatte gehe es nicht nur um Muslime, sondern um den "Zusammenhalt in der Gesellschaft", warnte Selcuk.

Die Studentin hatte Sarrazin nach seinen Äußerungen zur vererbten Intelligenz wegen Volksverhetzung angezeigt. Seitdem erreichten sie unzählige E-Mails, in denen sie geschmäht und bedroht werde, sagte Selcuk. Nun hofft sie auf Wulff. "Wir werden dieses Land nicht aufgeben", heißt es in dem Brief an Christian Wulff. "Dieses Land ist unsere Heimat und Sie sind unser Präsident."

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Quelle:
SZ vom 14.09.2010/jobr
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