Integrationsdebatte:Seehofer bringt Ludergeruch übers Land

Es ist gefährlich, wie CSU-Chef Seehofer über "fremde Kulturkreise" daherredet. In der Krise seiner Ex-Volkspartei gibt er sich als leicht xenophober Bauernfänger.

Kurt Kister

Die CSU war in Bayern mal eine bedeutende Partei. Sie hat lange Zeit den Freistaat nicht nur ökonomisch erfolgreich regiert. Außerdem waren viele Bayern auch in dem Sinne konservativ, dass sie bei der nächsten Wahl stets das wählten, was sie bei der vorigen Wahl schon gewählt hatten.

Zuwanderung Seehofer

Sein Versuch, die CSU zu retten, bringt Ludergeruch über das Land: Parteichef Hort Seehofer.

(Foto: dpa)

Jenseits dieser Besen-Theorie ("mir kenna an Besen aufstelln, Hauptsach, es steht CSU drauf") erschien die Partei aber sehr unterschiedlichen Schichten als attraktiv. Für die jungen Ingenieure in Ingolstadt oder Nürnberg hielt sie pragmatische, unideologische Antworten bereit; sie wusste aber gleichzeitig auch das bodenständige Mir-san-mir-Selbstbewusstsein in Garmisch oder Passau zu verkörpern. Die CSU war, wie man in Amerika sagt, die big tent party: eine Partei, unter deren großem Zeltdach sich bis zu zwei Drittel aller Bayern versammeln konnten.

Das ist vorbei. Die CSU ist unter 40 Prozent Zustimmung gestürzt, seit geraumer Zeit wählt die Mehrheit in Bayern nicht mehr diese Partei. Dies ist eine Revolution, denn zur Identität der CSU gehörte auch die absolute Mehrheit, die einen manchmal patriarchalischen, oft arroganten Umgang mit jedweder Form von Minderheit mit sich brachte. Edmund Stoiber war der letzte Großfürst dieser Mehrheits-CSU. Horst Seehofer dagegen ist der letzte Parteichef, der noch die alte CSU verkörpert. Gleichzeitig sieht man an ihm und seiner Politik idealtypisch, warum die CSU eher den Bach heruntergeht.

Deutschland hat sich in den letzten zwanzig Jahren grundlegend verändert. Das hat nicht nur mit der Vereinigung zu tun, sondern auch damit, dass die konservative Trias Gott, Vaterland, Familie keine so bedeutende Rolle mehr spielt. Praktizierende Christen sind in der Minderheit in diesem Land; ob einer dreimal geschieden oder homosexuell ist, tut bei Wahl oder Berufung in höchste Staats- oder Wirtschaftspositionen nicht mehr viel zur Sache.

Viele Werte sind nicht nach Manier von Nietzsche mit dem Hammer zertrümmert worden, sondern das Volk hat sie sich wie Plastilin zurechtgeknetet. Bei Empfängen oder Akademiegesprächen mosebacht oder sarrazint man gern über das Schicksal des Abendlandes; zur Zeit ist die Angst vor dem Islam besonders en vogue - so wie man sich früher am liebsten vor China gefürchtet hat.

Es hat etwas länger gedauert, bis die Anything-goes-Republik auch nach Bayern kam. Sie ist aber nun da, und Horst Seehofer versteht die Welt nicht mehr. Zwar wohnt auch in ihm ein gerüttelt Maß an anything goes, aber natürlich graut ihm vor dem Profil- , ja dem Machtverlust der CSU unter seiner Führung. Er versteht nicht, dass der Baron Guttenberg deswegen so beliebt ist, weil er gerade für keine Prinzipien steht, sondern für gut gekleidete Tages-Entschlossenheit vor gediegener Familiengeschichte. Das ist offenbar moderner Konservatismus. Guttenberg wird immer noch als ein Versprechen wahrgenommen, Seehofer dagegen als ein Problem.

Tuntenhausen ist nicht Konya

Nun will ausgerechnet Seehofer aber der konservativen Stammwählerschaft von CSU und CDU gefallen. Vor kurzem hat er dabei eine allgemein beachtete Bauchlandung hingelegt, als er in der Abteilung Vaterland die Wehrpflicht zum "Markenkern" der CSU erklärte. Die Realität ist seit ungefähr zwanzig Jahren über die Wehrpflicht hinweggerollt und dieses Jahr hat - wer sonst? - Guttenberg erfolgreich für ihre De-facto-Abschaffung plädiert (dass er noch letztes Jahr für die Wehrpflicht war, passt ins Bild). Seehofer legte eine atemberaubende 180-Grad-Wende hin, als er merkte, dass die Wehrpflicht keine heilige, sondern mittlerweile eine tote Kuh ist.

Leider hat sein jüngster Versuch, die Konservativen für die CSU zu retten, Ludergeruch über das Land gebracht. Seehofer warnt in einem dieser, bewusst für jedes Missverständnis offen gelassenen Sätze vor "Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen". Zwar behauptet er jetzt, er habe damit doch nur die Zuwanderung von Fachkräften gemeint.

Der Originaltext in Focus liest sich anders, aber das ist ja auch so gewollt. Seehofer weiß durchaus um die Assoziationen, die er heraufbeschwört mit seiner Formulierung von den "anderen Kulturkreisen": eckenstehende al-Mahmuds in Neukölln und ihre verschleierten, Kinderwagen schiebenden Frauen. Seehofer macht es nicht so deutlich wie andere, aber so ein Satz ist Sarrazin light.

Jene, die es deutlicher wollen, lässt er auch nicht allein. Die Türkei, das sagt er wörtlich, ist für ihn so ein "fremder Kulturkreis". Das ist einerseits zwar partiell richtig, Tuntenhausen und Konya haben nicht viel miteinander zu tun. Aber es kommt auf den Zusammenhang an: Wenn ein Ministerpräsident in einem Interview, in dem er auch den "massenhaften Asylmissbrauch" von 1989 und die NPD anspricht, ein paar Atemzüge später von Formen der nicht zuträglichen Zuwanderung redet, dann ist das eine Melodie: Zu viel Fremdes, passt nicht zu uns, Vorsicht, andere Werte.

Seehofer gibt sich als leicht xenophober, freundlicher Bauernfänger. Er übersieht dabei, dass so etwas auch bei bayerischen Bauern nicht mehr zieht - ganz zu schweigen von jenen Bayern, die nach solchen Sätzen noch weniger Grund sehen, in Zukunft CSU zu wählen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: