Süddeutsche Zeitung

Integration:Wenn aus Freude Überforderung wird

Nach Städten wie Salzgitter und Delmenhorst gilt nun auch in Pirmasens ein Zuzugsstopp für Flüchtlinge - genehmigt von einer grünen Ministerin.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Erst Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven. Und nun Pirmasens. Als vierte westdeutsche Kommune und erste in Rheinland- Pfalz hat die Stadt Pirmasens einen Zuzugsstopp für Flüchtlinge verhängt. Sehr ungern, wie Bürgermeister Markus Zwick (CDU) sagt. Eher notgedrungen. Der von einem ebenso wechselvollen wie schmerzhaften Wirtschaftswandel betroffene Ort war mit der Ankunft immer neuer Schutzsuchender schlichtweg überfordert.

Etwa 42 000 Einwohner hat die Stadt am Westrand des Pfälzerwaldes noch. Vor gut 50 Jahren waren es 60 000, man lebte gut mit und von der Schuhindustrie. Inzwischen kommt das deutsche Schuhwerk zu einem Großteil aus Asien, Arbeitsplätze gingen verloren, junge Leute suchten ihr Glück woanders. Wer eine preiswerte Wohnung wollte, wurde in Pirmasens fündig. So kamen von 2015 an Flüchtlinge in die Stadt, alle diejenigen, die in Ballungsgebieten keine eigenen vier Wände finden konnten. Inzwischen sind es - Stand 1. März 2018 - 1344 Asylsuchende und anerkannte Asylbewerber. Das schaffen wir nicht mehr, sagten grundsätzlich wohlmeinende Erzieher in den Kitas, Lehrer, Flüchtlingshelfer, Ehrenamtliche und Kommunalpolitiker gleichermaßen.

Dabei ist die Stadt in Sachen soziale Integration erfahren. Die Arbeitslosenquote ist mit 12,5 Prozent eine der höchsten in ganz Deutschland, viele haben seit Jahren keinen Job, leben von Hartz IV. In Kindergärten und Schulen, Organisationen und Hilfsgruppen weiß man, wie man ein pflegliches Miteinander organisieren kann. Aber nun sei man an Grenzen gestoßen, sagt Bürgermeister Zwick.

2015, als die ersten Flüchtlinge kamen, sei noch alles gut gewesen. Man habe sich gefreut über Zuzug in der Stadt, über neue Mieter, neues Leben. Inzwischen aber gebe es lange Wartezeiten für Sprachkurse, die Lage in den Schulen und Kitas sei prekär. Viele Kinder sprächen wenig oder kein Deutsch. "Vernünftige Integration braucht Zeit und Kraft, man kann sie nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen", sagt Zwick. Er legt großen Wert auf die Feststellung, dass mit Geld allein die Integration nicht zu machen sei. "Selbst wenn ich die Mittel hätte, Erzieher und Lehrer einzustellen, finde ich derzeit hier in unserer Region nicht ausreichend Fachpersonal." Er befürchtet, dass Flüchtlinge mit schlechten Sprachkenntnissen und geringer Bildung in Pirmasens nicht glücklich werden, sondern in der Arbeits- und Perspektivlosigkeit landen. Zwick sagt, darum habe man sich den Stopp auch im Interesse der Flüchtlinge gewünscht.

Rheinland-Pfalz ist eines der Bundesländer, die Flüchtlingen keinen Wohnsitz zuweisen

Großen politischen Streit über den Zuzugsstopp hat es im Pirmasens nicht gegeben. Die Linkspartei im Stadtparlament ist dagegen, die örtlichen Grünen hatten eingangs Bedenken. Doch nachdem Landes-Integrationsministerin Anne Spiegel von den Grünen im Februar einen Zuzugsstopp genehmigte, sind die Zweifel offenkundig ausgeräumt.

Rheinland-Pfalz ist eines der Bundesländer, die Flüchtlingen keinen Wohnsitz vorschreiben möchten. Weil es nicht nötig sei, wenig menschlich und viel Aufwand und Bürokratie bedeute, lautet die Begründung. Zwick, der sich neben Oberbürgermeister Bernhard Matheis (CDU), dem Städte- und Gemeindebund, der Landes-CDU und anderen bislang vergeblich für eine solche Wohnsitzauflage eingesetzt hat, räumt ein, dass sein Heimatort wegen der Lage am Immobilienmarkt eine Sonderrolle spielte, widerspricht aber im Grundsatz. "Auch in vielen anderen rheinland-pfälzischen Kommunen kennt man dieses Problem. Eine Wohnsitzauflage wäre der bessere Weg gewesen."

Inzwischen verschließen sich die Grünen in Mainz, Juniorpartner in einer SPD-geführten Ampelkoalition mit der FDP, nicht mehr grundsätzlich einer solchen Ortspflicht. Nun sollen Daten über Flüchtlingswanderungen zwischen den Kommunen des Landes gesammelt werden. Der Zuzugsstopp für Pirmasens ist auf ein Jahr begrenzt. Dann wird neu geprüft. Vor Ostern 2019 wird man wissen, wie es steht um die Integration der Neuankömmlinge in Pirmasens.

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Quelle:
SZ vom 31.03.2018
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