Integration:Thilo Sarrazin in den Schluchten von Neukölln

Eingeschüchtert? Er doch nicht: Thilo Sarrazin legt vor dem SPD-Bundesparteitag am Sonntag kräftig nach. Und der Noch-Genosse bekommt Verstärkung. Ein Topökonom ergänzt Sarrazins Forderungen.

Sarina Pfauth

So hält man sich im Gespräch. Am Sonntag trifft sich die SPD zum Bundesparteitag in Berlin. Die Genossen wollen dort über die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und über die Rente mit 67 diskutieren. Doch da ist noch der Parteifreund Thilo Sarrazin, einst Finanzsenator in der Hauptstadt und anschließend auf Vorschlag von zwei SPD-geführten Ländern hin Bundesbank-Vorstand.

Germany Debates Integration Of Immigrants

Muslime beim Mittagsgebet in einer Moschee in Berlin-Kreuzberg: Sarrazin fordert in "Capital" wieder einmal eine harte Hand im Umgang mit Migranten.

(Foto: Getty Images)

Genosse Provokateur will, so scheint es, seiner Partei die Konzentration auf diese Themen erschweren.

Nachdem die SPD-Spitze in demonstrativer Einigkeit seinen Parteiausschluss beantragt hat und ein Gremium nun sechs Monate lang die Causa prüfen will, zetert der Volkswirt munter weiter. Das dürfte es Parteichef Sigmar Gabriel fast unmöglich machen, das Reizthema "Sarrazin" auf der Tagesordnung des Parteitags klein zu halten.

Dieses Mal meldet sich der streitbare Genosse im Wirtschaftsblatt Capital zu Wort - er führt ein Streitgespräch mit Thomas Straubhaar, einem der bekanntesten deutschen Ökonomen. Die Diskussion wird als "Schlagabtausch" angekündigt, wirkt aber über weite Strecken wie ein Gespräch unter Gesinnungsfreunden. Straubhaar ergänzt Thesen des Bestsellerautors sogar um eigene, durchaus irritierende Vorschläge.

Thilo Sarrazin bekräftigt seine umstrittenen Thesen zu muslimischen Einwanderern in Capital. Und fordert, wieder einmal, eine harte Hand im Umgang mit ihnen. Sanktionen müssten weh tun: "Bei notorischer Integrationsverweigerung müssen wir die Sozialleistungen so stark kürzen, dass sie unter das sozioökonomische Existenzminimum fallen", verlangt der Mann, der die Nation mit seinem Buch Deutschland schafft sich ab in Debattenlaune versetzt hat.

Man dürfe nicht zulassen, dass sich "arabische Familien in Neukölln in den Schluchten unserer Verwaltung verstecken", so Sarrazin. Nein, Familien, die Transfers beziehen, müssten die volle Aufmerksamkeit des Staates zu spüren bekommen. Durch Zuwanderung aus muslimischen Ländern würde die Unterschicht in Deutschland weiter anwachsen - und schlaue Ausländer würden eben nicht kommen wollen: "Wir schaffen es nicht, gute Leute anzuziehen."

Straubhaar widerspricht zwar an der ein oder anderen Stelle. Doch stellt der Chef des renommierten Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) gleich zu Beginn des Gesprächs klar: "Ich habe das Buch insgesamt mit Gewinn gelesen."

Dabei ist der 53-jährige Wirtschaftsprofessor eigentlich ein Verfechter von Einwanderung: "Alle Länder, die einen Zaun um sich herum gezogen haben, sind von der Landkarte verschwunden. Sie konnten sich durch eigene Innovationen einfach nicht über Wasser halten."

"Völlig überflüssig" findet Straubhaar den biologistischen Ansatz Sarrazins, der in seinem Buch - vereinfacht gesagt - behauptet, muslimische Migranten in Deutschland wären im Schnitt dümmer als die Deutschen und würden diese Dummheit an ihre zahlreichen Kinder vererben. Was in Sarrazins Logik dazu führt, dass Deutschland immer dümmer wird.

SPD-Chef Gabriel bewegte diese These dazu, Sarrazin als "Hobby-Darwin" zu bezeichnen und zeigte sich entsetzt über die "Rechtfertigungsschrift für eine Politik, die zwischen (sozioökonomisch) wertvollem und weniger wertvollem Leben unterscheidet".

Straubhaar urteilt zwar nicht so hart, er sagt jedoch auch: "Sie wussten selbst, dass Sie angesichts der deutschen Geschichte eine Grenze überschreiten." Der Wirtschaftsprofessor, der auch im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration sitzt, stimmt mit Sarrazin in anderen Punkten jedoch überein - insbesondere in der Meinung, der Sozialstaat fördere eine Kultur der Hängematte.

Die Lösung ist demnach eine Totalreform des deutschen Sozialsystems. Weil es bislang diskriminierend sei, Ausländer schärfer zu sanktionieren als Deutsche, schlägt Straubhaar vor, vom Wohnsitzland- auf das Herkunftslandprinzip umzustellen. "Ausländer bekämen dann die sozialen Grundleistungen nicht mehr nach deutschem Standard, sondern nach den Regeln, die in ihrem Heimatland gelten."

Den in Deutschland lebenden Türken stünde dann nur Sozialhilfe auf dem Niveau der Türkei zu. Bei Waren gelte dieses Prinzip schließlich schon lange, so Straubhaar. "Importierte Turnschuhe werden ja auch nicht zu deutschen Löhnen und Sozialstandards hergestellt."

Dass es zwischen Turnschuhen und Türken gewisse Unterschiede gibt, erwähnt der Ökonom nicht. Und ob sich Deutschland in der Behandlung von ihm anvertrauten Menschen tatsächlich an den Maßstäben von teils bettelarmen Staaten, teils menschenverachtenden Regimen orientieren wollen würde und was eine solche Lösung für den sozialen Frieden im Land bedeuten würde, das erklärt er ebenfalls nicht.

Einer immerhin ist angetan von solchen Ideen: "Interessant!" lobt Thilo Sarrazin.

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