Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Schaffen wir das?", Folge 11:Sport gegen Berührungsängste

Die Vereine sind wichtige Stützen für die Integration. Der Zuzug verhieß neue Mitglieder, neues Leben. Doch nur wenige Flüchtlinge können sich dauerhaft auf das Vereinsleben einlassen.

Von Thomas Hahn

Im September 2015 wurde der alte Heimwerkermarkt am Geutensweg zur zentralen Erstaufnahme, und Angelika Czaplinski machte sich gleich auf den Weg. Sie ist die Integrationsbeauftragte des TV Fischbek, einem Verein im Hamburger Süden mit etwa 1200 Mitgliedern. Sport ist für sie so etwas wie eine Willkommensmedizin gegen Berührungsängste. Sie und ihre Helfer brachten also Bälle, Reifen, Seile, Stelzen, sie luden dazu ein, sich gemeinsam zu bewegen. Den Geflüchteten muss das damals wie ein kurioses Glück vorgekommen sein. Nach dramatischer Reise und freudlosen Behördengängen wollte plötzlich jemand mit ihnen spielen.

Und heute? Das Provisorium am Geutensweg ist aufgelöst, in der Folgeunterkunft Am Röhricht geht die Integrationsarbeit des TV Fischbek weiter, klar. Aber: "Was wir uns vorgestellt haben, dass viele in unserem Verein bleiben, das ist nicht so gekommen", sagt Angelika Czaplinski.

Integration in Deutschland

Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.

Die Vereine sind wichtige Stützen der Wir-schaffen-das-Bewegung. Manche ehrenamtlich Aktive wirkten wie beseelt von der Aufgabe, gerade angesichts der Klagen darüber, dass viele Sportarten ihren Nachwuchs an die digitale Spaßgesellschaft verlieren. Der Zuzug verhieß neue Mitglieder, neues Leben. Heute sagt nicht nur die Fischbekerin Czaplinski, dass sich die Geflüchteten wegen Umzügen, Abschiebungen oder anderen Unstetigkeiten nicht wie erhofft auf das Vereinswesen einlassen konnten.

Nur in Sportarten, die in Ländern wie Afghanistan, im Irak oder in Syrien populär sind, wuchsen die Teams. In Hamburg gibt es Ringervereine, die seit 2015 von "100 Prozent Zuwachs" sprechen. Geflüchtete haben laut Deutschem Cricket-Bund dazu beigetragen, dass die Zahl seiner Mannschaften seit 2011 von 70 auf 370 angewachsen ist. Aber insgesamt? "Die Zahl der Mitgliedschaften ist nicht messbar gestiegen", meldet der Deutsche Olympische Sportbund.

Es geht um Orientierung in einer neuen Welt

Die Integrationsarbeit der Vereine geht trotzdem weiter. Angelika Czaplinski hat sie nie als Selbstzweck gesehen. Muslimische Frauen aus ihren Ecken zu holen - das ist gerade ihr Thema. Sie geht es mit Familienangeboten und Entspannungsgymnastik an - ohne Druck: "Wir versuchen viel zu lachen, viel zu sprechen." Maarten Malczak, im Hamburger Sportbund (HSB) zuständig für Politik und Kommunikation, sagt sogar: "Die Integrationsarbeit geht jetzt erst los." Die anerkannten Geflüchteten von 2015 wachsen allmählich hinein in die Gesellschaft. Der Sport will dabei helfen. Das Bundesinnenministerium unterstützt diese Hilfe mit jährlich elf Millionen Euro. Gerade in Hamburg, wo der Migrationsanteil hoch ist, gibt es viele Projekte zur Integration. Ein Dialogforum des HSB trägt dazu bei, dass die Initiativen nicht durcheinanderlaufen.

Integration durch Sport bedeutet zu vermitteln, was in anderen Kulturkreisen nicht zum Alltag gehört: Fahrrad fahren oder schwimmen etwa. Und es geht um Orientierung in einer neuen Welt. "Für uns ist Sport das Medium, Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, ihnen zu vermitteln, wie man Ziele durch regelmäßiges Training erreichen kann", sagt Waldemar Sidorow. Der frühere Eishockeyspieler ist Theologe und Vorsitzender des Vereins Box-Akademie Hamburg, der sich im Stadtteil Jenfeld in der Jugendhilfe engagiert.

In Jenfeld leben viele Familien in prekären Verhältnissen. Schon vor 2015 kamen Kinder von Migranten ins Training. "Seit 2009 mehrere Tausend", sagt Sidorow. "Viele tauchen nur kurz auf. Andere schauen nur zu, weil sie keinen Bock haben, sich anzustrengen. Andere zeigen eine Power, dass man ihnen sagen kann, damit kann man nicht nur im Sport weit kommen." Daraus entstand die Box-Akademie.

Sidorow versteht Boxen als Beitrag zur Lebensschule ohne Drill und Titelehrgeiz. Sein Trainerteam vereint verschiedene Nationalitäten und Religionen. Für die 150 Kinder und Jugendlichen, die an den Trainingstagen kommen, sind sie Übungsleiter, aber auch Vertrauenspersonen und Wegbegleiter. Niemand muss ein Siegertyp sein. Angelika Czaplinski sieht ihr Ehrenamt ähnlich. Dass der TV Fischbek durch die Integrationsarbeit kein neues Mitglieder-Hoch erreichte? Egal. Ein bisschen ist er ja doch gewachsen. Die Taekwondo-Abteilung gab es vor 2015 nicht. Die hat ein begabter Afghane angeregt, den der deutsche Staat mittlerweile abgeschoben hat.

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SZ vom 24.11.2018/dit
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