Süddeutsche Zeitung

Integration:Mit der Rassismus-Keule

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Die syrischstämmige Publizistin Lamya Kaddor sieht die Demokratie in Gefahr. Sie wittert allerorten "Deutschomanie" und Pegidismus. Sie wird dafür heftig angefeindet. Trotzdem stellt sich die Frage nach dem Sinn des Buches.

Rezension von Dorion Weickmann

Bestseller sind eine elende Versuchung. Entweder ermuntern Verlage den Erfolgslieferanten, ohne Rücksicht auf Substanzverlust doch gleich die nächste Publikationsrunde zu drehen. Oder Autor beziehungsweise Autorin finden so viel Gefallen an Lob, Honorar und TV-Auftritten, dass es sie nach umgehender Fortsetzung gelüstet. Das neue Buch der Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor, Tochter syrischer Eltern, ist ein gutes Beispiel dafür. 2015 hat Kaddor den ebenso eindrucksvollen wie verkaufsträchtigen Bericht "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen" vorgelegt. Doch im Anschluss daran "Die Zerreißprobe" in die PC-Tastatur zu hämmern, war keine gute Idee. Herausgekommen ist ein verunglückter Leitartikel von gut zweihundert Seiten Länge, These und Thema: "Deutschland hat ein Rassismusproblem."

Über diesen Befund lässt sich ausgiebig und mit Gewinn streiten. Kaddor aber will keineswegs streiten, sondern einfach nur recht haben. Was sie geradezu intim mit einem ihrer Lieblingsfeinde verbindet, mit Thilo Sarrazin. Wo Sarrazin wahnhaft Überfremdungs-Alarm schlägt, packt Kaddor den Rassismus-Knüppel aus und lässt ihn auf die Köpfe der "Mehrheitsgesellschaft" niedersausen. Allerorten wittert sie "Deutschomanie" und "Pegidismus".

Das Fatale ist: Kaddors Kritik ist vielfach berechtigt. Aber die Autorin stückelt ihre Argumente so schludrig zusammen und schleppt ihre Positionen durch derart viele Wiederholungsschleifen, dass die Neigung, sich damit auseinanderzusetzen, erschlafft. Zumal Kaddor sich gern in Allgemeinplätzen ergeht und wegblendet, was nicht ins eigene Weltbild passt. Wer wie sie die "Wurzeln des Rassismus" in der Nachkriegsära ortet und die Schuldigen mit dem Urteil - "Die deutsche Politik hat bei der Aufarbeitung der NS-Zeit versagt" - erledigt, wird der Komplexität des Gegenstands nicht einmal im Ansatz gerecht. Schon weil er unterschlägt, dass es "deutsche Politik" seinerzeit in doppelter Ausfertigung gab - in Ost- und West-Variante.

Lamya Kaddor: Die Zerreißprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht. Rowohlt Berlin 2016, 240 Seiten, 16,99 Euro. E-Book: 14,99 Euro. Einen Auszug aus dem Buch stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Lamya Kaddor stand jüngst wegen des Buches sogar unter Polizeischutz. Wegen Morddrohungen hat sie sich für den Rest des Schuljahrs von ihrer Lehrtätigkeit beurlauben zu lassen. Dieses Szenario ist so unerträglich wie der Hass-Mob, der es entfesselt. Gegen seine Angriffe hat Lamya Kaddor jeden Schutz und jede Solidarität verdient. Ihr Buch aber legt man am besten genauso schnell beiseite, wie es geschrieben wurde.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2016
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