Süddeutsche Zeitung

Integration: Mina aus Kreuzberg:Prinzessin aus dem Weltdorf

Lesezeit: 3 min

Vor drei Jahren hat sich Deutschland über die Pubertät von Mina im Film "Prinzessinnenbad" gewundert. Heute wundert sich Mina über Deutschland. Ein Besuch bei einer jungen Frau, die in einer anderen Welt lebt als Sarrazin und Seehofer.

Wolfgang Jaschensky

Dänen sollen auch in 100 Jahren als Dänen unter Dänen, Deutsche als Deutsche unter Deutschen leben können, wenn sie dies wollen. (Aus: Thilo Sarrazin, "Deutschland schafft sich ab")

"Multikulti ist tot." (Horst Seehofer)

Das Mano Café, ein Café, typisch für Kreuzberg. Schwäbische FU-Studenten sitzen auf Flohmarktmöbeln und diskutieren über Stuttgart 21, arbeitslose Kreative hacken Chai-Tea-Latte trinkend auf ihre Macbooks ein und die Bedienung spricht nur Englisch. Früher hat Mina Bowling mit ihrer Mutter vier Stockwerke über dem Café gewohnt. Solange Mina hier gelebt hat, war im Erdgeschoss ein türkischer Kulturverein. "Es waren immer nur Männer hier und haben Zigaretten geraucht. Was genau die gemacht haben, hab ich nie gesehen. Es war mir auch egal", sagt Mina.

Mina ist Vollblutkreuzbergerin. Mit ihren 19 Jahren spricht sie fünf Sprachen, geht in Bars, in denen schwule Türken badisches Bier trinken und zu pakistanischer Popmusik tanzen und wird im Thailand-Urlaub gefragt, ob sie nicht das Mädchen aus dem Film Prinzessinnenbad sei.

Sie ist das Mädchen aus dem Film. Eine deutsche Staatsbürgerin, doch sie hat nie als Deutsche unter Deutschen gelebt. Eher hat sie als Deutsch-Italienerin unter Deutsch-Türken oder als Kreuzberger Neapolitanerin unter Istanbuler Kreuzbergern gelebt. Aber auch das würde Mina so nie sagen. Sie sagt: "Für mich ist Berlin Deutschland. Und Kreuzberg ist mein Dorf."

Als Mina zur Welt kam, hatte die erste Gastarbeitergeneration längst erwachsene Kinder in Kreuzberg. Als Mina in die Schule kam, war kaum ein Schüler ohne Migrationshintergrund in ihrer Klasse. Nun, da sie bald ihr Abitur macht, erfährt sie im Fernsehen und liest sie in Zeitungen, dass ihre Welt eine bedrohliche Welt ist.

Mina hat ihre Welt nie als bedrohlich empfunden. Als Kind war Kreuzberg für sie ein großer bunter Rummel und der Görlitzer Park ihre Spielwiese. Als Teenager war es ihr Revier, in dem sie wilderte.

Geheult und geschrien

Gerade lebt Mina wieder bei ihrem Vater, genau eine Station östlich von ihrem Geburtshaus, am Schlesischen Tor. Minas Papa ist Italiener. Er lebt seit 20 Jahren in Berlin und ist nicht jemand, den Thilo Sarrazin oder Horst Seehofer im Sinn haben, wenn sie von Integrationsverweigerern sprechen. Zuhause reden Mina und ihr Vater nur Italienisch. Bis heute spricht er nicht gut Deutsch. "Er spricht seine eigene Sprache", sagt Mina. Sie erledigt deshalb die Bürokratie für ihren Vater, ansonsten kommt Pasquale Romano hier gut klar.

Immerhin ist seine Tochter eines der bekanntesten Kreuzberger Gesichter geworden. Vor drei Jahren hing ein Foto von ihr auf jeder zweiten Litfaßsäule in Berlin, und überall in der Republik gingen Menschen in die Kinos, um Mina und ihren beiden Freundinnen Klara und Tanutscha beim Erwachsenwerden zuzusehen. Über einen Zeitraum von fast zwei Jahren waren sie von einer Kamera begleitet worden, dann mussten sie ihre Jugend zusammengestaucht auf 92 Minuten sehen, kondensiert und auf ein paar krasse Sätze - Sätze wie: "Vielleicht werde ich auch Pornostar oder Tierpflegerin." Mina, Klara und Tanutscha haben nach der ersten Vorführung geheult und geschrien, dass der Film so nie erscheinen dürfe.

Der Film kam trotzdem in die Kinos, wurde zum Überraschungserfolg und mit Preisen ausgezeichnet. Die Medien priesen den feinfühligen Einblick in das Leben der jungen Mädchen, etwa wenn die 15-jährigen Gören Zigarette rauchend über ihre ersten Drogenerfahrungen reden und darüber, dass türkische Jungs "Arschlöcher" seien, aber "geiler", weil sie "sagen, wo es langgeht". Viele Mütter aus Freiburg oder Fulda werden im Kino heimlich gedacht haben: Gott sei Dank wächst meine Tochter nicht in Kreuzberg auf.

"Mir war immer klar, dass Kreuzberg anders ist als der große Teil von Deutschland, aber ich wollte nie woanders leben." In Charlottenburg oder bei ihrer Oma auf dem Land hat Mina schon als Kind gesehen, wie anders Deutschland sein kann. Und bei ihren Großeltern, Tanten und Cousins in Neapel hat sie erlebt wie anders die Welt sein kann.

Für Mina war das "Anders" immer ein Gewinn. Zu ihrem Freundeskreis gehören mehr Migrationsgeschichten als in manchen deutschen Kleinstädten zu finden sind, auch Türkinnen.

Natürlich findet auch Mina, dass Migranten Deutsch lernen sollten und dass es nicht gut ist, wenn in einer Schulklasse fast nur Migranten sitzen. "Das fanden aber auch schon alle, bevor Sarrazin ein Buch geschrieben hat. Er hat jedenfalls in den sieben Jahren, in denen er hier Finanzsenator war, nichts dafür getan, dass sich an der Situation an den Schulen hier etwas bessert."

Dreieinhalb Jahre sind vergangen, seit die drei Teenager erst ihre Jugend verraten gesehen haben und dann doch neben Clint Eastwood über den roten Teppich der Berlinale gelaufen sind für "ihren" Film, für Prinzessinnenbad. Mina ist froh, dass der Film vor drei Jahren erschienen ist und nicht heute. "Wir waren damals selbst erschrocken, wie wir in dem Film rüberkommen. Klar haben da andere gedacht: 'Krass, wie abgestürzt wir drei sind.'" Damals wurde der Film als das gesehen, was er war: ein Film über das Jungsein und das Erwachsenwerden - und nicht ein Film über Integration.

Gerade bereitet sich Mina auf ihr Abitur vor, macht parallel dazu eine Ausbildung zur internationalen Tourismusassistentin und wenn alles gutgeht, dann hat sie schon 2012 ihren Bachelor in der Tasche. Für die Zukunft hat sie zwei Träume. Sie will ihre Leidenschaft zum Beruf machen und mit Reisen Geld verdienen. Und sie will in Kreuzberg bleiben und eine große Familie gründen. Sie weiß nur noch nicht, wie beides zusammengeht.

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