Süddeutsche Zeitung

Integration in Deutschland:Zuwanderer unerwünscht

Der erfahrene Migrationsforscher Klaus Bade hat eine lesenswerte Abrechnung geschrieben: mit Islamkritikern, die er stets in Anführungszeichen setzt. Mit der Sarrazin-Debatte. Und mit all den Hetzern auf Internetforen, die im Schutz der Anonymität ihren polemischen Mist ausschütten.

von Roland Preuß

Die Vortragsabende sind für Klaus Bade oft Abende, an denen er nur mit Personenschutz sprechen will. Es sind Abende, zu denen im Internet zum Stören aufgerufen wird. Dem "Volksverräter" wird gedroht von Schreibern, die die Polizei leider nicht ermitteln kann. Die Erfahrungen des Historikers zeigen, wie hasserfüllt die Debatte um Migration in Deutschland vielerorts immer noch geführt wird, in einer Gesellschaft, in der auch Unionspolitiker längst für Einwanderung und Integration werben.

Diese Erlebnisse erklären Thema und Duktus des Buches, das einer der renommiertesten Migrationsforscher nun vorlegt: "Kritik und Gewalt" heißt es. Bade hat eine lesenswerte Abrechnung geschrieben, mit Islamkritikern, die er stets in Anführungszeichen setzt, mit der Sarrazin-Debatte und mit all den Hetzern auf Internetforen, die im Schutz der Anonymität ihren polemischen Mist ausschütten.

Man muss wissen, dass der emeritierte Professor nie ein Naivling der Einwanderung war. Ein Bleiberecht für alle hat er nie propagiert; die Probleme, die sich aus der Zuwanderung ergeben, hat er nie kleingeredet. Es ging ihm schon vor Jahrzehnten um eine aktive Integrationspolitik und eine gesteuerte Zuwanderung, die viele Integrationskatastrophen vermieden hätte. Seit der Jahrtausendwende sah er endlich die Früchte seines jahrelangen Begehrens reifen, eine aktive Integrationspolitik - und eine wachsende Offenheit für Einwanderer. Doch der Abschluss des Jahrzehnts schien all dies wieder einzureißen - in der Debatte um Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab".

Dieser nach Bade entscheidenden und zerstörerischen Zeit widmet sich sein Buch zuerst, wobei er auf eine weitere inhaltliche Kritik von Sarrazins Buch verzichtet - das haben andere bereits geleistet. Analysiert werden die Person, sein Denken und die Debatte, die er ausgelöst und damit weiteren Islamkritikern eine Plattform verschafft hat. Ein Kapitel widmet sich einem "Agitationskartell" von Islamkritikern, der schon erwähnten Denunziation im Internet, bevor Bade den Bogen spannt zur Rolle mörderischer Zuwanderungsfeinde wie Anders Breivik und dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU).

Der Schrecken und der Ekel, den die Debatte bei dem Wissenschaftler hinterlassen hat, ist ihm deutlich anzumerken. Der wissenschaftliche Stil ist immer wieder angereichert durch in Sprache gekleideten Zorn. Das würzt den Text durchaus. Jetzt, da er nicht mehr Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration ist, kann er offensiver formulieren. Bade diagnostiziert einen Trümmerhaufen, den Sarrazin und seine publizistischen Gesinnungsgenossen hinterlassen hätten - und er kann das gut belegen.

Die Zuversicht der Menschen, dass Integration gelingen werde, hat nachgelassen: Migranten erfuhren seither mehr Benachteiligung, wie eine Umfrage der Stiftung Zentrum für Türkeistudien zeigt. Selbst die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie über Muslime in Deutschland legt dies nahe: Diejenigen ohne deutschen Pass wollen nun viel häufiger "die Kultur ihres Herkunftslandes bewahren" (so die Frage) als vor der Debatte; die "Vorurteile gegenüber dem Westen" nahmen ebenso zu wie der "Hass gegenüber dem Umgang der westlichen Welt mit dem Islam".

Warum fand die Sarrazin-Debatte derartige Resonanz?

Bade macht nicht den Fehler, Sarrazins Feststellungen einfach vom Tisch zu wischen; der SPD-Politiker habe bekannte Probleme angesprochen, allerdings dabei polemisch überzogen, sodass eine konstruktive politische Auseinandersetzung nicht in Gang gekommen sei. Was bleibt, ist eine gegenseitige Entfremdung zwischen Einheimischen und Einwanderern aus muslimischen Ländern - das gilt auch für Anwälte, Forscher und andere, die sich längst als Angehörige der deutschen Gesellschaft gesehen haben und nicht als Muslime. Die Debatte habe großen Schaden angerichtet, schreibt Bade und macht bekannten Publizisten schwere Vorwürfe: Necla Kelek, Henryk M. Broder und Ralph Giordano seien "Wegbereiter des Islamhasses"; und ihre Argumente werden auf Hass-Foren aufgegriffen, die "Fahndungslisten" posten und wo "Todesurteile" gegen Politiker und Forscher verlangt werden. Bade fordert, diese antiislamischen Netzwerke endlich gesellschaftlich zu ächten.

Warum aber fand die Sarrazin-Debatte derartige Resonanz? Hier wird Bade sehr soziologisch, sieht in der Diskussion eine "eskapistische Ersatzdebatte", die die nötige Auseinandersetzung darüber umgangen habe, wie sich die Einwanderungsgesellschaft eigentlich verstehen will. Grob gesagt: Verunsicherte Einheimische grenzen sich gegenüber Muslimen ab, um sich ihrer selbst zu vergewissern. Auf die konkreten, besorgniserregenden Begleiterscheinungen der Zuwanderung wie gewaltbereite Islamisten, archaische Familienhierarchien oder Migranten-Machismo geht Bade nicht ein. Dieser Hintergrund der Debatte versinkt leider im Abstrakten. Das unterscheidet sein Buch von "Neukölln ist überall" vom Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, das von der Straße, von Anekdotischem lebt und bloß gelegentlich auf statistisches Material zurückgreift. Beide Seiten argumentieren ganz unterschiedlich. Und das ist schade, denn ein Aufeinanderprall ihrer Welten könnte durchaus erhellend sein.

Klaus J . Bade : Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, "Islamkritik" und Terror in der Einwanderungsgesellschaft. Wochenschauverlag, Schwalbach 2013. 400 Seiten, 26,80 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1614721
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Sz vom 26. Februar 2013/odg
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.