Integration:Doppelt positiv

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Wenn Flüchtlingskinder in eine Kita gehen, haben es auch ihre Eltern leichter, sich zu integrieren.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Was Kinder aus ihrem Kitaalltag an Erzählungen nach Hause mitbringen, vermittelt viel von der deutschen Gesellschaft. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Kindertagesstätte ist ein beliebter Forschungsgegenstand: Wie wirkt sich der Kitabesuch auf die Kommunikationsfähigkeit von Kindern aus? Was sagen Bindungsforscher zur Krippe für die Jüngsten? Welche Rolle spielt der Kindergarten für Kinder, die zu Hause nicht Deutsch sprechen? Für wie viele Kinder sollte eine Erzieherin höchstens zuständig sein? Zu all diesen und vielen weiteren Fragen gibt es reichlich Zahlen und Studien. Nun ist eine weitere hinzugekommen, die sich aber mit einem anderen Aspekt befasst. Nämlich dem, was der Kitabesuch mit den Eltern der Kitakinder macht.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben untersucht, wie es sich auf die Integration von geflüchteten Familien auswirkt, wenn deren Kinder hierzulande eine Kindertagesstätte besuchen. Dass die Antwort "positiv" lautet, ist zwar nicht wirklich überraschend - wer Kitakinder hat, kennt den vereinnahmenden Charakter von Kindertagesstätten mit Blick auf die Elternbeteiligung. Die Deutlichkeit des positiven Effekts aber, vor allem auf die Mütter, ist durchaus interessant.

Mütter haben erst durch Kitas die Zeit für einen Sprach- oder Integrationskurs

Bei geflüchteten Müttern mit Kitakindern nämlich liegt der sogenannte Integrationsindex 42 Prozent über dem von Müttern, deren Kinder nicht in den Kindergarten gehen. Bei den Eltern insgesamt sind es 24 Prozent. "Die Eltern dieser Kinder kommen über den Kitabesuch mit anderen Eltern und Kindern und damit auch der deutschen Gesellschaft in Kontakt", schreiben die Wissenschaftler und verweisen auf das Bringen und Holen, auf die Kitafeste und auf das, was die Kinder aus ihrem Kitaalltag an Erzählungen und Vorstellungen nach Hause "mitbringen".

Die Studie, die an diesem Mittwoch veröffentlicht wird und der SZ vorab vorlag, macht die Integration von Flüchtlingen unter anderem an deren Deutschkenntnissen und der Arbeitsmarktorientierung fest, aber auch an der Tatsache, wie sehr sie ihre Heimat vermissen. Gefragt wurde zudem nach der Zahl der deutschen Bekannten, und ob sich die Familien in der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen oder sozial isoliert fühlen. In all diesen Punkten schneiden geflüchtete Eltern mit Kitakindern besser ab als solche, deren Kinder nicht in den Kindergarten gehen.

Grundlage der Untersuchung sind Daten des Sozio-oekonomischen Panels, einer Langzeitbefragung von Haushalten. In zwei Durchgängen, 2016 und 2017, wurden 5859 Geflüchtete befragt; die Studie soll Aussagen treffen über Personen, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland kamen. Grundsätzlich, so das Ergebnis, seien Männer besser integriert als Frauen. Auf die Integration der Mütter hat der Kitabesuch der Kinder auch deshalb eine so starke Wirkung, weil diese oft erst durch diese Form der Kinderbetreuung die Möglichkeit haben, einen Sprach- oder Integrationskurs zu besuchen. Die Forscher haben sogar herausgefunden, dass bei Müttern mit mindestens einem Kindergartenkind der Kitaeffekt stärker auf die Integration der Mütter - vor allem die Sprachkenntnisse - wirkt als deren eigener Bildungsstand. Es sind also nicht nur die Kinder, die durch den Kitabesuch besser und schneller Deutsch lernen, sondern auch ihre Mütter.

Noch aber gehen Kinder ohne Fluchthintergrund häufiger in den Kindergarten als Flüchtlingskinder: Während aus der ersten Gruppe rund 90 Prozent aller Dreijährigen eine Kita besuchen, sind es nur knapp 60 Prozent der Dreijährigen aus Flüchtlingsfamilien. Bei den Zweijährigen insgesamt sind es im Westen 49 und im Osten 79 Prozent, aus Flüchtlingsfamilien nur 24 Prozent. Und selbst bei den Vier- und Fünfjährigen bleibt ein Unterschied. "Kinder Geflüchteter sollten möglichst frühzeitig einen Platz in einer qualitativ guten Kindertagesbetreuung bekommen können", schreiben die Wissenschaftler. Kindertageseinrichtungen könnten so "eine doppelte Integrationsrendite erwirtschaften". Mit Blick auf die Kinder und deren Eltern.

© SZ vom 30.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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