Integration:Die Angst vor den nächsten Wochen

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(Foto: N/A)

Auch Kommunalpolitiker von Sozialdemokraten und Grünen rufen in drastischen Worten nach einer Begrenzung der Zuwanderung - und klingen doch anders als die Kollegen von der CSU.

Von Jan Bielicki und Josef Kelnberger

Der Sozialdemokrat Peter Kurz neigt nicht zum Alarmismus, ganz im Gegenteil. Der Oberbürgermeister von Mannheim, ein Jurist, gilt als Mensch, der jedes Wort dreimal wägt. Wenn aber Kurz an diesem Freitag Baden-Württembergs SPD zum Landesparteitag in Mannheim begrüßt, wird er doch ein paar deutliche Worte finden. Der stetige wachsende Zustrom von Flüchtlingen bringe seine Stadt, aber auch alle anderen Kommunen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Es gehe wohl weniger um Monate als um Wochen, sagt er.

Mannheim hat mit einem Migrantenanteil von 40 Prozent hinlänglich Erfahrung mit Integration. Wegen der vielen leer stehenden Kasernen wird der Stadt nun wieder viel abverlangt. Etwa 7000 Flüchtlinge sind derzeit in Mannheim untergebracht, Tendenz steigend. Wie in vielen anderen Kommunen auch erlebt man in Mannheim, dass noch nicht registrierte Flüchtlinge über Nacht verschwinden. Und niemand weiß, wohin. Auf dem Spiel stehe letzten Endes der "Erhalt unserer Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit", sagt Kurz. Was er meint: Ein Staat muss wissen, wer sich auf seinem Gebiet aufhält, und er muss für diese Menschen ordentlich Sorge tragen - aber ist das in der jetzigen Situation wirklich noch gewährleistet?

Kurz weiß, dass der Schlüssel zur Lösung der Krise bei der Bundesregierung liegt, aber er will sich den Optimismus nicht nehmen lassen, dass diese "historische Herausforderung" zu meistern ist. In solcher Wortwahl liegt der Unterschied zwischen Bayern und Baden-Württemberg: Die Lage ist ähnlich dramatisch, aber die Regierung hält sich, anders als die CSU-Führung, zurück. Zur Ankündigung Horst Seehofers, "Notwehr" zu leisten, wollte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Donnerstag gar nicht äußern.

"Wir arbeiten in einer Art permanenten Krisenmodus", sagt Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn. "Es ist wirklich nicht einfach, aber Stuttgart gibt nicht auf." Am Donnerstag wurde bekannt, dass in der Landeshauptstadt erstmals Schulturnhallen belegt werden. Nach internen Berechnungen fehlen aber bis Jahresende noch 2200 Plätze. Die Landesregierung kündigte am Mittwoch an, pro Woche künftig 4000 Flüchtlinge an Stadt- und Landkreise zu verteilen, doppelt so viele wie zuletzt geplant. Aus manchen Kommunen verlautet, das Land suche mittlerweile Platz für Zeltstädte. Jenseits des Rheins, im pfälzischen Ludwigshafen, warnt Oberbürgermeisterin Eva Lohse (CDU) davor, dass viele Kommunen "an Belastungsgrenzen" stießen. Wie ihr Nachbar-OB Kurz will die Präsidentin des Deutschen Städtetags aber nicht schwarzsehen: "Integration kann gelingen", sagt die Oberbürgermeisterin, "aber sie braucht Zeit und sie kostet auch Geld".

Weit im Norden der Republik ist die Stimmung eher düster. Von Notstand mag Reinhard Sager, Landrat im Kreis Ostholstein, zwar nicht reden: "Noch ist bei uns kein Flüchtling obdachlos." Aber viele der Bürgermeister in der Region an der Ostsee "sind bereits jetzt an der Belastungsgrenze angekommen". Waren 2012 noch gerade mal 67 Flüchtlinge in seinem Kreis untergebracht, sind es jetzt 4000. Und "die größere Welle" der Ankömmlinge, die sich derzeit noch in den Erstaufnahmestellen des Landes drängen, komme ja erst noch in den nächsten Wochen und Monaten auf die Kommunen zu. 577 000 Asylbewerber hat der Bund 2015 in seinem Computersystem Easy schon registriert, 164 000 allein im September. Wohnungen seien kaum noch vorhanden, klagt der CDU-Mann Sager, der auch Präsident des Deutschen Landkreistags ist. Er fordert "einen dringenden Stopp des ungebremsten Zuzugs", sonst "ist das nicht mehr zu schaffen" - eine Warnung Richtung Berlin.

Bei dieser Zuwanderung, sagt Klaus Wiswe, CDU-Landrat im niedersächsischen Celle, "sind wir nicht in der Lage, die Flüchtlinge unterzubringen und schon gar nicht zu integrieren". Wiswe hat am Mittwoch den Fernsehauftritt von Kanzlerin Angela Merkel gesehen, für ihn waren ihre Aussagen "eine einzige Enttäuschung". Offenbar erkenne Berlin "die dramatische Lage" in den Kommunen nicht. "Da muss man die Grenze auch mal dichtmachen."

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, gesteht Merkel zu, dass "es keine Lösungen gibt, die schnell funktionieren". Doch er warnt: "Wenn der Zustrom so weitergeht, ist das eindeutig nicht mehr verkraftbar." Das Personal in vielen Rathäusern sei "vollkommen erschöpft". Er fordert, den Zuzug zu begrenzen, etwa durch Transitzonen an der Grenze zu Österreich und sogar Änderungen am Asyl-Grundrecht.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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