Inselgruppen-Konflikt zwischen Japan und China:Schuld sind die anderen

Der Streit zwischen Japan und China um eine Inselgruppe reißt alte Wunden auf. Für die Chinesen sind die Inseln ein Symbol, mit ihrer Besetzung habe die Demütigung Chinas durch Japan begonnen, argumentieren sie. Aber auch die Japaner sehen sich als Opfer.

Christoph Neidhart, Tokio

Die Japaner sind entsetzt. Sie bangen um ihre Landsleute in China und fürchten, der Streit um die Senkaku-Inseln belaste ihre Wirtschaft zusätzlich, die seit zwanzig Jahren in einer Dauerkrise steckt. Sie wollen nicht verstehen, warum die Chinesen so aggressiv sind, seitdem die japanische Regierung drei der Inseln von Privatleuten gekauft hat. Auf der Straße hört man sogar, es könnte Krieg geben.

Die nationalistische Rechte, die in Japan bis weit in die Mitte und in die Regierung hinein reicht, hetzt gegen China und auch gegen Südkorea, denn auch mit den Koreanern streitet Japan über Inseln. Auch jener Konflikt ist in den letzten Monaten wieder aufgeflammt.

Selbst besonnene Japaner reagieren derzeit wütend auf China und Südkorea. Sie sehen Japan als Opfer und erklären die Eskalation mit dem Erstarken der Nachbarn. Sie nutzten Japans Schwäche, heißt es, und würden mit dem Inselstreit von Binnenproblemen ablenken wollen.

Dass Peking für seine Ansprüche auf die Diaoyu-Inseln, wie sie auf Chinesisch heißen, ernstzunehmende Argumente hat, das wissen die wenigsten Japaner. Denn sie werden fast so einseitig informiert wie die Chinesen. Das Außenministerium in Tokio behauptet, die fünf Inseln und drei Felsen seien "seit jeher japanisches Territorium". Sie seien, als Japan sie 1895 besetzte, noch terra nullius gewesen, also staatsrechtlich herrenlos.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kontrollierten die USA die Inseln

Peking dagegen will mit Dokumenten beweisen, schon die Ming-Dynastie habe sie China einverleibt. Tokio hat die Inseln nach seinem Sieg im chinesisch-japanischen Krieg und wenige Wochen vor der Kolonisierung von Taiwan geschluckt. Deswegen erhebt auch Taipeh Anspruch darauf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kontrollierten die USA die Senkaku zunächst, überließen sie 1972 aber zusammen mit Okinawa Japan, freilich ohne Stellung zu beziehen, wem sie gehörten. Tokio sagt heute, Peking habe damals nicht reklamiert. Aber in China tobte 1972 die Kulturrevolution, es gab keine Regierung, die sich um außenpolitische Marginalien hätte kümmern können.

Bis vor zwei Jahren hat Japan die Ansprüche Chinas und Taiwans zumindest pro forma als Position stillschweigend akzeptiert. Als Tokio und Peking in den 1970er-Jahren die Beziehungen normalisierten, kamen sie überein, die Inseln dürften die Kooperation nicht belasten. Zwar gab es gelegentlich Zwischenfälle mit Fischern, aber alle drei Seiten, also auch Taiwan, hielten sich an die Stillhaltevereinbarung. Der Ostasienexperte Phil Deans von der Temple University in Tokio meinte sogar, am liebsten wäre es den Regierungen, die Inseln würden im Meer versinken.

Inseln als Symbol

Der Konflikt brach erst vor zwei Jahren wieder auf, als ein betrunkener chinesischer Fischer mit seinem Kutter zwei Patrouillenboote der japanischen Küstenwache rammte. Japans unerfahrener Außenminister Seiji Maehara überraschte danach die Welt mit der Formel, es gebe "keinen Territorialkonflikt zwischen Japan und China". Das sollte heißen: Die Causa sei im Sinne Japans geklärt. Damit widerrief er die bis dahin gültige Position Tokios.

Japan behauptet nun, China mache Ansprüche erst geltend, seitdem bekannt sei, dass in den Gewässern um die Senkaku nicht nur reiche Fischgründe, sondern auch Gasverkommen auszubeuten seien. Für die Chinesen dagegen sind die Inseln ein Symbol, wie für Südkorea ihre Inseln auch. Mit ihrer Besetzung habe die Demütigung Chinas durch Japan begonnen, heißt es, die 1931 zur Abspaltung von Nordost-China als Mandschurei und dann zur Besetzung fast der ganzen Ostküste führte. In der Mandschurei errichtete die japanische Armee einen Marionettenstaat.

Japan hat sich nie um eine Aufarbeitung seiner Vergangenheit bemüht

Die Demonstrationen am Dienstag in China gedachten des Jahrestags des sogenannten Mukden-Zwischenfalls. Der Hintergrund: Am 18. September 1931 inszenierte Japans Armee in der heutigen Stadt Schenyang einen Terroranschlag, mit dem sie sich eine Rechtfertigung verschaffte, die Kontrolle über die Mandschurei zu übernehmen.

1937 metzelten japanische Soldaten in vielen chinesischen Städten Zivilisten nieder, in der damaligen Hauptstadt Nanjing waren es mindestens 200.000. Während des Kriegs entwickelte Japan - mit Menschenversuchen an Chinesen - Bio-Waffen, die es in China auch einsetzte. Für alle diese Taten hat in Japan nie jemand einstehen müssen. Es gibt aus japanischer Sicht keinen Bruch in der Geschichte.

Japan hat sich nie um eine Aufarbeitung seiner Vergangenheit bemüht, die Gräueltaten werden geleugnet oder mit Floskeln wie "es war eben Krieg" verharmlost. Einige Schuldige kamen in Nachkriegsregierungen zu Ministerwürden. Zwar äußerte die japanische Regierung einige Male ihr Bedauern über die Vorfälle im Krieg, aber ihren Pseudo-Entschuldigungen schickten sie stets Relativierungen hinterher.

Kein japanischer Politiker hat je eine große Geste der Sühne gezeigt wie zum Beispiel Willy Brandt mit seinem Kniefall in Warschau. Aus japanischer Sicht haben die Inselkonflikte nichts mit der Aggression Japans im Zweiten Weltkrieg zu tun. Die Regierung will sich auf keine Debatte über historische Schuld einlassen, sondern argumentiert mit geltendem Staatsrecht. Und dieses Recht sei in allen drei Territorialkonflikten - auch mit Russland streitet Japan um Inseln - auf Seiten Japans.

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