Süddeutsche Zeitung

Innere Sicherheit:Warum die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft fatal wäre

Staatsangehörigkeit ist etwas anderes als ein Führerschein, den man schnell mal entziehen kann. Es tut der Gesellschaft nicht gut, wenn das Gefühl von Migranten, Minderdeutsche zu sein, noch verstärkt wird.

Kommentar von Heribert Prantl

Es geht um Sicherheit in unsicheren Zeiten. Die islamistischen Anschläge und terroristischen Attentate haben die Bürger verunsichert. Sie wollen, mehr denn je, das Gefühl haben: Der Staat wacht, der Staat schützt. Die Bürger wollen die innere Sicherheit haben, dass der Staat tut, was er tun kann - und dass er für sie da ist. Die Bürger spüren das am besten, wenn die Polizei im öffentlichen Raum präsent ist, viel präsenter als bisher.

Das Beste an all den Forderungen, die jetzt zu Sicherheitspaketen zusammengeschnürt werden, ist daher der Plan, sehr viel mehr Polizisten einzustellen, sehr viel mehr Beamte auf die Straße, in die Bahnhöfe, in die Züge, in die U-und S-Bahnen zu schicken. Das ist Sicherheit, die man sehen und greifen kann. Das hat nichts mit einer Aufrüstung zu einem Polizeistaat zu tun; das ist auch ein Ausdruck des Rechtsbewusstseins, des Stolzes auf eine freiheitliche Rechtsordnung und des Willens, sie zu verteidigen. Wie gesagt: Das Beste auf all den neuen Forderungslisten ist die Forderung nach Polizeipräsenz.

Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft - die denkbar schlechteste Idee

Das Schlechteste ist die Diskussion darüber, die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abzuschaffen. Die Realisierungschance für so einen Vorschlag ist zwar gering. Aber bereits die Diskussion ist schädlich; sie stiftet inneren Unfrieden; sie spaltet die Gesellschaft; sie verstärkt bei vielen Deutschtürken das ohnehin grassierende Gefühl, Deutsche zweiter Klasse zu sein. Die Diskussion erinnert an fatale Strategien vor ein paar Jahrzehnten, als die Regierungspolitik versuchte, die Einwanderung mit "Rückkehrförderungsgesetzen" wieder abzuwickeln. So wurde Integration blockiert.

Es tut der Gesellschaft nicht gut, wenn das Gefühl von Migranten, Minderdeutsche zu sein, noch verstärkt wird. Eine Staatsbürgerschaft ist etwas anderes als ein Führerschein, den man schnell mal entziehen kann. Staatsbürgerschaft, auch die Doppelstaatsbürgerschaft, ist die staatliche Anerkenntnis, dass ein Mensch Bürger ist, dass er dazugehört. Die Diskussion über ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaft ist eine pauschale Misstrauenskundgebung. Sie ist der Versuch, Lehren der vergangenen Jahrzehnte abzuschütteln. Es kann und darf nicht darum gehen, die Gesellschaft zu homogenisieren.

Einbürgerung ist oft ein Integrationsturbo, belegen Studien

Gewiss macht eine Doppelstaatsbürgerschaft den Staatsbürger nicht zum besseren Menschen; sie gleicht nicht automatisch Integrationsdefizite aus. Sie hilft aber in vielen Fällen, sie zu überwinden. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Einbürgerung oft wie ein Integrationsturbo funktioniert: Sie ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, in diesem Land Fuß zu fassen. Die durch Doppelstaatsbürgerschaft erleichterte Einbürgerung hat vielen Migranten die Tür zur Gesellschaft geöffnet. Die Abschaffung wäre ein Integrationsdesaster; sie schlägt die Tür wieder zu.

Die befremdliche Pro-Erdoğan-Demonstration von einigen Zehntausend Türken jüngst in Köln hat die Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft beflügelt. Deren Abschaffung wäre aber gewiss keine Werbung für Integration und Demokratie.

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SZ vom 11.08.2016/ees
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