Innere Sicherheit:Schluss mit dem Paragrafen-Wettwerfen

Urteil im Prozess gegen mutmaßlichen IS-Terroristen

Polizisten sichern beim Prozess gegen einen mutmaßlichen IS-Terroristen das Gebäude des Oberlandesgerichts in Düsseldorf. Schon jetzt hat der Staat zahlreiche Mittel, um gegen Terrorverdächtige vorzugehen.

(Foto: dpa)

Atemlos werden derzeit von den Parteien neue Vorstöße zur inneren Sicherheit präsentiert. Dabei sind die Gesetze bereits scharf und deutlich - es mangelt an der Umsetzung.

Kommentar von Heribert Prantl

Nine Eleven, der Terror von bin Laden in New York und in Washington, ist gut eineinhalb Jahrzehnte her. Am 14. Dezember 2001 verabschiedete der Bundestag eine ganze Kaskade von Anti-Terror-Gesetzen, die auf die Anschläge reagierten. Das Gesetzgebungsverfahren damals war so hektisch, dass es den Namen Gesetzgebung kaum verdiente. Den Parlamentariern blieb, weil die Regierung Tatkraft demonstrieren wollte, zum Nachdenken keine Zeit. Es wurde so atemlos und schier bis zur letzten Stunde vor der Abstimmung an den neuen Gesetzen geschrieben, dass kaum einer der Abgeordneten wusste, worüber er da überhaupt abstimmte. Keiner blickte mehr durch, aber alle waren dafür.

Die Vorschläge, die jetzt nach den Terror-Anschlägen in Deutschland hastig auf den Tisch geworfen werden, erinnern an die Atemlosigkeit von damals. Es ist Wahlkampf. Auf dem Wahlkampfgabentisch landen Videokameras, elektronische Fußfesseln, Gesetzesverschärfungen, allerlei Reformpläne en détail und en gros. Es geht den Parteien um die Präsentation von sicherheitspolitischer Kompetenz, und die Parteien, CDU, CSU und SPD zumal, halten das Wettwerfen mit Paragrafen für den Ausweis solcher Kompetenz. Das ist falsch und gefährlich. Es gilt stattdessen der Satz: Weniger ist mehr.

Ausreisepflichtige Gefährder gehören in Abschiebungshaft

Der Satz gilt vor allem deswegen, weil es schon so viele scharfe Paragrafen gibt, dass offenbar die Politiker, die Verschärfungen fordern, selber nicht wissen, wie scharf die Gesetze schon sind. Vielleicht wäre es gut, jeden, der längere Abschiebungshaft fordert, nach dem geltenden Recht zu fragen. Also: Wie lang darf Abschiebungshaft derzeit dauern? Sechs Tage? Sechs Wochen? Es sind eineinhalb Jahre! Das ist nicht wenig. Hinzu kommt, dass schnell Untersuchungshaft möglich ist, wenn Ausreisepflichtige gegen Meldeauflagen verstoßen. Die muss man dann allerdings verhängen - und kontrollieren.

Das Recht der Abschiebung ist scharf. Die Politik der inneren Sicherheit sollte sich damit befassen, warum diese Schärfe bei den sogenannten Gefährdern nicht zum Einsatz kommt. Der Weihnachtsattentäter von Berlin hätte längst in Abschiebungshaft gehört. Er hätte auch in Haft genommen werden können. Die Frage lautet: Warum ist das nicht geschehen? Warum ist die Abschiebungsanordnung, das schärfste Schwert des Ausländergesetzes, nicht zum Einsatz gekommen?

Diese Abschiebungsanordnung muss von der obersten Landesbehörde, also dem Innenministerium, oder, "wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht", vom Bundesinnenministerium ausgesprochen werden. Sollen die Rufe nach schärferen Gesetzen von solchen Versäumnissen ablenken? Ausreisepflichtige Gefährder gehören in Abschiebungshaft. Mit den geltenden Paragrafen ist das machbar. Wer das Gegenteil behauptet, ist begründungspflichtig. Er muss darlegen, warum Abschiebungshaft oder für Straftäter die Untersuchungshaft angeblich am geltenden Gesetz scheitert. Nur wenn das wirklich so wäre, müsste nachgebessert werden. Ansonsten handelt es sich um ein Vollzugsproblem im Wirrwarr von Ausländer- und Sicherheitsbehörden. Dies zu beheben, ist nicht plakativ, aber wirksam.

Die Grenzen des Rechtsstaats

Andere Gefährder, zumal solche mit deutscher Staatsangehörigkeit, kann man nicht in Abschiebehaft nehmen. In den jüngsten Sicherheitsdebatten hat für sie deshalb die elektronische Fußfessel Konjunktur. Sie ist nach geltendem Recht eine Art Freiheitsstrafe; die Fessel kann erstens im Rahmen der Führungsaufsicht entlassenen Straftätern angelegt werden; zweitens die Untersuchungshaft ersetzen; drittens an die Stelle einer kurzen Freiheitsstrafe treten; viertens eine Bewährungsauflage sein. Das trifft die Problemlage bei Gefährdern nicht. Es geht bei den neuen Fußfessel-Forderungen nicht um die Reaktion auf Straftaten, sondern um die Vorbeugung von Straftaten: Die Fessel soll Leuten angelegt werden, die noch keine Straftaten begangen haben, aber welche begehen könnten.

In diesem Kontext wäre die Fußfessel die Alternative zum polizeilichen Unterbindungsgewahrsam - wie er derzeit zum Beispiel gegen Hooligans oder betrunkene Randalierer angeordnet werden kann. Diese Polizeihaft gegen Gefahrpersonen kann je nach Bundesland bis zu vierzehn Tagen dauern. Noch mehr Vorbeugehaft? Das wäre rechtsstaatlich nicht zu verantworten, weil die Vorbeugehaft sonst zur U-Haft ohne Straftat wird. Das Anti-Terror-Strafrecht hat die Strafbarkeit schon heute weit in die Vorbereitung einer Straftat vorverlegt. Die Möglichkeiten zur Anordnung von U-Haft sind also schon heute üppig. Gewiss: Man kann noch mehr fordern. Aber man darf den Rechtsstaat nicht verlassen, um ihn zu verteidigen.

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