Amtsübergabe im Innenministerium:De Maizière übergibt an seinen schärfsten Kritiker

Amtsübergabe im Innenministerium: Der ehemalige Innenminister Thomas De Maizière neben dem zukünfigen: Horst Seehofer (Archivbild)

Der ehemalige Innenminister Thomas De Maizière neben dem zukünfigen: Horst Seehofer (Archivbild)

(Foto: AFP)

Seehofer und de Maizière - unterschiedlicher können Politiker kaum sein. In der Flüchtlingskrise hat das zum schärfsten Streit geführt. Nun muss der neue Innenminister zeigen, ob er es besser kann.

Von Stefan Braun, Berlin

Kein schöner Tag in dieser Zeit. Am heutigen Mittwoch haben sich zwei Politiker in Berlin zum letzten Mal die Hand gereicht, von denen man annehmen kann, dass sie sich beide anschließend schleunigst die Hände waschen. Gemeint sind Thomas de Maizière und Horst Seehofer. Der eine war bis jetzt Bundesinnenminister, der andere übernimmt das Amt an diesem Tage. Und selten hat es eine Ministeriumsübergabe gegeben, bei der sich zwei Widersacher derart offen gegenüberstanden.

Wobei das Wort offen relativ ist. Denn der scheidende Minister hat entschieden, dass das Ganze nicht-öffentlich stattfindet. Angesichts der bitteren Töne zwischen beiden scheint es verständlich, dass sie diesen letzten Akt ihrer Arbeitsbeziehung hinter verschlossenen Türen vollzogen haben. Gemessen daran aber, dass solche Amtsübergaben besondere Belege für eine demokratische Kultur des anständigen Machtwechsels sein können, erscheint es wie ein unangemessenes Foul in der Schlussminute.

Trotzdem passt es zum Gesamtbild zwischen dem Bayern und dem Preußen. Zwischen dem "political animal" Seehofer und dem ewig-pflichtbewussten und prinzipientreuen de Maizière. Bis in die letzten Tage hinein haben sie giftige Pfeile hin- und hergeschossen.

Der scheidende Innenminister hatte in einem Interview mit der FAZ freundlich im Ton, aber garstig in der Sache erklärt, das Innenministerium sei jetzt schon sehr groß. Deshalb könne er sich kaum vorstellen, wie man dieses Haus mit weiteren Themen aufladen und trotzdem verlässlich führen könne. Seehofer schoss zurück, Politik sei "doch nicht Paragrafenschusterei", sondern "das Setzen von Prioritäten für die Menschen".

Immer wieder sprach Seehofer von einer Berliner "Selbstherrlichkeit"

De Maizière formulierte leise Zweifel, ob ein Nicht-Jurist zum Innenminister fähig sei. Seehofer erwiderte, fürs Juristische habe er "exzellente Leute". Die müssten ihm sagen, was sie ihm empfehlen - "und ich muss sagen, was geschieht". Selten ist ein Wechsel von derart misslichen Tönen begleitet worden. Selbst der zutiefst beleidigte Otto Schily schaffte es im Herbst 2005, seinem Nachfolger Wolfgang Schäuble die Schlüssel freundlicher zu überreichen.

Dabei muss man eine Einschränkung machen. Schily hatte von Schäuble zuvor nicht derart harte Attacken ertragen müssen. Im Grunde nämlich passt der Schlussakkord ins Bild der letzten Jahre. Insbesondere wenn man sich erinnert, mit welcher Härte Seehofer de Maizière während der Flüchtlingskrise anging. Es gab keine schärferen Gegenpole.

Hier ein zorniger Ministerpräsident aus Bayern, dort ein Bundesinnenminister, der zuständig war für die Umsetzung politischer Entscheidungen, die er nicht alleine treffen konnte.

Was haben die beiden gestritten. Das fing mit den Grenzkontrollen an, die de Maizière aus Sicht Seehofers im September 2015 zu spät einführte und zu früh wieder in Frage stellte. Tatsächlich laufen sie bis heute. Trotzdem haben sich die beiden nie wirklich verständigt. Immer wieder sprach Seehofer von einer Berliner "Selbstherrlichkeit", die sich zunehmend gegen Bayern richte. Und de Maizière wehrte sich selbst in öffentlichen Bundestagsdebatten gegen die Anwürfe aus München.

Der Konflikt gipfelte im Vorwurf Seehofers, in Deutschland sei "eine Herrschaft des Unrechts" ausgebrochen, weil die Bundesregierung die Dublin-Regeln für syrische Flüchtlinge ausgesetzt und die Bundespolizei an den Grenzen wochenlang längst nicht mehr alle Ankömmlinge registriert hatte. Seehofer rief ins Volk, alles sei außer Kontrolle geraten, während de Maizière kämpfte und strampelte, um die Probleme wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Sie stritten heftig und verfolgten doch gleiche Ziele

In Berlin und im zuständigen Innenministerium traf der Vorwurf ins Herz. Das Haus gilt gemeinhin als das Verfassungsministerium des Bundes. Kein Vorwurf, keine öffentliche Attacke hätte das Haus, seine Beamten und seinen Minister deshalb härter treffen können.

Und das wurde noch begleitet von dem über Monate wachsenden Eindruck, dass Seehofer das BMI attackierte, aber die Kanzlerin meinte. Denn obwohl Seehofer und de Maizière wie Katz und Maus agierten, verfolgten sie ab dem Jahresanfang 2016 weitgehend die gleichen Ziele.

Beide wollten früh grenznahe Aufnahmezentren; beide wollten spätestens nach der Silvesternacht in Köln zum Jahreswechsel 2015/2016 die Gesetze bei straffälligen Asylbewerbern verschärfen. Beide wollten früh den Familiennachzug beschränken. Und eigentlich wollten beide sehr früh sehr viel mehr Abschiebungen durchsetzen.

Trotzdem sind sie über diese größte Krise der letzten Legislaturperiode keine Gefährten, sondern immer schärfere Gegner geworden. Der Hauptgrund aus de Maizières Sicht: Seehofer hörte selbst im Wahlkampf nicht auf, die Krise immer noch schlimmer zu reden, statt die gemeinsam beschlossenen Veränderungen der Bundesregierung zu loben. Der Hauptgrund aus Seehofers Sicht: er verlor nie den Verdacht, dass de Maizière die Kritiker aus der CSU für populistische Übertreiber hielt und im Stillen gegen sie agierte.

Hinzu kommt in diesem besonderen Verhältnis etwas Zweites: Es gibt kaum zwei Politiker mit einem derart konträren Politikverständnis. Seehofer ist zeit seines Lebens ein Politiker, für den der Bauch und das Gefühl mindestens genauso viel zählt wie der Kopf. Das Sensorium also, was die Menschen draußen fühlen - oder fühlen könnten. Das treibt ihn an und kann - siehe Rückabwicklung des achtjährigen Abiturs - auch zu Kurskorrekturen führen.

Von Visionen hält de Maizière das gleiche wie Helmut Schmidt

Für de Maizière ist das beinahe unvorstellbar. Man könnte sogar sagen, dass er es verachtet, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Für ihn gehört es zu den obersten Prinzipien, pragmatisch und nüchtern, aber auch an den Regeln und Strukturen hängend zu agieren. Beamtisch, präzise, verlässlich und unaufgeregt - das ist seine Maxime.

Das gilt auch für das Auftreten und die Rolle, die Politiker im Umgang mit der Öffentlichkeit haben. Seehofer hält es für eine elementare Aufgabe, Inhalte und Ziele auch in große Botschaften zu übersetzen. Für ihn ist das Kommunizieren eine Kernkompetenz und -aufgabe. De Maizière sieht das meistens ganz anders. Von Visionen denkt er das gleiche wie Helmut Schmidt, er hält davon gar nichts. Er wollte stets organisieren, umsetzen, Probleme lösen und möglichst wenig drüber reden müssen.

Vielleicht ist das in der Flüchtlingskrise seine größte von mehreren Schwächen gewesen. Ihm ist es nie gelungen, den Menschen durch prägende öffentliche Auftritte deutlich zu machen, dass er ihre Sorgen, ihre Ängste, die Größe der Aufgabe im Blick hat.

Und nun? Nun übernimmt Horst Seehofer ein Ministerium, das er über Jahre zutiefst verletzt hat. Auch die Beamten im BMI sind grundsätzlich jeder neuen Führung verpflichtet, zumal viele Beamte Seehofers Sicht in der Sache gelegentlich geteilt haben. In diesem Fall aber werden die Hürden für eine Annäherung besonders hoch sein. Seehofer hat mit seinen Vorwürfen derart viel Porzellan zerschlagen, dass er viel Aufbauarbeit wird leisten müssen.

Hinzu kommt, dass er von einem Tag auf den nächsten vor all den Problemen steht, mit denen de Maizière seit Jahren gekämpft hat. Das Ringen mit den Bundesländern bei Abschiebungen, die mangelnde Kooperation der Sicherheitsbehörden im Anti-Terror-Kampf, das Bemühen um angemessene rechtliche Möglichkeiten der Polizei gegen Cyber-Kriminelle - alles liegt jetzt in Seehofers Händen, ohne dass sich an den Baustellen schon was geändert hätte.

Und so übernimmt an diesem Tag der 68-jährige vom 64-jährigen - es ist die einzige Amtsübergabe vom Jüngeren an den Älteren. Aber das ist, wie gesagt, nicht die einzige Besonderheit an diesem außergewöhnlichen Wechsel. Immerhin: Wie es am Mittwoch heißt, sei bei der Amtsübergabe "alles sehr friedlich" geblieben.

De Maizière betonte vor etwa 1000 Beamten im Innenministerium, er sei "mit Haut und Haaren" Innenminister gewesen und wünsche Seehofer nun "von Herzen alles Gute".

Seehofer seinerseits wollte sich angesichts dessen nicht lumpen lassen. Also sagte er laut Teilnehmern: "Wenn man sich eine Person in Deutschland malen müsste, die für den Dienst an der Sache und den Menschen steht, dann ist es Thomas de Maizière."

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