Innenminister Friedrich will DFB-Team in der Ukraine begleiten:Wenn der Ball rollt, ist Timoschenko vergessen

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In der Ukraine ist offiziell Party angesagt. Das EM-Gastgeberland hat sich für den Klassiker Deutschland - Niederlande in Charkow herausgeputzt, Präsident Janukowitsch sonnt sich im Glanz des Fußballs. Der Fall Timoschenko droht darüber in Vergessenheit zu geraten. Bundesinnenminister Friedrich trägt dazu bei: Er kündigt an, entgegen vorherigen Aussagen die DFB-Elf in die Ukraine begleiten zu wollen.

Matthias Kohlmaier und Michael König

Charkow hat sich herausgeputzt für das große Spiel. Die Stimmung in der Stadt im Osten der Ukraine sei herrlich, schwärmen deutsche Korrespondenten. Die Sonne scheint, die Fanzone füllt sich mit den Fans der deutschen Nationalelf und der Niederlande, die sich um 20:45 Uhr in der Vorrundengruppe B gegenüberstehen.

Julia Timoschenko liegt weiterhin im Krankenhaus von Charkow. Die Situation der einstigen Ministerpräsidentin hat sich nicht verbessert. (Foto: dapd)

Für die Ukraine ist es das zweite Glanzlicht dieser Fußball-Europameisterschaft. Am Montag hatte Stürmer Andrej Schewtschenko das Team der Gastgeber zum 2:1-Auftaktsieg gegen Schweden geschossen. Seitdem ist offiziell Party angesagt. "Ich habe viele Leute gefragt. Sie sind beeindruckt von unserer Gastfreundlichkeit", jubelte Fußball-Verbandspräsident Gregorij Surkis. "Ich gratuliere uns allen zu diesem glänzenden Sieg", sagte Präsident Viktor Janukowitsch.

Janukowitsch? Charkow? Vor der EM wurden diese Begriffe in westlichen Medien in einem ganz anderen Kontext benutzt. Doch das Schicksal von Julia Timoschenko und die prekäre Menschenrechtslage in der Ukraine scheinen angesichts der Fußballbegeisterung in Vergessenheit zu geraten. Timoschenko liegt weiterhin im Krankenhaus von Charkow. Die Situation der am Rücken verletzten einstigen Ministerpräsidentin, die wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde, hat sich nicht verbessert.

Doch seit der Ball rollt, sind die Proteste verklungen. Ein Trend, den Menschenrechtsaktivisten beklagen - und an dessen Spitze sich nun ausgerechnet Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gestellt hat. Der CSU-Politiker kündigte an, "sobald die Vorrunde vorbei ist und wir weiter im Spiel sind", zu jedem Spiel der deutschen Mannschaft reisen zu wollen.

Das ist ein klarer Bruch mit der bisherigen Haltung der Bundesregierung, wonach die Ukraine gemieden werden sollte, so lange sie sich im Fall Timoschenko nicht bewege. Noch wenige Tage zuvor hatte Friedrich erklärt, lediglich bei einem Finale mit deutscher Beteiligung in Kiew dabei sein zu wollen. Je nach Ausgang der Vorrunde könnte die DFB-Elf auch im Halbfinale in der Ukraine spielen - während das Viertelfinale auf jeden Fall in Polen stattfindet.

Die Politik habe "im Vorfeld" der EM "eindeutig protestiert", rechtfertigte sich Friedrich im Gespräch mit der Leipziger Volkszeitung. Aber jetzt, "jetzt ist der Sportminister gefordert".

Die Opposition zeigt sich irritiert, Amnesty International protestiert. "Ich wundere mich sehr über die Wendung der Bundesregierung in dieser Sache", sagt Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, im Gespräch mit Süddeutsche.de. Gemeinsam mit ihrem Fraktionskollegen Werner Schulz war sie am Mittwoch nach Charkow aufgebrochen, um Timoschenko im Krankenhaus zu besuchen - doch ein Gewitter verhinderte das. Ihr Flugzeug musste umkehren.

"Wenn man hinfährt, muss man den Protest gegen die Inhaftierung Dutzender Oppositioneller, dagegen, dass freie und gerechte Wahlen in der Ukraine unter den heutigen politischen Umständen ausgeschlossen sind, deutlich machen", so Harms. Innenminister Friedrich müsse es gelingen, "dass die Distanz Deutschlands zur Politik Janukowitschs bestehen bleibt", fordert die Grünen-Politikerin.

Kann Friedrich Distanz schaffen, wenn er sich mit Janukowitsch die Ehrentribüne teilt? Marie von Möllendorff, Referentin für Osteuropa und Zentralasien bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, hat daran Zweifel. "Wenn der Bundesinnenminister vor Ort sein sollte, muss er die Menschenrechtslage auch thematisieren", sagt sie Süddeutsche.de. Politik und Fußball seien in diesem Fall eng miteinander verknüpft: "Das darf er bei aller Fußballbegeisterung nicht vergessen."

Friedrichs Vorstoß ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich seine Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger darum bemüht, den Fall Timoschenko in den Schlagzeilen zu halten. Die liberale Bundesjustizminsterin begrüßte zu einem Treffen mit ihren Länderkollegen auch Julia Timoschenkos Tochter Jewgenija in Wiesbaden. Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hatte sie dorthin eingeladen, um über die Lage ihrer Mutter zu diskutieren.

Andere deutsche Politiker appellierten an die Fans, für Timoschenko Flagge zu zeigen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte, "viele Millionen Deutsche und Niederländer werden nach Charkow blicken". Bei aller Begeisterung dürfe das Schicksal der dort inhaftierten Timoschenko und anderer in der Ukraine inhaftierter Oppositioneller nicht in Vergessenheit geraten.

Die Grünen-Parteichefin Claudia Roth warb darum, im Gedenken an die Orangefarbene Revolution in der Ukraine, deren Protagonistin Timoschenko war, einen Schal dieser Farbe im Stadion zu tragen.

Bei ihrer Parteikollegin Harms traf das jedoch nicht auf Zustimmung: "Die orangenen Schals gehören heute den Holländern und ihren Fans. Ich werde meinen Protest anders zum Ausdruck bringen."

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