Innenansicht:Was die Robe verbirgt

Strecker

Gregor Schöllgen, Gerhard Schröder. Die Biographie. DVA, 2015. 1040 Seiten 34,99 Euro. Als E-Book: 28,99 Euro.

Ein "Nestbeschmutzer" schreibt über nicht öffentliche Aspekte der Justiz. Es geht dabei auch um undurchsichtige Benotung.

Von Rolf Lamprecht

Richter gehören zu den Privilegierten dieser Republik. Sie sind abgesichert wie kein anderer Berufszweig - auf Lebenszeit berufen, unabsetzbar, unabhängig, keiner Weisung unterworfen. Ihre Qualifikation wird justizintern ermittelt. Ob einer befangen ist, entscheiden Kollegen, was im Beratungszimmer geschieht, bleibt geheim. Eine geschlossene Gesellschaft.

Was hinter den Kulissen passiert, kann seriös nur einer erzählen, der dazugehört. Christoph Strecker, von dessen neuestem Buch hier die Rede sein soll, gehört zu den Rebellen, die 1985 eine selbstkritische Zeitschrift (Betrifft: Justiz) gründeten - ein Blatt, das den Menschen unter der Robe sichtbar machte. Der Autor kennt das Recht aus vielen Perspektiven: als Anwalt, als Richter (1971-2002) und als Mediator. In seinem Buch beleuchtet er seine schillernden Erfahrungen mit Justitia. Unter Kollegen gehört er nach wie vor zu der kleinen Minderheit, die auf den schönen Schein verzichtet - und souverän über Ängste, Nöte und Zwänge redet, die der Rechts- und Wahrheitsfindung bisweilen im Wege stehen. Ihn treibt eine Sorge um: "Ich habe die Justiz von innen erlebt und mich um die Nähe zu den Menschen bemüht, die sich von ihr bedroht fühlen und auf sie hoffen."

Strecker ist, wenn es ums Eingemachte geht, nicht zimperlich. Er spricht aus, was alle Angehörigen der Zunft wissen, aber ungern öffentlich sagen: "Ein System von Hierarchie und Karriere ist voller Gefahren für die von den Gerichten erwartete Unabhängigkeit." Es gelte immer wieder, "sich die hieraus resultierenden Anpassungszwänge und Versuchungen bewusst zu machen und ihnen zu widerstehen."

So werden zum Beispiel Richter hierzu-lande benotet wie Schulbuben. Der Vorsitzende des Spruchkörpers, der das Zeugnis inspiriert, soll vergessen, dass der - als Richter gleichberechtigte - Notenempfänger in der Beratung gegen ihn gestimmt hat. Und im Idealfall darf der "Beisitzer", wenn er dem Vorsitzenden widerspricht, keine Sekunde an dessen zweite Funktion denken - an die des Notengebers.

Strecker hat den Ruf des Nestbeschmutzers nie gescheut. Die Begriffe, mit denen er operiert, verraten eine klare, kompromisslose Linie. Er meditiert über "die Rolle des Richters zwischen Autorität und Anbiederung", über "die Schere im Kopf" und über "die Lehren der Vergangenheit". So gesehen, ist er ein Nachfahre des Rechtsphilosophen Arthur Kaufmann, der den Schlüsselbegriff auf den Punkt gebracht hat: "Die Unabhängigkeit des Richters wächst in dem Maße, wie er sich seiner Abhängigkeiten bewusst wird."

Rolf Lamprecht schreibt über Rechtspolitik. Zuletzt erschien vom ihm "Ich gehe bis nach Karlsruhe - eine Geschichte des Bundesverfassungsgerichts", DVA 2011.

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