Nach Maaßen:Wie der Verfassungsschutz funktioniert

Bundesamt für Verfassungsschutz

Gut 3100 Mitarbeiter und ein Budget von derzeit etwa 390 Millionen Euro: das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Nach der Versetzung von Hans-Georg Maaßen steht die Frage im Raum, wie es mit dem Verfassungsschutz weitergeht.
  • Die Behörde ist eine eigenwillige Konstruktion, die sich von den meisten anderen westlichen Geheimdiensten unterscheidet.
  • Als Reformvorschlag steht unter anderem im Raum, den Verfassungsschutz zu einer Art Bundeszentrale für politische Bildung zu machen.

Von Ronen Steinke, Berlin

Keine Behörde in Deutschland trägt einen schöneren Namen. Keine Behörde wird gleichzeitig so oft so radikal infrage gestellt wie der Verfassungsschutz, der sich auf seiner Homepage klangvoll "Dienstleister für Demokratie" nennt. Kritiker meinen: Blendet man den schönen Sound mal aus, die Demokratie stünde besser da ohne diesen Geheimdienst, jedenfalls in seiner heutigen Form.

Gerade jetzt, da an der Spitze des Bundesamts nach sechs Jahren Amtszeit des energischen, aggressiven Hans-Georg Maaßen ein Machtvakuum bleibt, steht auch diese grundsätzlichere Frage wieder im Raum. Innenminister Horst Seehofer (CSU) deutete am Mittwoch "organisatorische Veränderungen" im Verfassungsschutz an. Er betonte gleich, dass sie erst von Maaßens Nachfolger oder Nachfolgerin angepackt werden könnten. Aber er erwähnte sie.

Wohin wird sich der Inlandsgeheimdienst entwickeln? Unter Maaßens Führung ist er jahrelang vergrößert worden, mit mehr Befugnissen, mehr Geld, mehr Personal. Gelangt man jetzt an einen Punkt, an dem er auch wieder eine veränderte Aufgabenstellung braucht? Nicht nur aus der Opposition im Bundestag ist die Frage in diesen Tagen zu hören. Auch unter Verfassungsschützern hat es in den vergangenen Monaten durchaus selbstkritische Diskussionen darüber gegeben; nur dass sie bislang nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Greifbarstes Ergebnis ist ein Papier, auf das sich im April zehn Landesämter verständigt haben, unter der Federführung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzchefs Burkhard Freier (SPD), zur "Optimierung des Frühwarnsystems der Verfassungsschutzbehörden".

Bei alldem geht es stets um die zwei wichtigsten, aber auch heikelsten Aufgaben des Verfassungsschutzes - sowie drittens um den Föderalismus.

Heute, mit Medien und Internet, werde alles viel öffentlicher als früher, sagt ein Behördenchef

Die erste Aufgabe ist traditionell das Analysieren politischer Strömungen. Was für eine eigenwillige Konstruktion der Verfassungsschutz ist, erschließt sich, wenn man einmal versucht, dies Ausländern zu erklären. Der Verfassungsschutz spioniert in Deutschland. Eine Art secret police also. Nur mit dem Unterschied, dass er keine Verbrecher sucht. Er sucht Gesinnungen, die er für extremistisch hält. Illegal muss daran nichts sein, man muss den Anhängern nicht mal Gewalt zutrauen. So werden etwa Journalisten der linken Zeitung Junge Welt beobachtet. Den meisten anderen westlichen Demokratien ist so eine Geheimdienstarbeit fremd.

Unter Hans-Georg Maaßen sind immer weniger Ressourcen in diese alte Analyse-Aufgabe geflossen. Das entsprach einem Konsens: "Es war eine andere Zeit", sagt ein Spitzenbeamter mit Verfassungsschutz-Erfahrung über die Gründung des Bundesamts im Jahr 1950. Die Behörde sollte damals aufspüren, "wo sich eine neue NSDAP zusammenbraut". Das wirke inzwischen leicht aus der Zeit gefallen, sagt auch ein Verfassungsschutz-Chef aus einem neuen Bundesland: "Das ist schwerer zu begründen in der heutigen Zeit, wo alles viel öffentlicher wird, mit den Medien, dem Internet." Über extremistische Strömungen wüssten teils auch Forscher an Universitäten gut Bescheid. Ohne dass sie Telefone abhörten.

Zwei Abgeordnete der Grünen haben dazu gerade einen Vorschlag gemacht, die gelernte Polizistin Irene Mihalic und der Jurist Konstantin von Notz. Sie wollen die Politik-Beobachtung ganz ausgliedern in eine neue Behörde, wie sie in der Welt am Sonntag geschrieben haben, ein "Institut zum Schutz der Verfassung". Spionieren würden die Beamten dort gar nicht mehr, sondern nur noch offen das Internet und die Presse auswerten. Es wäre eine Art Bundeszentrale für politische Bildung. Nur kleiner und spezialisierter. Auch die Verfassungsschützer in den Ländern wollen stärker mit der Wissenschaft kooperieren, nicht zuletzt um Steuergeld zu sparen. Nur, auf Mittel wie das Abhören könne man nicht ganz verzichten. "Die Gruppen, die den Staat ablehnen, tun das nicht immer offen", sagt einer aus diesem Kreis.

Viele verschiedene Definitionen von "Gefahr"

Die zweite Aufgabe für den Verfassungsschutz hat dagegen rasant an Bedeutung gewonnen. Es ist die sogenannte Vorfeldarbeit für die Polizei. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 fragte das Bundesinnenministerium einmal den Kenntnisstand seiner Sicherheitsbehörden ab. Das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz sollten ihm die selbe Frage beantworten: Wie heißen die 100 momentan gefährlichsten Islamisten in Deutschland? Als die Antworten eintrudelten, wurde man im Ministerium nachdenklich. Die Listen stimmten nicht einmal zu 20 Prozent überein. Jede Behörde verstand unter "Gefahr" etwas anderes.

Der Geheimdienst behalte eine Szene dauerhaft im Blick, argumentieren die Länder

Es war dann der heutige Staatssekretär Hans-Georg Engelke, der unter dem Innenminister Otto Schily (SPD) das Gemeinsame Terrorabwehr-Zentrum GTAZ in Berlin aufbaute, um Polizei und Verfassungsschutz an einen Tisch zu bringen. Heute arbeiten sie nebeneinander. Einige Verfassungsschützer sehen sich als Hilfspolizei, andere als bessere Polizei. "Es ist schon so, dass wir uns mit denselben Personen beschäftigen", sagt ein Verfassungsschützer. Kurz: Die Aufgaben verschwimmen.

Die beiden Grünen-Abgeordneten fordern deshalb eine klarere Abgrenzung. Sie wollen die Polizei-Zuarbeit der Geheimdienstler in einem neuen "Amt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr" unterbringen. "Seine Zuständigkeit endet, wenn die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden beginnt - also bei Vorliegen konkreter Gefahren oder konkreter Straftaten." Die Landesverfassungsschützer halten dagegen. Wenn sich die Aufgaben überlappten wie bisher, dann sei das gut. "Die Polizei sieht nur einen kleinen Ausschnitt, wenn es zu Ermittlungen und Strafverfahren kommt. Der Mehrwert des Verfassungsschutzes liegt darin, dass wir dauerhaft eine Szene im Blick haben und kennenlernen können." Politisch deutet im Bund alles darauf hin, dass man sich eher noch näher rückt: Laut schwarz-rotem Koalitionsvertrag sollen im GTAZ künftig sogar "verbindliche Absprachen" getroffen werden zwischen Polizisten und Agenten.

Schließlich die Frage des Föderalismus. "Wir haben in Deutschland 16 Landesämter für Verfassungsschutz, ein Bundesamt, und wenn Sie so wollen mit dem Militärischen Abschirmdienst 18 Inlandsnachrichtendienste", sagte Hans-Georg Maaßen im vergangenen Oktober bei einer Anhörung im Bundestag. "Eine Steuerung in der Hinsicht, dass zentral über Einsatz von Personen bestimmt wird, gibt es in Deutschland leider nicht. Im Grunde ist jeder für das gleiche zuständig." Es ist ein Durcheinander, das Maaßen beklagte. Mit seinen Versuchen, die Länder zu mehr Unterordnung zu bewegen, scheiterte er gründlich.

Aber womöglich war das auch eine Frage des Tons. Maaßens Kritik an kleinen Ländern wie Bremen wurde dort teils als Spott aufgefasst. Womöglich könnte ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin schon bald einzelne Aufgaben zentralisieren.

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