Süddeutsche Zeitung

Initiative zu Spätabtreibungen:Zum Leben überreden

Ein behindertes Kind darf bis kurz vor seiner Geburt abgetrieben werden. SPD und CDU wollen diesen Weg erschweren. Für die Zeit nach der Geburt haben sie aber nichts zu bieten.

Elmar Jung, Berlin

Das Ultraschallbild lässt keinen Raum für Zweifel. Am Kopf des Ungeborenen sind kleine schwarzen Flecken zu sehen. Es ist Wasser, das sich dort gesammelt hat. Die Herzkammern sind nicht vollständig ausgebildet.

Das Kind wird schwerkrank oder behindert zur Welt kommen. Die Diagnose ist unumstößlich. Für die Eltern ein Schock. Monatelang haben sie sich auf ihr Kind gefreut, und jetzt diese Nachricht.

Kinder wollten sie immer, das schon. Aber mit Behinderung? 631 werdende Mütter haben sich im vergangenen Jahr in einer solchen oder ähnlichen Situation für eine Spätabtreibung entschieden. So werden alle Schwangerschaftsabbrüche genannt, die nach der 20. Woche vorgenommen werden. Denn von diesem Zeitpunkt an können solche Frühchen mit moderner medizinischer Versorgung außerhalb des Mutterleibs überleben.

Dem CSU-Bundestagsabgeordneten und familienpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Johannes Singhammer, graut vor der Vorstellung, dass jedes Jahr so viele Föten nicht lebend zu Welt kommen dürfen, weil sie Anomalien aufweisen.

In Deutschland ist ein Abbruch der Schwangerschaft auch nach der zwölften Woche bis kurz vor Beginn der Geburt möglich, wenn das Kind behindert ist.

Etwa 117.000 Abtreibungen gab es 2007 insgesamt.

Der behandelnde Arzt muss dafür der Überzeugung sein, dass die Fortsetzung der Schwangerschaft das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter gefährden würde. Er stellt eine sogenannte medizinische Indikation. Ein zweiter Arzt kann daraufhin den Abbruch vornehmen. Andere Bedingungen werden nicht gestellt.

Ordnungsgeld von 10.000 Euro

Singhammer und seinen Kollegen aus der Union geht das nicht weit genug. Sie wollen, dass vor einer Spätabtreibung eine dreitägige Bedenkzeit und ein Gespräch mit dem Arzt zur Pflicht werden. Darüber hinaus soll der Arzt die Frauen auf Angebote einer psychosozialen Behandlung hinweisen. Kommt der Mediziner dann seiner Pflicht nicht nach, soll ihm ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro angedroht werden.

Dafür will die Union mit einem Gruppenantrag das Schwangerschaftskonfliktgesetz ändern. An diesem Mittwoch wollen sie ihn im Bundestag einbringen.

Drei Viertel der Unionsabgeordneten haben schon unterschrieben. Unterstützung bekommt Singhammer zudem von Verbänden wie der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, dem katholisch geprägten Schwangerschaftsberatungsverein Donum Vitae sowie der Bundesärztekammer.

Eine der wenigen Unterstützer in der SPD ist die frühere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt. Die meisten Sozialdemokraten in der SPD-Bundestagsfraktion nämlich sehen beim Thema Spätabtreibung zwar Handlungsbedarf, wollen aber nicht gleich Gesetze ändern. Ihnen reichen etwa neue Regeln bei den Mutterschaftsrichtlinien. Ansonsten sei die Frage der Beratungspflicht vom Gendiagnostikgesetz abgedeckt.

"Das Gendiagnostikgesetz reicht nicht aus", widerspricht Schmidt. Zahlreiche Krankheiten und Anomalien wie die Schädigung des Körpers durch Contergan oder die Spina bifida, der offene Rücken, würden eben nicht durch Gentests festgestellt. Sie fielen damit nicht unter die strengeren Vorschriften des Gendiagnostikgesetzes.

Der FDP-Politiker Alexander Pokorny ist selbst contergangeschädigt und auf den Rollstuhl angewiesen. Er sitzt der parteieigenen Kommission "Freiheit und Ethik" vor. Für ihn schließt der Antrag zwar "eine Lücke". Ihn interessiert aber mehr die Frage, was mit den Eltern und ihren behinderten Kindern nach der Geburt passiert.

Beratung, sagt Pokorny, darf keinesfalls mit einem Überreden der Mutter verwechselt werden, das Kind doch zu bekommen. "Es darf keine Hurra-Beratung geben", sagt er. Oft würden die Eltern nach der Geburt mit ihren Problemen alleingelassen.

"Wenn wir etwas für das ungeborene Leben tun wollen, müssen wir auch etwas für das geborene tun", sagt Alexander Pokorny. Soll heißen: Eine Mutter zum Leben ihres ungeborenen Kindes zu überreden, hat nur dann Sinn, wenn das Kind nach der Geburt nicht stigmatisiert und ihm eine echte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird.

Im Moment aber scheint es eher umgekehrt zu laufen. Die CDU-Abgeordnete Ilse Falk, ebenfalls Unterzeichnern des Singhammer-Gesetzentwurfes, weiß von Ärzten zu berichten, die allein deshalb schon zu einer Abtreibung raten, weil langfristig angelegte Therapien oder psychosoziale Beratungen eben nicht mehr bezahlt würden. Mit der Einführung einer Beratungspflicht müsste das Angebot an Eltern und Kinder nach der Geburt verbessert werden.

Im vorliegenden Gesetzentwurf wird dazu keine Lösung präsentiert. Für Ilse Falk kann der Vorstoß deshalb "natürlich nur ein Anfang sein". Dazu müssten dann auch Fortbildungen für Ärzte gehören. Denn nicht alle Mediziner seien imstande, einer werdenden Mutter mit behindertem Kind neben medizinischen Hinweisen auch eine umfassende Lebensberatung zu geben.

Wie das Gerangel um die Spätabtreibung enden wird, ist noch nicht auszumachen. Im Ziel sind sich Union und SPD einig. Dass es bisher trotz dreijährigen zähen Ringens in dieser Frage in der großen Koalition keine Einigung gab, lässt sich vielleicht auch mit Parteitaktik erklären. Auch damit, dass sich dieses Thema nicht für den Wahlkampf eignet, wie Singhammer sagt.

Auf der anderen Seite braucht die Union Themen, um das konservative Profil zu schärfen. Das ist ihr mit der liberalen Politik von Familienministerin Ursula von der Leyen abhandengekommen.

Am Mittwochmorgen trifft sich eine Arbeitsgruppe der SPD um die Abgeordnete Kerstin Griese zum Thema Spätabtreibung. Dort werden sie dann ihr eigenes Konzept festzurren, das sich von dem der Union nur in Details unterscheidet. Renate Schmidt kann dem nur Positives abgewinnen. "Wenn das so ist, dann stimme ich eben für beide Anträge."

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