Inhaftierter CIA-Agent in Pakistan:Geld oder Rache

Raymond Davis war als Diplomat in Pakistan akkreditiert, dann tötete er zwei Männer. Inzwischen ist klar: Davis arbeitete für die CIA. Die Bevölkerung fordert seinen Kopf, die USA seine Freilassung - die Regierung in Islamabad steht vor einem Dilemma.

Tobias Matern

Die Männer von der Spezialeinheit sind in Stellung gegangen. Zusätzliche Polizisten stehen hinter Sandsäcken, die Maschinengewehre haben sie gezückt. Transporter mit Häftlingen in Handschellen kommen angefahren. Die Männer schneiden Grimassen, bevor sie die Wagen an der Schranke zum Gefängnis passieren lassen - so viel Aufmerksamkeit ist für sie ungewohnt. Dutzende Kameraleute haben ihre Objektive auf die Strafanstalt von Kot Lakhpat bei Lahore gerichtet; sie wirken wie die prüfenden Augen eines ganzen Landes.

Aftermath of the alleged killing of Pakistanis by a U.S. consulat

Pakistanische Demonstranten fordern die Hinrichtung Raymond Davis' - die USA seine Freilassung.

(Foto: dpa)

Ihr Interesse gilt dem bekanntesten Gefangenen Pakistans. Der US-Amerikaner Raymond Davis sitzt dort ein, und hinter den dicken, roten Mauern tritt er auch vor einen Richter. Ihn ins Gericht zu fahren, gilt inzwischen als zu gefährlich. In Lahore hängen überall Plakate, die seinen Kopf in einer Schlinge zeigen. Auf Demonstrationen tragen Menschen Schilder, darauf stehen Botschaften wie, "Er hatte Immunität, er hat gemordet", oder schlicht: "Verschwinde, USA!"

Die pakistanische Justiz begibt sich in dieser vergifteten Situation also zu Davis. Er selbst lehnt es ab, die schriftliche Fassung der Anklage zu akzeptieren. Der 36-Jährige erkennt das Gericht nicht an, er reklamiert für sich den besonderen Schutz, den ein Diplomat genießt. Darauf pocht auch die US-Regierung in Washington, sie will seine sofortige Freilassung - und ihm dann angeblich in den USA den Prozess machen.

Pakistan lässt sich darauf bisher nicht ein. Asad Manzoor Butt tritt aus dem Tor des Gefängnisses. Die Journalisten stürzen sich auf ihn. "Davis hat keine Immunität verdient", sagt Butt, der die Opferfamilien vertritt, mit ruhiger Stimme. Dem Amerikaner müsse in Pakistan der Prozess gemacht werden für seine Tat vom 27. Januar. Selbst für einen fiktiven Agententhriller klingt es ein wenig übertrieben, was sich da in Lahore zugetragen hat.

Zwei Länder, aufeinander angewiesen, einander misstrauend

Raymond Davis fährt an jenem Tag durch die verstopfte Millionenstadt im Osten Pakistans. Am belebten Qurtaba-Platz überholen ihn zwei Männer. Der Amerikaner erschießt sie, macht danach Fotos von ihnen, ruft sein Konsulat an. Dann versucht er zu fliehen, wird aber von der Polizei gestellt. Der ihm zu Hilfe eilende Wagen des Konsulats rast durch eine Einbahnstraße und tötet einen unbeteiligten Pakistaner. Ein paar Tage später nimmt sich die Witwe eines der Opfer das Leben - sie habe angeblich nicht daran geglaubt, dass Davis für seine Schuld werde büßen müssen. Und ihr Onkel, erzählt die Familie, wird bald danach vergiftet und stirbt ebenfalls.

Die US-Botschaft beteuert kurz nach der Verhaftung, Davis sei ein Diplomat und besitze ein entsprechendes Visum, bleibt ansonsten aber vage. Er habe sich um technische Angelegenheiten gekümmert, heißt es einmal, ein anderes Mal ist allgemein davon die Rede, dass Sicherheitsfragen in seinen Aufgabenbereich gefallen seien. Davis selbst erklärt in den Vernehmungen, er habe in Notwehr gehandelt. Die Männer hätten ihn ausrauben wollen.

Im Fall des Amerikaners geht es um mehr als einen mittlerweile enttarnten Mitarbeiter des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA. Es geht um das Verhältnis zweier ungleicher Länder, die im Anti-Terror-Kampf aufeinander angewiesen sind, sich aber schon seit langem misstrauen. Der gegenseitige Argwohn von Militärs und Geheimdiensten, das Gefühl der Pakistanis, ständig von den USA gedemütigt zu werden und sich nun rächen zu können sowie die Wut der Menschen auf die US-Regierung - all das spiegelt sich im Fall Davis wider.

Die pakistanischen Behörden glauben dessen Version von Anfang an nicht. Für sie ist Davis ein Spion, der außerhalb der Vereinbarungen zwischen Washington und Islamabad gearbeitet hat. Die schwache, proamerikanische Regierung muss nun im März vor Gericht darüber Auskunft geben, ob Davis Immunität genießt. Islamabad steckt in einem Dilemma: Einerseits ist die Regierung auf das Geld aus den USA angewiesen. Die Hilfe könnte gestrichen werden, wenn Davis in Haft bleibt. Shah Mahmood Qureshi, der sich öffentlich gegen eine Immunität für Davis ausgesprochen hatte, hat seinen Posten als Außenminister bereits verloren. Aber die massive Wut der Straße kann die pakistanische Führung auch nicht ignorieren.

Davis war bei der CIA angestellt, das haben US-Zeitungen inzwischen herausgefunden. Seine Aufgabe soll es gewesen sein, Terrorgruppen in Pakistan auszuspähen. Die Amerikaner sind überzeugt, das Sicherheits-Establishment der Islamischen Republik gehe nicht gegen die Militanten vor, die über die durchlässige Grenze nach Afghanistan eindringen. Pakistan wolle vielmehr mit Hilfe der Extremisten seinen Einfluss auf die Nachkriegsordnung am Hindukusch sichern - auch gegen das US-Interesse.

Pakistanische Medien berichteten davon, bei den beiden Getöteten habe es sich um Mitarbeiter des Geheimdienstes ISI gehandelt. Nach dieser Version war es eine Fehde unter Agenten, der Faizan Haider und Mohammed Fahim zum Opfer gefallen sind.

"Wir wollen Blut gegen Blut"

Faizans Bruder Imran sitzt in einem kargen Raum eines Hinterhofs von Lahore. Er weist die Darstellung entschieden zurück, sein Bruder sei ein Agent gewesen, er habe ein kleines Handy-Geschäft betrieben. Seit Faizans Tod bekam die Familie mehrmals Besuch von Unbekannten. Imran Haider vermutet, dass es Pakistaner im Auftrag der USA waren, aber genau weiß er es nicht. Sie hätten Geld geboten. "Nennen sie irgendeinen Betrag" - so soll die Offerte gelautet haben, erzählt Imran Haider.

Er werde sich nicht umstimmen lassen, sagt der 34-Jährige, der eine Jacke über seinem pakistanischen Gewand trägt. Davis verdiene nichts anderes als den Tod, an der in Pakistan nicht ungewöhnlichen Praxis, ein Verbrechen durch Blutgeld zu tilgen, sei seine Familie nicht interessiert. "Wir wollen Blut gegen Blut", sagt Haider, "Raymond Davis muss zwei Mal gehängt werden, weil er zwei Menschen ermordet hat."

Aber vielleicht wird er seine Meinung noch ändern. Im pakistanischen Sicherheitsapparat gibt es Stimmen, die den Fall Davis als "Glück im Unglück" bezeichnen. Pakistan versucht offenbar die Gelegenheit zu nutzen, um die CIA-Aktivitäten in der Islamischen Republik besser zu kontrollieren.

Der ISI-Chef soll seinem Gegenpart in den USA am Wochenende zu verstehen gegeben haben, andere US-Agenten müssten offen benannt werden. Das klingt nach einer Annäherung zwischen beiden Ländern. Für den derzeit bekanntesten Gefangenen Pakistans könnte dies ein erster Schritt sein, um doch noch aus dem Gefängnis von Kot Lakhpat entlassen zu werden.

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