Infografiken in politischen Reden:Besser als Monty Python

Immer häufiger bedienen sich Politiker der Infografik in ihren Reden. Die Diagramme sollen überzeugen und komplexe Zusammenhänge sichtbar machen. Doch oft wird Wissenschaftlichkeit nur vorgegaukelt.

Laura Weissmüller

World Leaders Attend UN General Assembly

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu versucht, anhand einer Grafik zu veranschaulichen, wie nah das iranische Regime bereits am Bau der Atombombe sei.

(Foto: AFP)

Der Fall ist klar. Glasklar. Der dicke schwarze Strich zeichnet messerscharf die Umrisslinie nach, auch die leicht übermütig geschwungene Zündschnur ist gut zu erkennen. Sie endet in einem Funken. Selbst wer nicht den MAD-Klassiker "Spy vs Spy" kennt, weiß, dass es sich hier um eine Bombe handelt - und zwar eine, die bald losgehen wird. Wann das sein wird, ist ebenfalls gut sichtbar: Die erste Phase ist mit 70 Prozent, die zweite mit 90 Prozent erreicht. Dann kommt die Endphase, also die Explosion. Damit das keiner übersieht, hilft noch ein dicker, etwas ungelenk gezogener Strich in roter Farbe nach. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu brauchte bei seinem Auftritt vor den UN nur noch dorthin zu zeigen, damit die Welt weiß, was ihr droht. Der Infografik sei Dank.

Ginge es hier um Satire, wäre großes Lob angebracht. Selbst Monty Python hätten das nicht besser hinbekommen. Die Ernsthaftigkeit, mit der hier Wissenschaftlichkeit vorgegaukelt wird, während man auf die comicartige Zeichnung einer Bombe zeigt. Das Hantieren mit Zahlen und Phasen, die so in Form gebracht wurden, dass sie Fakten suggerieren. Eine wunderbare Karikatur des Wahnsinns der Welt und ihrer Konflikte, hätte man dazu sagen können. Nur: Benjamin Netanjahu ist kein Komiker. Er will mit dem Schaubild zeigen, wie nah das iranische Regime bereits am Bau der Atombombe ist. Die Szene gehört damit zum Kapitel "Infografik und Politik". Kein schönes - wenn auch ein recht umfassendes.

Infografiken als Bestandteil der politischen Rede

Denn was Netanjahu da tut, das ist heute fester Bestandteil im Einmaleins der politischen Rede. Man erinnere sich an den früheren US-Außenminister Colin Powell: Anhand von Diagrammen und Schaubildern hatte der 2003 den UN beweisen wollen, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt. Das Land hatte bekanntlich keine, angegriffen wurde es trotzdem. Die Grafiken waren offensichtlich überzeugend.

SLIDE FROM SECRETARY POWELLS UN SPEECH ABOUT IRAQ

Mit Diagrammen und Schaubildern hatte der frühere US-Außenminister Colin Powell den UN beweisen wollen, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt.

(Foto: REUTERS)

Genau das ist das Problem. Gut gemachte Infografik schafft heute das, was in einer global vernetzten Welt immer wertvoller wird: komplexe Zusammenhänge sichtbar und so verständlich zu machen. Die Grafik ist damit das Medium der Stunde, ihr Siegeszug unübersehbar - auch in der Politik. Thilo Sarrazin zeigt gerne Tabellen und Statistiken, um seine Ansichten zu untermauern. Der US-Republikaner Glynn McGehee zieht mit einen unüberschaubaren Gewimmel aus bunten Punkten über die Gesundheitsreform von Obama her. Sein Kollege bevorzugt dafür ein schlichtes Balkendiagramm in Rot. Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider formte 2011 seine Kritik am Haushalt der Regierung in schwarz-gelb gestrichelten Balken. Nur ein paar Beispiele.

Unübertroffen im Grafik-Feldzug ist aber der Texaner Ross Perot. Eine Maschinengewehrsalve an Balken- und Tortendiagrammen schoss der bei seiner Präsidentschaftskandidatur ab. Genützt hat es ihm nichts. Die Grafiken waren wohl doch eher Blindgänger.

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