Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:Wie die Parteien mit der Inflationsangst umgehen wollen

Lesezeit: 3 min

Die Preise steigen, die Inflationsgefahr wächst. Im Wahlkampf spielt das bisher keine Rolle - warum eigentlich? Und wie mit der Teuerung umgehen? Die SZ hat bei mehreren Politikern nachgefragt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Bei der SPD fällt das Stichwort im Wahlprogramm exakt einmal, bei der FDP ebenfalls, bei Union und Grünen kommt es gar nicht vor. Dabei gruselt es die Deutschen immer wieder gern, und gerade in den vergangenen Wochen ist wieder häufiger davon die Rede: der Gefahr einer neuerlichen Inflation. Doch den Sozialdemokraten dient die Vokabel lediglich zur Begründung eines Mieten-Moratoriums; die FDP fordert einen Inflationsausgleich beim Elterngeld.

Seit der traumatischen Geldentwertung in Deutschland vor fast hundert Jahren löst das Wort Inflation verlässlich große Besorgnis aus. Doch Versuche der Parteien, die Ängste der Wähler zu instrumentalisieren, sind in der Vergangenheit weitgehend fehlgeschlagen. 1972 etwa scheiterte der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat der Union, Rainer Barzel, mit seinem Versuch, die Angst vor einer Inflation zu schüren, die "unsere Existenz unterhöhlen" könnte. Den Sozialdemokraten gelang es vielmehr, die Wahl zu einer Abstimmung über Kanzler Willy Brandt ("Willy wählen") und die sozialliberale Reformpolitik zu machen. 2002 wollte der damalige Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) ebenfalls mit dem Versprechen punkten, den Geldwert stabil zu halten - vergeblich. 2013 versuchte es die FDP, sie scheiterte am Wahlabend an der Fünf-Prozent-Hürde.

Für den aktuellen Wahlkampf stellt sich die Frage, ob die Parteien daraus den Schluss gezogen haben, dass mit der Angst vor Inflation nichts zu gewinnen ist und die Programme deshalb zwar inflationär viele nicht durchfinanzierte Wahlversprechen enthalten - zur Geldentwertung aber kaum ein Wort verlieren. Oder wird die nach oben tendierende Teuerungsrate doch noch zum Sommerlochthema? Die Süddeutsche Zeitung hat nachgefragt.

Union

In der CDU ist man unentschieden. CDU-Parteichef Armin Laschet hält die Preissteigerungen für temporär, "eine Folge der Pandemie und der noch immer gestörten Lieferketten". Laschet glaubt, dass die Verschuldung Deutschlands ein größeres Problem sein könnte. "Entscheidend" sei für ihn, "dass sobald wie möglich die Schuldenbremse wieder zieht". Parteikollege Friedrich Merz, der als Wirtschaftsexperte im Team Laschet arbeitet, sieht dagegen die Inflation "offenbar mit Wucht" zurückkehren. "Es scheint keine reine Immobilien- und Aktienpreisentwicklung mehr zu sein, sondern eine Preiserhöhung auf breiter Front für den gesamten Warenkorb." Es sei an der Zeit, dass die EZB zunächst die Anleihekäufe zurückfahre und den negativen Einlagenzins für die Banken zurücknehme.

SPD

Der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans war einst Finanzminister des bevölkerungsreichsten Bundeslands Nordrhein-Westfalen. Er empfehle, jetzt "Ruhe zu bewahren", sagt der Routinier. "Die Inflation, die wir gerade sehen, entsteht aus einer krassen Sondersituation: Wir fahren nach Corona die Weltwirtschaft ruckartig wieder hoch." Eine dauerhafte Lohn-Preis-Spirale sei wegen der sehr maßvollen Lohnerhöhungen nicht in Sicht. "Wirtschaftspolitisch wird es im Wahlkampf bei anderen Fragen knallen", prophezeit Walter-Borjans, etwa: "Wie bauen wir eine Null-Emissionen-Wirtschaft, die Arbeit für alle schafft und dem Gemeinwohl dient? Hierbei helfen weder merzige Rezepte aus den Neunzigerjahren noch grüne Tagträumereien."

Grüne

Für Grünen-Co-Chef Robert Habeck liegen die Preissteigerungen im Rahmen des Erwartbaren. "Dass die Inflation nach einem Jahr Kaufzurückhaltung, geschlossenen Läden und deutlich reduziertem Reiseaufkommen steigen würde, war von allen Experten erwartet worden." Hinzu kämen der höhere Ölpreis und die CO₂-Preise. Die Grünen hätten als Ausgleich für Menschen mit geringem Einkommen eine sofortige Erhöhung des Mindestlohns und eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze vorgesehen. Sorge bereitet Habeck, "dass die Nachfrageschwäche der letzten Jahre uns ein zu geringes Wachstum nach der Krise bescheren wird". Wachstum aber könne nur entstehen, wenn die Investitionen mit der hohen Neigung der Deutschen zum Sparen Schritt halten können. "Deshalb brauchen wir weitere staatliche Impulse, vor allem bei den öffentlichen Investitionen."

FDP

Die FDP dagegen findet, es sei Aufgabe der nationalen Steuerpolitik, gegen steigende Preisen vorzugehen. "Ob es zu einer Inflation kommen wird, ist weniger eine politische als vielmehr eine wirtschaftspolitische Fragestellung", sagt Generalsekretär Volker Wissing. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Selbständige und Unternehmen müssten steuerlich entlastet werden, "um so auch den Kaufkraftverlusten durch eine mögliche Inflation entgegenzuwirken".

Linke

Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sieht in der Teuerungsrate kein Thema für das Sommerloch. Gleichwohl kritisiert er sie als "Einkommensfresser". Der Staat heize die Teuerung noch an, wegen des steigenden CO₂-Preises zögen auch die Energiepreise an, zugleich sinke die Kaufkraft. "Die beste Versicherung gegen steigende Preise sind höhere Löhne und Renten und ein Ende der staatlichen Preistreiberei bei Heiz- und Spritkosten."

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