Süddeutsche Zeitung

Teuerung:Inflation springt auf 3,8 Prozent

Experten begründen die überraschende Zunahme der Teuerung vor allem mit Energiekosten und einem Sondereffekt.

Von Jan Diesteldorf, Frankfurt

Die Verbraucherpreise in Deutschland steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Durchschnitt kosteten Waren und Dienstleistungen im Juli 3,8 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Das teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mit. Noch im Juni hatte die Inflationsrate bei 2,3 Prozent gelegen. Weiter steigende Preise waren erwartet worden, der Anstieg fällt nun aber höher aus als von Ökonomen und Notenbanken prognostiziert.

Sehr wahrscheinlich sind die hohen Inflationsraten ein vorübergehendes Phänomen. Derzeit kommen mehrere Ursachen für den Preisanstieg zusammen. Die Statistiker betonen vor allem den Einfluss der Mehrwertsteuersenkung im Juli 2020. Mit dieser Maßnahme hatte die Bundesregierung auf den pandemiebedingten Konjunktureinbruch reagiert, um die Nachfrage anzukurbeln. Viele Waren und Dienstleistungen waren dadurch günstiger geworden. Nun, wo die zwischenzeitliche Steuersenkung entfällt, wirkt dieser Effekt in die entgegengesetzte Richtung.

Zudem liegt der Rohölpreis etwa 70 Prozent über dem Niveau von vor einem Jahr. Tanken und Heizen sind teurer geworden, Unternehmen geben höhere Energiekosten an ihre Kunden weiter. Die von den Lockdown-Monaten besonders betroffenen Dienstleistungsbranchen wie Gastronomie, Hotellerie oder auch Friseure verlangen höhere Preise, um Versäumtes nachzuholen. Auch Lieferengpässe bei Vorprodukten treiben die Preise. "Insbesondere bei den Warenpreisen hat sich auch der unterliegende Preisauftrieb zuletzt deutlich verstärkt", schrieb Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen in einer Analyse. "Wegen der anhaltenden Engpässe bei vielen Vorprodukten dürfte sich dieser Trend vorerst fortsetzen."

Damit rechnen die meisten Experten. Inflationsraten von mehr als vier Prozent sind in Reichweite. "In den nächsten Monaten dürfte Deutschland den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten erleben", sagte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Auch wenn die preistreibenden Effekte nur vorübergehender Natur seien, dürfe man die Folgen und Risiken des Inflationsanstiegs nicht verharmlosen, sagte er. Direkte Folgen hat der Preisanstieg vor allem für Arbeitnehmer: Die Löhne von Millionen Beschäftigten mit Tarifvertrag werden dem gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) zufolge 2021 erstmals seit einem Jahrzehnt langsamer steigen als die Verbraucherpreise.

Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt mittelfristig eine Teuerung von zwei Prozent an. Solange sich kein dauerhafter Anstieg der Verbraucherpreise abzeichnet, akzeptiert sie auch ein Überschreiten dieser Marke. Die Inflationsrate in der Eurozone lag im Juni - bereits durch Sondereffekte beeinflusst - bei 1,9 Prozent. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte zuletzt deutlich gemacht, dass auch die Notenbank mit Blick auf 2022 mit wieder sinkenden Inflationsraten rechnet.

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